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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg
Julius R. Haarhaus Eine rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)
2

is Regina am nächsten Morgen aus ihrer Kammer trat, fand sie das
väterliche Haus schon in der größten Aufregung. Die geräumigen
Gemächer im ersten Stockwerk, die jederzeit zur Verfügung der Äbtissin
und ihrer Damen stehn mußten und für gewöhnlich verschlossen waren,
wurden einer großen Reinigung unterzogen. Durch die weitgeöffneten
Fenster drang die warme Luft des Junimorgens und kämpfte einen
siegreichen Kampf gegen die müssige Kühle, die von den getünchten Wänden aus¬
ging. Der Staub, der monatelang auf den gewaltigen Schränken, Truhen und
Tischen aus dunkelbraunem Eichenholz gelegen hatte, geriet bei dem plötzlich ent-
standnen Zugwind in Bewegung, und hie und da tauchte schon eine Magd mit
Kehrbesen und Scheuersand auf, um den reinigenden Naturkräften zu Hilfe zu
kommen. Die alte Metzlerin, des Küfermeisters Hausfrau, ein rüstiges, rundliches
Weiblein, war überall zugleich, bestrick) die weißen Dielen, die unter der von der
Decke herabhängenden Zinnlampe einen kreisrunden Ölflecken aufwiesen, mit feuchtem
Ton, fegte die Schränke aus und trug die Betten aus den mächtigen, mit Baldachinen
und Stufen versehenen Laden auf die Fensterbänke in den warmen Sonnenschein.

Als sie den Schritt ihrer Tochter auf der Treppe vernahm, eilte sie ihr auf
den Flur entgegen und rief:

Hast doch die Werktagskleider an, Gin? Und nun wacker mit zugegriffen!
Müssen alles für die Frau Äbtissin und die Fräuleins parat machen. Es wird Krieg!

Krieg?

Frag nicht lang! Komm und hilf mir die Betten sömmern. Kann sein, daß
die Fräuleins schon heute einziehn. Der Vater ist aufs hohe Kloster, der Frau
Äbtissin die Nachricht zu bringen und ihre Befehle zu erbitten.

Krieg, Mutter? Zieht der Kurfürst doch wider die Stadt? fragte Regina.

Wer sonst als der Kurfürst? Nun steh nicht lang und halt Maulaffen feil,
in der langen Kammer sind auch noch Betten, erwiderte die Mutter ungeduldig.

Ach, sagte Regina, indem sie ein schon in der Sonne liegendes Kopfkissen
langsam umwandte, wenn Krieg wird, was mag dann mit denen in der Burg
werden? Die armen Menschen leiden jetzt schon Hunger --

Was du nur immer mit den Kurfürstlichen hast! erwiderte die Alte streng,
laß das nur den Vater nicht hören!

Will mir noch immer nicht in den Sinn, daß nun alles anders sein soll als
vordem, sagte das Mädchen bekümmert. Früher, wenn da der Wygcmt zu uns in
den Rebenstock kam, da war die Freude groß, und der Vater zapfte vom Besten,
und Ihr selbst hattet immer ein Kümplein mit Brühe und etlichen Fleischstücklein
vom Mittag her für ihn im Spind stehn -- und jetzt soll man nicht einmal von
ihm reden. Und war doch immer ein lustiger Gesell und gar nicht hochfahrend,
ob er doch gleich vom Adel war. Und wie die Kleinen an ihm hingen und gar




Der Bopparder Krieg
Julius R. Haarhaus Eine rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)
2

is Regina am nächsten Morgen aus ihrer Kammer trat, fand sie das
väterliche Haus schon in der größten Aufregung. Die geräumigen
Gemächer im ersten Stockwerk, die jederzeit zur Verfügung der Äbtissin
und ihrer Damen stehn mußten und für gewöhnlich verschlossen waren,
wurden einer großen Reinigung unterzogen. Durch die weitgeöffneten
Fenster drang die warme Luft des Junimorgens und kämpfte einen
siegreichen Kampf gegen die müssige Kühle, die von den getünchten Wänden aus¬
ging. Der Staub, der monatelang auf den gewaltigen Schränken, Truhen und
Tischen aus dunkelbraunem Eichenholz gelegen hatte, geriet bei dem plötzlich ent-
standnen Zugwind in Bewegung, und hie und da tauchte schon eine Magd mit
Kehrbesen und Scheuersand auf, um den reinigenden Naturkräften zu Hilfe zu
kommen. Die alte Metzlerin, des Küfermeisters Hausfrau, ein rüstiges, rundliches
Weiblein, war überall zugleich, bestrick) die weißen Dielen, die unter der von der
Decke herabhängenden Zinnlampe einen kreisrunden Ölflecken aufwiesen, mit feuchtem
Ton, fegte die Schränke aus und trug die Betten aus den mächtigen, mit Baldachinen
und Stufen versehenen Laden auf die Fensterbänke in den warmen Sonnenschein.

Als sie den Schritt ihrer Tochter auf der Treppe vernahm, eilte sie ihr auf
den Flur entgegen und rief:

Hast doch die Werktagskleider an, Gin? Und nun wacker mit zugegriffen!
Müssen alles für die Frau Äbtissin und die Fräuleins parat machen. Es wird Krieg!

