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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

jemals an einer Gesellschaftsreise teilzunehmen, so schätzenswert und in vieler
Beziehung angenehm die Einrichtung solcher Reisen sein kann, abgeschworen
auch, weil ihnen die Poesie und der Genuß eigner Vorbereitung und selb¬
ständigen Durchfindens abgeht. Mau vereinigte sich innerhalb des Henkertores
ini zweiten Hofe mit der Gesellschaft, erwartete hier den mit der Führung
beauftragten Flügeladjutanten des Sultans, unter dessen Aufsicht die Siegel in
feierlicher Zeremonie gebrochen wurden, und durfte, von einer Unzahl Diener
bewacht, die Prunkwaffcn, edelsteinbesetztem Turbane und Gewänder der frühern
Sultane, die zum Teil kostbaren, zum Teil aber auch wertlosen Geschenke,
ferner Vasen und Schalen mit Perlen und edeln Steinen flüchtig besehen. In
dieser unübersichtlichen, teilweise dunkeln Engigkeit aufgestellt kommt alle Pracht
gar nicht zur Geltung. Das Schönste von allem war das Landschaftsbild, das
sich, die asiatische Küste, Marmarameer und Bosporus umfassend, von der
breiten Terrasse des Serails bot, und während dessen Betrachtung die Sonne
uns den Gefallen tat, aus den Wolken herauszutreten und Licht zu spenden.
Schwer hielts, sich von der Terrasse zu trennen; dann ging es "heidi" -- be¬
deutet im Türkischen "vorwärts" -- über die neue Galatabrücke zum Dolma-
Vagtscheschloß am Bosporus, einst dem Wohnsitz unsers Kaisers, einem wahr¬
haft fürstlichen Palais, mit dessen gediegner Pracht in Aufbau und Wand- und
Teppichschmuck sich sogar die reichen russischen Schlösser nicht messen können.
Man glaubt es gern, daß der Großherr der reichste aller Herrscher ist, dem
rechtlich alles in seinem Reich gehört. Leider erlaubte uns das Mißver¬
gnügen der Palastbeamten über die Störung ihrer Feiertagsruhe uicht, lange
genug zu verweilen, als daß wir alles Schöne gehörig hätten in uns aufnehmen
können.




Der Boxparder Krieg
Julius R. Haarhaus Line rheinische Geschichte von
1

uf der Ratsstube zu Boppard ging es am Abend des 10. Juni 1497,
eines Samstags, geräuschvoller zu, als es sich mit der Würde des
Ortes und der Bedeutung einer Versammlung, die weiland Kaiser
Heinrich der Siebente in einer Bestätigungsurkunde als ein Kollegium
weiser Leute bezeichnet hatte, eigentlich vertrug. Daran war haupt¬
sächlich schuld, daß der gestrenge und ehrenfeste Bürgermeister, Herr
Johann von Eltz, seit einigen Tagen abwesend war, um der nun schon länger als
hundert Jahre dem Erzstift Trier verpfändeten freien Reichsstadt unter dem be¬
nachbarten Adel Fürsprecher und Bundesgenossen zu werben, deren sie bei den sich
immer mehr zuspitzenden Zwistigkeiten mit ihrem Pfandherrn, dem Kurfürsten
Johann dem Zweiten, jetzt mehr als je bedürfte.

Statt des Bürgermeisters präsidierte der Natsversammlung heute ein Mann,
der selbst nicht so recht wußte, wie er auf den und dem Reichsadler geschmückten
und auf einem erhöhten Platze stehenden Sessel des Stadtgewaltigen gekommen
war, und der sich deshalb in seiner Haut keineswegs recht behaglich fühlte. Es


Der Bopparder Krieg

jemals an einer Gesellschaftsreise teilzunehmen, so schätzenswert und in vieler
Beziehung angenehm die Einrichtung solcher Reisen sein kann, abgeschworen
auch, weil ihnen die Poesie und der Genuß eigner Vorbereitung und selb¬
ständigen Durchfindens abgeht. Mau vereinigte sich innerhalb des Henkertores
ini zweiten Hofe mit der Gesellschaft, erwartete hier den mit der Führung
beauftragten Flügeladjutanten des Sultans, unter dessen Aufsicht die Siegel in
feierlicher Zeremonie gebrochen wurden, und durfte, von einer Unzahl Diener
bewacht, die Prunkwaffcn, edelsteinbesetztem Turbane und Gewänder der frühern
Sultane, die zum Teil kostbaren, zum Teil aber auch wertlosen Geschenke,
ferner Vasen und Schalen mit Perlen und edeln Steinen flüchtig besehen. In
dieser unübersichtlichen, teilweise dunkeln Engigkeit aufgestellt kommt alle Pracht
gar nicht zur Geltung. Das Schönste von allem war das Landschaftsbild, das
sich, die asiatische Küste, Marmarameer und Bosporus umfassend, von der
breiten Terrasse des Serails bot, und während dessen Betrachtung die Sonne
uns den Gefallen tat, aus den Wolken herauszutreten und Licht zu spenden.
Schwer hielts, sich von der Terrasse zu trennen; dann ging es „heidi" — be¬
deutet im Türkischen „vorwärts" — über die neue Galatabrücke zum Dolma-
Vagtscheschloß am Bosporus, einst dem Wohnsitz unsers Kaisers, einem wahr¬
haft fürstlichen Palais, mit dessen gediegner Pracht in Aufbau und Wand- und
Teppichschmuck sich sogar die reichen russischen Schlösser nicht messen können.
Man glaubt es gern, daß der Großherr der reichste aller Herrscher ist, dem
rechtlich alles in seinem Reich gehört. Leider erlaubte uns das Mißver¬
gnügen der Palastbeamten über die Störung ihrer Feiertagsruhe uicht, lange
genug zu verweilen, als daß wir alles Schöne gehörig hätten in uns aufnehmen
können.




