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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Memphis und die Pyramiden
Ld. Högl von

iederholt schon hatten uns die Pyramiden gewinkt, wenn wir auf
der Zitadelle Kairos oder ans dem Gipfel des Mokattam stehend
die Blicke über die Stadt mit ihrem lärmenden Leben in das stille
Feld hinüberschweifen ließen, wo einst die Bewohner von Memphis
ihre Toten bestatteten. Doch zunächst reizte uns der Strudel
des Kairoer Lebens mehr als das düstre Reich des Anubis. Vor unserm Ein¬
tritt in das Land der Pharaonen mußten wir das moderne Ägypten kennen
lernen. Jetzt haben wir Kairo nach allen Richtungen hin durchwandert, seine
herrlichen Moscheen gesehen und das Leben und Treiben ans seinen Straßen
bewundert; wohl möchten wir noch länger hier verweilen, um einen tiefern Ein¬
blick in das morgenländische Leben zu gewinnen, als es ein so kurzer Aufent¬
halt erlaubt, aber der Reiseplan muß bei der knapp bemessenen Zeit streng ein¬
gehalten werden, und die für Kairo bestimmte Zeit ist verstrichen. Auch das
Wasser des Nils ist schon bedenklich gefallen, und wenn wir in Oberägypten
noch die Nildampfer benutzen wollen, wird es die höchste Zeit zum Aufbruch,
denn bis Assuan ist es noch eine weite Reise. Doch etwas ist noch notwendig,
bevor wir uns dem alten Ägypten zuwenden, das ist der Besuch des großen
Museums der ägyptischen Altertümer. Der Khedive Ismail, der so viel getan
hat, Ägypten aus vieltausendjährigen Schlaf zu neuem Leben zu erwecken, hat
es erbaut und die ungeheuern Schätze, die durch die Ausgrabungen des fran¬
zösischen Archäologen Mcmette, der in seinem Auftrage ganz Ägypten bis nach
Nubien hinauf durchforschte, zutage gefördert worden sind, darin aufgespeichert.
So bietet das Museum einen Einblick in die gesamte Kultur des ältesten Volkes
dieser Erde, das in einem geordneten Staatswesen lebte, wie man ihn besser
nirgends erhält, weder in den Tempeln noch in den Gräbern der alten Ägypter.
Das hätte vor hundert Jahren niemand geahnt, daß der Staub der Wüste
solche Schätze berge. Wohl wußte man damals manches von dem großen
Kulturvolk, das einst Ägypten bewohnt hat. aus der Bibel und aus den Reise-
beschreibungen griechischer und römischer Schriftsteller, wohl sah man mit Be¬
wunderung die Rieseubnuten der Tempel und der Pyramiden, die sich in der
trocknen Luft Ägyptens so gut erhalten haben, aber wie konnte man eine ge¬
nauere Kenntnis erlangen von dem Kulturstande dieses längst vergangnen Volkes,
von seinen Sitten und Gebräuchen, von seiner Kunst und seiner Wissenschaft,
solange noch der Sand der Wüste sorgsam die Gräber verbarg, über die er sich
im Laufe der Jahrtausende gelagert hatte, und die in ihrem Innern die Er¬
zeugnisse dieser Kultur unberührt von Luft und Licht bewahrten, und solange
noch die geheimnisvolle Schrift, die in den Tempeln die großen Flächen der