Krieg?

Frag nicht lang! Komm und hilf mir die Betten sömmern. Kann sein, daß
die Fräuleins schon heute einziehn. Der Vater ist aufs hohe Kloster, der Frau
Äbtissin die Nachricht zu bringen und ihre Befehle zu erbitten.

Krieg, Mutter? Zieht der Kurfürst doch wider die Stadt? fragte Regina.

Wer sonst als der Kurfürst? Nun steh nicht lang und halt Maulaffen feil,
in der langen Kammer sind auch noch Betten, erwiderte die Mutter ungeduldig.

Ach, sagte Regina, indem sie ein schon in der Sonne liegendes Kopfkissen
langsam umwandte, wenn Krieg wird, was mag dann mit denen in der Burg
werden? Die armen Menschen leiden jetzt schon Hunger —

Was du nur immer mit den Kurfürstlichen hast! erwiderte die Alte streng,
laß das nur den Vater nicht hören!

Will mir noch immer nicht in den Sinn, daß nun alles anders sein soll als
vordem, sagte das Mädchen bekümmert. Früher, wenn da der Wygcmt zu uns in
den Rebenstock kam, da war die Freude groß, und der Vater zapfte vom Besten,
und Ihr selbst hattet immer ein Kümplein mit Brühe und etlichen Fleischstücklein
vom Mittag her für ihn im Spind stehn — und jetzt soll man nicht einmal von
ihm reden. Und war doch immer ein lustiger Gesell und gar nicht hochfahrend,
ob er doch gleich vom Adel war. Und wie die Kleinen an ihm hingen und gar


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[0667] [Abbildung] Der Bopparder Krieg Julius R. Haarhaus Eine rheinische Geschichte von (Fortsetzung) 2 is Regina am nächsten Morgen aus ihrer Kammer trat, fand sie das väterliche Haus schon in der größten Aufregung. Die geräumigen Gemächer im ersten Stockwerk, die jederzeit zur Verfügung der Äbtissin und ihrer Damen stehn mußten und für gewöhnlich verschlossen waren, wurden einer großen Reinigung unterzogen. Durch die weitgeöffneten Fenster drang die warme Luft des Junimorgens und kämpfte einen siegreichen Kampf gegen die müssige Kühle, die von den getünchten Wänden aus¬ ging. Der Staub, der monatelang auf den gewaltigen Schränken, Truhen und Tischen aus dunkelbraunem Eichenholz gelegen hatte, geriet bei dem plötzlich ent- standnen Zugwind in Bewegung, und hie und da tauchte schon eine Magd mit Kehrbesen und Scheuersand auf, um den reinigenden Naturkräften zu Hilfe zu kommen. Die alte Metzlerin, des Küfermeisters Hausfrau, ein rüstiges, rundliches Weiblein, war überall zugleich, bestrick) die weißen Dielen, die unter der von der Decke herabhängenden Zinnlampe einen kreisrunden Ölflecken aufwiesen, mit feuchtem Ton, fegte die Schränke aus und trug die Betten aus den mächtigen, mit Baldachinen und Stufen versehenen Laden auf die Fensterbänke in den warmen Sonnenschein. Als sie den Schritt ihrer Tochter auf der Treppe vernahm, eilte sie ihr auf den Flur entgegen und rief: Hast doch die Werktagskleider an, Gin? Und nun wacker mit zugegriffen! Müssen alles für die Frau Äbtissin und die Fräuleins parat machen. Es wird Krieg! Krieg? Frag nicht lang! Komm und hilf mir die Betten sömmern. Kann sein, daß die Fräuleins schon heute einziehn. Der Vater ist aufs hohe Kloster, der Frau Äbtissin die Nachricht zu bringen und ihre Befehle zu erbitten. Krieg, Mutter? Zieht der Kurfürst doch wider die Stadt? fragte Regina. Wer sonst als der Kurfürst? Nun steh nicht lang und halt Maulaffen feil, in der langen Kammer sind auch noch Betten, erwiderte die Mutter ungeduldig. Ach, sagte Regina, indem sie ein schon in der Sonne liegendes Kopfkissen langsam umwandte, wenn Krieg wird, was mag dann mit denen in der Burg werden? Die armen Menschen leiden jetzt schon Hunger — Was du nur immer mit den Kurfürstlichen hast! erwiderte die Alte streng, laß das nur den Vater nicht hören! Will mir noch immer nicht in den Sinn, daß nun alles anders sein soll als vordem, sagte das Mädchen bekümmert. Früher, wenn da der Wygcmt zu uns in den Rebenstock kam, da war die Freude groß, und der Vater zapfte vom Besten, und Ihr selbst hattet immer ein Kümplein mit Brühe und etlichen Fleischstücklein vom Mittag her für ihn im Spind stehn — und jetzt soll man nicht einmal von ihm reden. Und war doch immer ein lustiger Gesell und gar nicht hochfahrend, ob er doch gleich vom Adel war. Und wie die Kleinen an ihm hingen und gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/667>, abgerufen am 26.12.2024.