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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

ebensowenig das Reich 1900 wegen der Buren eine feindselige Politik gegen
England einschlagen, obgleich die Volksstimmung jedesmal "einmütig" dafür
war, während nach einigen Jahren, sobald die ruhige Einsicht wiedergekehrt
war, niemand dabei gewesen sein wollte. Die geographische Lage Deutschlands
verbietet es schlechthin, daß es seine Landesverteidigung und seine äußere
Politik von den wechselnden Tagesmeinungen und den Schwankungen der
parlamentarischen Mehrheit abhängig macht. Darum weiß auch die Reichsver¬
fassung, wissen auch sämtliche Verfassungen der deutschen Einzelstaaten von der
französischen und englischen parlamentarischen Regierungsweise nichts, sie kennen
nicht das Auftauchen und Verschwinden von Ministerien nach der jeweiligen
Mehrheit. Unter diesen Umständen hat auch das Wahlen für oder gegen die
Regierung in ganz Deutschland keinen Sinn, am wenigsten bei den Reichstags-
wählen, bei denen ohnehin wegen der starken und sogar ausschlaggebenden Be¬
teiligung der minder bemittelten Bevölkerungsschichten die natürliche Anlage
zur Unzufriedenheit gegeben ist. Diese fallen leicht dem politischen Anreißer,
der ihre bedrängte Lage mit beweglichen Worten übertreibt und in politischen
Zukunftsphantasien Abhilfe und glückliche Zeiten verspricht, in die Hände. "Ich
glaube, daß das so schwer nicht ist, das Gewähltwerden. Wenn man ver¬
sprechen kann, so kann man auch gewählt werden," sagte Bismarck schon am
1. Juni 1865 im preußischen Abgeordnetenhause. Das war also schon unter
dem preußischen Klassenwahlrccht möglich, geschweige unter dem allgemeinen
Wahlrecht Schluß folgt) .




Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik
(Schluß)

MM
<^F---M^^> le römische Kirche hat den Völkern des Abendlandes das Christen¬
tum gebracht und Reste der antiken Kultur übermittelt, hat alle
Kulturarbeit bis um das Jahr 1100 teils allein teils in Wechsel¬
wirkung mit germanischen Fürsten, dann in Konkurrenz mit den
I Bürgerschaften der aufblühenden Städte geleistet, endlich, nach
ihrem tiefen Verfall im vierzehnten und im fünfzehnten Jahrhundert durch die
Reformation zur innern Erneuerung gezwungen, bei den ihr treu Gebliebnen
in der diesen entsprechenden Weise die Religion gepflegt. In unsrer Zeit
leistet sie außerdem der Christenheit den Dienst, daß sie, unbeirrt durch den
verführerischen Schein philosophischer und naturwissenschaftlicher Beweise, den
Glauben an das Jenseits unerschütterlich festhält und durch die Bewahrung der
Gesinnung, die sich in der Bergpredigt ausspricht, ein Gegengewicht schafft
gegen die völlige Verweltlichung und die rücksichtslose Jagd nach irdischen
Gütern, der sich der protestantische Norden mehr und mehr ergibt. Ihre
Organe für diese Leistung sind die klösterlichen Orden, denen von ihren ehe¬
maligen Kulturaufgaben fast nur die Krankenpflege geblieben ist. Für jeden


Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

ebensowenig das Reich 1900 wegen der Buren eine feindselige Politik gegen
England einschlagen, obgleich die Volksstimmung jedesmal „einmütig" dafür
war, während nach einigen Jahren, sobald die ruhige Einsicht wiedergekehrt
war, niemand dabei gewesen sein wollte. Die geographische Lage Deutschlands
verbietet es schlechthin, daß es seine Landesverteidigung und seine äußere
Politik von den wechselnden Tagesmeinungen und den Schwankungen der
parlamentarischen Mehrheit abhängig macht. Darum weiß auch die Reichsver¬
fassung, wissen auch sämtliche Verfassungen der deutschen Einzelstaaten von der
französischen und englischen parlamentarischen Regierungsweise nichts, sie kennen
nicht das Auftauchen und Verschwinden von Ministerien nach der jeweiligen
Mehrheit. Unter diesen Umständen hat auch das Wahlen für oder gegen die
Regierung in ganz Deutschland keinen Sinn, am wenigsten bei den Reichstags-
wählen, bei denen ohnehin wegen der starken und sogar ausschlaggebenden Be¬
teiligung der minder bemittelten Bevölkerungsschichten die natürliche Anlage
zur Unzufriedenheit gegeben ist. Diese fallen leicht dem politischen Anreißer,
der ihre bedrängte Lage mit beweglichen Worten übertreibt und in politischen
Zukunftsphantasien Abhilfe und glückliche Zeiten verspricht, in die Hände. „Ich
glaube, daß das so schwer nicht ist, das Gewähltwerden. Wenn man ver¬
sprechen kann, so kann man auch gewählt werden," sagte Bismarck schon am
1. Juni 1865 im preußischen Abgeordnetenhause. Das war also schon unter
dem preußischen Klassenwahlrccht möglich, geschweige unter dem allgemeinen
Wahlrecht Schluß folgt) .




Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik
(Schluß)

MM
<^F---M^^> le römische Kirche hat den Völkern des Abendlandes das Christen¬
tum gebracht und Reste der antiken Kultur übermittelt, hat alle
Kulturarbeit bis um das Jahr 1100 teils allein teils in Wechsel¬
wirkung mit germanischen Fürsten, dann in Konkurrenz mit den
I Bürgerschaften der aufblühenden Städte geleistet, endlich, nach
ihrem tiefen Verfall im vierzehnten und im fünfzehnten Jahrhundert durch die
Reformation zur innern Erneuerung gezwungen, bei den ihr treu Gebliebnen
in der diesen entsprechenden Weise die Religion gepflegt. In unsrer Zeit
leistet sie außerdem der Christenheit den Dienst, daß sie, unbeirrt durch den
verführerischen Schein philosophischer und naturwissenschaftlicher Beweise, den
Glauben an das Jenseits unerschütterlich festhält und durch die Bewahrung der
Gesinnung, die sich in der Bergpredigt ausspricht, ein Gegengewicht schafft
gegen die völlige Verweltlichung und die rücksichtslose Jagd nach irdischen
Gütern, der sich der protestantische Norden mehr und mehr ergibt. Ihre
Organe für diese Leistung sind die klösterlichen Orden, denen von ihren ehe¬
maligen Kulturaufgaben fast nur die Krankenpflege geblieben ist. Für jeden


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[0650] Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik ebensowenig das Reich 1900 wegen der Buren eine feindselige Politik gegen England einschlagen, obgleich die Volksstimmung jedesmal „einmütig" dafür war, während nach einigen Jahren, sobald die ruhige Einsicht wiedergekehrt war, niemand dabei gewesen sein wollte. Die geographische Lage Deutschlands verbietet es schlechthin, daß es seine Landesverteidigung und seine äußere Politik von den wechselnden Tagesmeinungen und den Schwankungen der parlamentarischen Mehrheit abhängig macht. Darum weiß auch die Reichsver¬ fassung, wissen auch sämtliche Verfassungen der deutschen Einzelstaaten von der französischen und englischen parlamentarischen Regierungsweise nichts, sie kennen nicht das Auftauchen und Verschwinden von Ministerien nach der jeweiligen Mehrheit. Unter diesen Umständen hat auch das Wahlen für oder gegen die Regierung in ganz Deutschland keinen Sinn, am wenigsten bei den Reichstags- wählen, bei denen ohnehin wegen der starken und sogar ausschlaggebenden Be¬ teiligung der minder bemittelten Bevölkerungsschichten die natürliche Anlage zur Unzufriedenheit gegeben ist. Diese fallen leicht dem politischen Anreißer, der ihre bedrängte Lage mit beweglichen Worten übertreibt und in politischen Zukunftsphantasien Abhilfe und glückliche Zeiten verspricht, in die Hände. „Ich glaube, daß das so schwer nicht ist, das Gewähltwerden. Wenn man ver¬ sprechen kann, so kann man auch gewählt werden," sagte Bismarck schon am 1. Juni 1865 im preußischen Abgeordnetenhause. Das war also schon unter dem preußischen Klassenwahlrccht möglich, geschweige unter dem allgemeinen Wahlrecht Schluß folgt) . Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik (Schluß) MM <^F---M^^> le römische Kirche hat den Völkern des Abendlandes das Christen¬ tum gebracht und Reste der antiken Kultur übermittelt, hat alle Kulturarbeit bis um das Jahr 1100 teils allein teils in Wechsel¬ wirkung mit germanischen Fürsten, dann in Konkurrenz mit den I Bürgerschaften der aufblühenden Städte geleistet, endlich, nach ihrem tiefen Verfall im vierzehnten und im fünfzehnten Jahrhundert durch die Reformation zur innern Erneuerung gezwungen, bei den ihr treu Gebliebnen in der diesen entsprechenden Weise die Religion gepflegt. In unsrer Zeit leistet sie außerdem der Christenheit den Dienst, daß sie, unbeirrt durch den verführerischen Schein philosophischer und naturwissenschaftlicher Beweise, den Glauben an das Jenseits unerschütterlich festhält und durch die Bewahrung der Gesinnung, die sich in der Bergpredigt ausspricht, ein Gegengewicht schafft gegen die völlige Verweltlichung und die rücksichtslose Jagd nach irdischen Gütern, der sich der protestantische Norden mehr und mehr ergibt. Ihre Organe für diese Leistung sind die klösterlichen Orden, denen von ihren ehe¬ maligen Kulturaufgaben fast nur die Krankenpflege geblieben ist. Für jeden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/650>, abgerufen am 23.07.2024.