Memphis und die Pyramiden
Ld. Högl von

iederholt schon hatten uns die Pyramiden gewinkt, wenn wir auf
der Zitadelle Kairos oder ans dem Gipfel des Mokattam stehend
die Blicke über die Stadt mit ihrem lärmenden Leben in das stille
Feld hinüberschweifen ließen, wo einst die Bewohner von Memphis
ihre Toten bestatteten. Doch zunächst reizte uns der Strudel
des Kairoer Lebens mehr als das düstre Reich des Anubis. Vor unserm Ein¬
tritt in das Land der Pharaonen mußten wir das moderne Ägypten kennen
lernen. Jetzt haben wir Kairo nach allen Richtungen hin durchwandert, seine
herrlichen Moscheen gesehen und das Leben und Treiben ans seinen Straßen
bewundert; wohl möchten wir noch länger hier verweilen, um einen tiefern Ein¬
blick in das morgenländische Leben zu gewinnen, als es ein so kurzer Aufent¬
halt erlaubt, aber der Reiseplan muß bei der knapp bemessenen Zeit streng ein¬
gehalten werden, und die für Kairo bestimmte Zeit ist verstrichen. Auch das
Wasser des Nils ist schon bedenklich gefallen, und wenn wir in Oberägypten
noch die Nildampfer benutzen wollen, wird es die höchste Zeit zum Aufbruch,
denn bis Assuan ist es noch eine weite Reise. Doch etwas ist noch notwendig,
bevor wir uns dem alten Ägypten zuwenden, das ist der Besuch des großen
Museums der ägyptischen Altertümer. Der Khedive Ismail, der so viel getan
hat, Ägypten aus vieltausendjährigen Schlaf zu neuem Leben zu erwecken, hat
es erbaut und die ungeheuern Schätze, die durch die Ausgrabungen des fran¬
zösischen Archäologen Mcmette, der in seinem Auftrage ganz Ägypten bis nach
Nubien hinauf durchforschte, zutage gefördert worden sind, darin aufgespeichert.
So bietet das Museum einen Einblick in die gesamte Kultur des ältesten Volkes
dieser Erde, das in einem geordneten Staatswesen lebte, wie man ihn besser
nirgends erhält, weder in den Tempeln noch in den Gräbern der alten Ägypter.
Das hätte vor hundert Jahren niemand geahnt, daß der Staub der Wüste
solche Schätze berge. Wohl wußte man damals manches von dem großen
Kulturvolk, das einst Ägypten bewohnt hat. aus der Bibel und aus den Reise-
beschreibungen griechischer und römischer Schriftsteller, wohl sah man mit Be¬
wunderung die Rieseubnuten der Tempel und der Pyramiden, die sich in der
trocknen Luft Ägyptens so gut erhalten haben, aber wie konnte man eine ge¬
nauere Kenntnis erlangen von dem Kulturstande dieses längst vergangnen Volkes,
von seinen Sitten und Gebräuchen, von seiner Kunst und seiner Wissenschaft,
solange noch der Sand der Wüste sorgsam die Gräber verbarg, über die er sich
im Laufe der Jahrtausende gelagert hatte, und die in ihrem Innern die Er¬
zeugnisse dieser Kultur unberührt von Luft und Licht bewahrten, und solange
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[0215] [Abbildung] Memphis und die Pyramiden Ld. Högl von iederholt schon hatten uns die Pyramiden gewinkt, wenn wir auf der Zitadelle Kairos oder ans dem Gipfel des Mokattam stehend die Blicke über die Stadt mit ihrem lärmenden Leben in das stille Feld hinüberschweifen ließen, wo einst die Bewohner von Memphis ihre Toten bestatteten. Doch zunächst reizte uns der Strudel des Kairoer Lebens mehr als das düstre Reich des Anubis. Vor unserm Ein¬ tritt in das Land der Pharaonen mußten wir das moderne Ägypten kennen lernen. Jetzt haben wir Kairo nach allen Richtungen hin durchwandert, seine herrlichen Moscheen gesehen und das Leben und Treiben ans seinen Straßen bewundert; wohl möchten wir noch länger hier verweilen, um einen tiefern Ein¬ blick in das morgenländische Leben zu gewinnen, als es ein so kurzer Aufent¬ halt erlaubt, aber der Reiseplan muß bei der knapp bemessenen Zeit streng ein¬ gehalten werden, und die für Kairo bestimmte Zeit ist verstrichen. Auch das Wasser des Nils ist schon bedenklich gefallen, und wenn wir in Oberägypten noch die Nildampfer benutzen wollen, wird es die höchste Zeit zum Aufbruch, denn bis Assuan ist es noch eine weite Reise. Doch etwas ist noch notwendig, bevor wir uns dem alten Ägypten zuwenden, das ist der Besuch des großen Museums der ägyptischen Altertümer. Der Khedive Ismail, der so viel getan hat, Ägypten aus vieltausendjährigen Schlaf zu neuem Leben zu erwecken, hat es erbaut und die ungeheuern Schätze, die durch die Ausgrabungen des fran¬ zösischen Archäologen Mcmette, der in seinem Auftrage ganz Ägypten bis nach Nubien hinauf durchforschte, zutage gefördert worden sind, darin aufgespeichert. So bietet das Museum einen Einblick in die gesamte Kultur des ältesten Volkes dieser Erde, das in einem geordneten Staatswesen lebte, wie man ihn besser nirgends erhält, weder in den Tempeln noch in den Gräbern der alten Ägypter. Das hätte vor hundert Jahren niemand geahnt, daß der Staub der Wüste solche Schätze berge. Wohl wußte man damals manches von dem großen Kulturvolk, das einst Ägypten bewohnt hat. aus der Bibel und aus den Reise- beschreibungen griechischer und römischer Schriftsteller, wohl sah man mit Be¬ wunderung die Rieseubnuten der Tempel und der Pyramiden, die sich in der trocknen Luft Ägyptens so gut erhalten haben, aber wie konnte man eine ge¬ nauere Kenntnis erlangen von dem Kulturstande dieses längst vergangnen Volkes, von seinen Sitten und Gebräuchen, von seiner Kunst und seiner Wissenschaft, solange noch der Sand der Wüste sorgsam die Gräber verbarg, über die er sich im Laufe der Jahrtausende gelagert hatte, und die in ihrem Innern die Er¬ zeugnisse dieser Kultur unberührt von Luft und Licht bewahrten, und solange noch die geheimnisvolle Schrift, die in den Tempeln die großen Flächen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/215>, abgerufen am 04.07.2024.