Der Boxparder Krieg
Julius R. Haarhaus Line rheinische Geschichte von
1

uf der Ratsstube zu Boppard ging es am Abend des 10. Juni 1497,
eines Samstags, geräuschvoller zu, als es sich mit der Würde des
Ortes und der Bedeutung einer Versammlung, die weiland Kaiser
Heinrich der Siebente in einer Bestätigungsurkunde als ein Kollegium
weiser Leute bezeichnet hatte, eigentlich vertrug. Daran war haupt¬
sächlich schuld, daß der gestrenge und ehrenfeste Bürgermeister, Herr
Johann von Eltz, seit einigen Tagen abwesend war, um der nun schon länger als
hundert Jahre dem Erzstift Trier verpfändeten freien Reichsstadt unter dem be¬
nachbarten Adel Fürsprecher und Bundesgenossen zu werben, deren sie bei den sich
immer mehr zuspitzenden Zwistigkeiten mit ihrem Pfandherrn, dem Kurfürsten
Johann dem Zweiten, jetzt mehr als je bedürfte.

Statt des Bürgermeisters präsidierte der Natsversammlung heute ein Mann,
der selbst nicht so recht wußte, wie er auf den und dem Reichsadler geschmückten
und auf einem erhöhten Platze stehenden Sessel des Stadtgewaltigen gekommen
war, und der sich deshalb in seiner Haut keineswegs recht behaglich fühlte. Es


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[0607] Der Bopparder Krieg jemals an einer Gesellschaftsreise teilzunehmen, so schätzenswert und in vieler Beziehung angenehm die Einrichtung solcher Reisen sein kann, abgeschworen auch, weil ihnen die Poesie und der Genuß eigner Vorbereitung und selb¬ ständigen Durchfindens abgeht. Mau vereinigte sich innerhalb des Henkertores ini zweiten Hofe mit der Gesellschaft, erwartete hier den mit der Führung beauftragten Flügeladjutanten des Sultans, unter dessen Aufsicht die Siegel in feierlicher Zeremonie gebrochen wurden, und durfte, von einer Unzahl Diener bewacht, die Prunkwaffcn, edelsteinbesetztem Turbane und Gewänder der frühern Sultane, die zum Teil kostbaren, zum Teil aber auch wertlosen Geschenke, ferner Vasen und Schalen mit Perlen und edeln Steinen flüchtig besehen. In dieser unübersichtlichen, teilweise dunkeln Engigkeit aufgestellt kommt alle Pracht gar nicht zur Geltung. Das Schönste von allem war das Landschaftsbild, das sich, die asiatische Küste, Marmarameer und Bosporus umfassend, von der breiten Terrasse des Serails bot, und während dessen Betrachtung die Sonne uns den Gefallen tat, aus den Wolken herauszutreten und Licht zu spenden. Schwer hielts, sich von der Terrasse zu trennen; dann ging es „heidi" — be¬ deutet im Türkischen „vorwärts" — über die neue Galatabrücke zum Dolma- Vagtscheschloß am Bosporus, einst dem Wohnsitz unsers Kaisers, einem wahr¬ haft fürstlichen Palais, mit dessen gediegner Pracht in Aufbau und Wand- und Teppichschmuck sich sogar die reichen russischen Schlösser nicht messen können. Man glaubt es gern, daß der Großherr der reichste aller Herrscher ist, dem rechtlich alles in seinem Reich gehört. Leider erlaubte uns das Mißver¬ gnügen der Palastbeamten über die Störung ihrer Feiertagsruhe uicht, lange genug zu verweilen, als daß wir alles Schöne gehörig hätten in uns aufnehmen können. Der Boxparder Krieg Julius R. Haarhaus Line rheinische Geschichte von 1 uf der Ratsstube zu Boppard ging es am Abend des 10. Juni 1497, eines Samstags, geräuschvoller zu, als es sich mit der Würde des Ortes und der Bedeutung einer Versammlung, die weiland Kaiser Heinrich der Siebente in einer Bestätigungsurkunde als ein Kollegium weiser Leute bezeichnet hatte, eigentlich vertrug. Daran war haupt¬ sächlich schuld, daß der gestrenge und ehrenfeste Bürgermeister, Herr Johann von Eltz, seit einigen Tagen abwesend war, um der nun schon länger als hundert Jahre dem Erzstift Trier verpfändeten freien Reichsstadt unter dem be¬ nachbarten Adel Fürsprecher und Bundesgenossen zu werben, deren sie bei den sich immer mehr zuspitzenden Zwistigkeiten mit ihrem Pfandherrn, dem Kurfürsten Johann dem Zweiten, jetzt mehr als je bedürfte. Statt des Bürgermeisters präsidierte der Natsversammlung heute ein Mann, der selbst nicht so recht wußte, wie er auf den und dem Reichsadler geschmückten und auf einem erhöhten Platze stehenden Sessel des Stadtgewaltigen gekommen war, und der sich deshalb in seiner Haut keineswegs recht behaglich fühlte. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/607>, abgerufen am 27.06.2024.