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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung

brunner Vertrag allerdings für aufgehoben; aber er nahm Besitz von Neuen¬
burg, Ansbach und Kleve, forderte und bewirkte vertragsmäßig die Besetzung
Hannovers sowie die Sperrung der Häfen dieses Landes gegen England durch
Preußen und machte damit das Inselreich ebenfalls zum Gegner des nord¬
deutschen Staates. So hatte eine wahrhaft selbstmörderische Politik dem Korsen,
diesem längst erbitterten Feinde, alle Vorteile, deren er zur Abrechnung be¬
dürfte, selbst in die Hand gespielt. Mit dem Rheinbünde als Brücke konnte
jener bei der ersten Gelegenheit, die leicht herbeizuführen war, gefahrlos in
das Herz des isolierten Staates Friedrichs des Großen hineinstoßen.

So endete das Jahr 1805. Es war der Anfang von dem Ende der
alten Monarchie. Wie in der innern Staatsführung, so hatte man auch in
der äußern Politik mit Halbheiten, Zweideutigkeiten und kleinen Mitteln ge¬
arbeitet; und das alles in einer krisenschwangern Zeit, die überall kraftvolle
Entschließungen verlangte. Anstatt den Gefahren, die der Monarchie drohten,
die Stirn zu bieten, ihnen zuvorzukommen, ließ man sich von den Ereignissen
einfach schieben; und da man im Gefühl der Schwäche den Frieden unter
allen Umstünden wahren zu müssen glaubte, so konnte er auch nicht ehren¬
haft sein. Ein gesicherter und ehrenvoller Frieden wird aber nur dem
Staate beschieden sein, der neben den Mitteln auch den Willen hat, sich ihrer
rücksichtlos zu bedienen. Diese Mittel sind Rüstung und Waffen. Da man
aber alle Rüstung zu Schutz und Trutz hatte rösten und schartig werden
lassen, da das Heer, und die zuverlässigste aller Waffen, die sittlichen Kräfte
im Volksleben versagten, da alle Deiche des preußischen Staates unterspült
waren, konnte er den heranbrausenden Sturmfluten nicht widerstehn.




Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung
Otto Eduard Schmidt von

in Sommer 1868 entwarf der bekannte Kulturhistoriker Jakob
Burckhardt in Konstanz eine neue Vorlesung "Über Studium der
Geschichte," die er im folgenden Winter an der Baseler Universität
und dann noch einmal im Winter 1870/71 abhielt. Derselbe
Gelehrte hat dann im November 1870 drei Vortrüge "Über
historische Größe" und im November 1871 einen "Über Glück und Unglück in
der Weltgeschichte" gehalten. Diese drei Niederschriften Burckhardts mit einigen
1873 hinzugefügten Zusätzen hat jetzt der Baseler Professor Jakob Oeri, der¬
selbe Gelehrte, dem wir schon die Herausgabe der vierbündigen "Griechischen
Kulturgeschichte" Burckhardts verdanken, unter dem Titel "Weltgeschichtliche
Betrachtungen"*) veröffentlicht. Die in diesem Buche vereinigten Vorlesungen



*) Weltgeschichtliche Betrachtungen von Jakob Burckhardt, herausgegeben von
Jakob Oeri. Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 190S. VIZI und 294 S.
Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung

brunner Vertrag allerdings für aufgehoben; aber er nahm Besitz von Neuen¬
burg, Ansbach und Kleve, forderte und bewirkte vertragsmäßig die Besetzung
Hannovers sowie die Sperrung der Häfen dieses Landes gegen England durch
Preußen und machte damit das Inselreich ebenfalls zum Gegner des nord¬
deutschen Staates. So hatte eine wahrhaft selbstmörderische Politik dem Korsen,
diesem längst erbitterten Feinde, alle Vorteile, deren er zur Abrechnung be¬
dürfte, selbst in die Hand gespielt. Mit dem Rheinbünde als Brücke konnte
jener bei der ersten Gelegenheit, die leicht herbeizuführen war, gefahrlos in
das Herz des isolierten Staates Friedrichs des Großen hineinstoßen.

So endete das Jahr 1805. Es war der Anfang von dem Ende der
alten Monarchie. Wie in der innern Staatsführung, so hatte man auch in
der äußern Politik mit Halbheiten, Zweideutigkeiten und kleinen Mitteln ge¬
arbeitet; und das alles in einer krisenschwangern Zeit, die überall kraftvolle
Entschließungen verlangte. Anstatt den Gefahren, die der Monarchie drohten,
die Stirn zu bieten, ihnen zuvorzukommen, ließ man sich von den Ereignissen
einfach schieben; und da man im Gefühl der Schwäche den Frieden unter
allen Umstünden wahren zu müssen glaubte, so konnte er auch nicht ehren¬
haft sein. Ein gesicherter und ehrenvoller Frieden wird aber nur dem
Staate beschieden sein, der neben den Mitteln auch den Willen hat, sich ihrer
rücksichtlos zu bedienen. Diese Mittel sind Rüstung und Waffen. Da man
aber alle Rüstung zu Schutz und Trutz hatte rösten und schartig werden
lassen, da das Heer, und die zuverlässigste aller Waffen, die sittlichen Kräfte
im Volksleben versagten, da alle Deiche des preußischen Staates unterspült
waren, konnte er den heranbrausenden Sturmfluten nicht widerstehn.




Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung
Otto Eduard Schmidt von

in Sommer 1868 entwarf der bekannte Kulturhistoriker Jakob
Burckhardt in Konstanz eine neue Vorlesung „Über Studium der
Geschichte," die er im folgenden Winter an der Baseler Universität
und dann noch einmal im Winter 1870/71 abhielt. Derselbe
Gelehrte hat dann im November 1870 drei Vortrüge „Über
historische Größe" und im November 1871 einen „Über Glück und Unglück in
der Weltgeschichte" gehalten. Diese drei Niederschriften Burckhardts mit einigen
1873 hinzugefügten Zusätzen hat jetzt der Baseler Professor Jakob Oeri, der¬
selbe Gelehrte, dem wir schon die Herausgabe der vierbündigen „Griechischen
Kulturgeschichte" Burckhardts verdanken, unter dem Titel „Weltgeschichtliche
Betrachtungen"*) veröffentlicht. Die in diesem Buche vereinigten Vorlesungen



*) Weltgeschichtliche Betrachtungen von Jakob Burckhardt, herausgegeben von
Jakob Oeri. Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 190S. VIZI und 294 S.
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[0082] Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung brunner Vertrag allerdings für aufgehoben; aber er nahm Besitz von Neuen¬ burg, Ansbach und Kleve, forderte und bewirkte vertragsmäßig die Besetzung Hannovers sowie die Sperrung der Häfen dieses Landes gegen England durch Preußen und machte damit das Inselreich ebenfalls zum Gegner des nord¬ deutschen Staates. So hatte eine wahrhaft selbstmörderische Politik dem Korsen, diesem längst erbitterten Feinde, alle Vorteile, deren er zur Abrechnung be¬ dürfte, selbst in die Hand gespielt. Mit dem Rheinbünde als Brücke konnte jener bei der ersten Gelegenheit, die leicht herbeizuführen war, gefahrlos in das Herz des isolierten Staates Friedrichs des Großen hineinstoßen. So endete das Jahr 1805. Es war der Anfang von dem Ende der alten Monarchie. Wie in der innern Staatsführung, so hatte man auch in der äußern Politik mit Halbheiten, Zweideutigkeiten und kleinen Mitteln ge¬ arbeitet; und das alles in einer krisenschwangern Zeit, die überall kraftvolle Entschließungen verlangte. Anstatt den Gefahren, die der Monarchie drohten, die Stirn zu bieten, ihnen zuvorzukommen, ließ man sich von den Ereignissen einfach schieben; und da man im Gefühl der Schwäche den Frieden unter allen Umstünden wahren zu müssen glaubte, so konnte er auch nicht ehren¬ haft sein. Ein gesicherter und ehrenvoller Frieden wird aber nur dem Staate beschieden sein, der neben den Mitteln auch den Willen hat, sich ihrer rücksichtlos zu bedienen. Diese Mittel sind Rüstung und Waffen. Da man aber alle Rüstung zu Schutz und Trutz hatte rösten und schartig werden lassen, da das Heer, und die zuverlässigste aller Waffen, die sittlichen Kräfte im Volksleben versagten, da alle Deiche des preußischen Staates unterspült waren, konnte er den heranbrausenden Sturmfluten nicht widerstehn. Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung Otto Eduard Schmidt von in Sommer 1868 entwarf der bekannte Kulturhistoriker Jakob Burckhardt in Konstanz eine neue Vorlesung „Über Studium der Geschichte," die er im folgenden Winter an der Baseler Universität und dann noch einmal im Winter 1870/71 abhielt. Derselbe Gelehrte hat dann im November 1870 drei Vortrüge „Über historische Größe" und im November 1871 einen „Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte" gehalten. Diese drei Niederschriften Burckhardts mit einigen 1873 hinzugefügten Zusätzen hat jetzt der Baseler Professor Jakob Oeri, der¬ selbe Gelehrte, dem wir schon die Herausgabe der vierbündigen „Griechischen Kulturgeschichte" Burckhardts verdanken, unter dem Titel „Weltgeschichtliche Betrachtungen"*) veröffentlicht. Die in diesem Buche vereinigten Vorlesungen *) Weltgeschichtliche Betrachtungen von Jakob Burckhardt, herausgegeben von Jakob Oeri. Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 190S. VIZI und 294 S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/82>, abgerufen am 26.12.2024.