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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

die ebensoviel oder höhere Zinsen haben, als ihr Gehalt beträgt. Aber die be¬
rufslosen Frauen haben so viele Bedürfnisse, von denen die Lehrerin nichts weiß.
Auf Theater, Konzerte, Bülte usw. hat gleich mir manche Lehrerin verzichten
müssen, weil der Körper die damit verbundnen Anstrengungen neben der Schule
nicht mehr aushält. Niemand reist auch so billig wie die Lehrerin, denn ihr
allein stehn die Lehrerinnenheime offen sich habe zum Beispiel in Dresden für
1,60 Mark gewohnt und gegessen); sie sucht die Damenbahnhofsheime im Jn-
und im Auslande auf, sie findet fast in allen Bädern Ermäßigung auf ihre
Mitgliedskarte vom Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein, sie rechnet mit
Pfennigen, wo andre an die Mark denken. Sie reist, weil es einfach Lebensfrage
für sie ist, weil sie andre Eindrücke bekommen muß, wenn sie die Elastizität für
den Beruf behalten soll. Aber die Lehrerinnen, die nicht bei ihrer Familie
wohnen können, sondern einen eignen Haushalt führen müssen, die haben in
den ersten zehn Dienstjahren gerade so viel, daß sie sich sattessen können, für
die fällt alles das, was das Leben schmückt, weg. Mir sagte eine sehr praktische
Lehrerin einmal -- um ein drastisches Beispiel zu erwähnen: "Ja, Schinken
kann ich mir natürlich nicht leisten, das ist Luxus!"

Die Sorge für das Alter und die Geldfrage, außer innerlichen Gründen,
hat neuerdings eine neue Schwesternfrage gezeitigt. Es können sich eben nicht
mehr alle Schwestern erlauben, Diakonissin zu werden, trotzdem daß sie als solche
vielleicht am besten auf ihrem Platze wären. Auch bei den Lehrerinnen sind
es dieselben Fragen, die der Volksschule manche ausgezeichnete Kraft nehmen.
Denn wenn man nach Opferung einiger tausend Mark und nach Ablegung des
Examens pro tÄouitatL clovenäi das Doppelte, ja das Dreifache des jetzigen
Gehalts bekommen kann, so ist das nicht zu unterschätzen. Wer ganz sein eignes
Leben leben kann, wer imstande ist, sich ganz frei vom Familiendienst zu machen,
der wird als Volksschnllehrerin im idealsten Sinne das sein können, was die
Diakonissin, die Gemeindeschwester unter den Schwestern ist. Hier wie dort
kann der Beruf, im weitesten Sinne genommen, das ganze Leben ausfüllen.




Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer
von Schleinitz
Otto Ldnard Schmidt von (Schluß)

> er dritte und in gewissem Sinne wichtigste Punkt für die Schleinitzer
Erinnerungen ist das den Reinen des Geschlechts tragende alte Wasser¬
schloß. Wir haben es, während sich unsre Gedanken in den weiten
Gefilden der Schleinitzischen Geschlechtsgeschichte ergingen, längst er¬
reicht und verweilen nun ein wenig bei dem denkwürdigen Bau. Das
! Verhängnis hat es gewollt, daß gerade das Schloß Schleinitz zu den
Besitzungen der Familie gehörte, die ihr am frühesten entrissen wurden: schon 1607,
nach dem Tode Abrahams von Schleinitz (gestorben 1594), ging das Schloß an dessen
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Grenzboten I I90S 73
Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

die ebensoviel oder höhere Zinsen haben, als ihr Gehalt beträgt. Aber die be¬
rufslosen Frauen haben so viele Bedürfnisse, von denen die Lehrerin nichts weiß.
Auf Theater, Konzerte, Bülte usw. hat gleich mir manche Lehrerin verzichten
müssen, weil der Körper die damit verbundnen Anstrengungen neben der Schule
nicht mehr aushält. Niemand reist auch so billig wie die Lehrerin, denn ihr
allein stehn die Lehrerinnenheime offen sich habe zum Beispiel in Dresden für
1,60 Mark gewohnt und gegessen); sie sucht die Damenbahnhofsheime im Jn-
und im Auslande auf, sie findet fast in allen Bädern Ermäßigung auf ihre
Mitgliedskarte vom Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein, sie rechnet mit
Pfennigen, wo andre an die Mark denken. Sie reist, weil es einfach Lebensfrage
für sie ist, weil sie andre Eindrücke bekommen muß, wenn sie die Elastizität für
den Beruf behalten soll. Aber die Lehrerinnen, die nicht bei ihrer Familie
wohnen können, sondern einen eignen Haushalt führen müssen, die haben in
den ersten zehn Dienstjahren gerade so viel, daß sie sich sattessen können, für
die fällt alles das, was das Leben schmückt, weg. Mir sagte eine sehr praktische
Lehrerin einmal — um ein drastisches Beispiel zu erwähnen: „Ja, Schinken
kann ich mir natürlich nicht leisten, das ist Luxus!"

Die Sorge für das Alter und die Geldfrage, außer innerlichen Gründen,
hat neuerdings eine neue Schwesternfrage gezeitigt. Es können sich eben nicht
mehr alle Schwestern erlauben, Diakonissin zu werden, trotzdem daß sie als solche
vielleicht am besten auf ihrem Platze wären. Auch bei den Lehrerinnen sind
es dieselben Fragen, die der Volksschule manche ausgezeichnete Kraft nehmen.
Denn wenn man nach Opferung einiger tausend Mark und nach Ablegung des
Examens pro tÄouitatL clovenäi das Doppelte, ja das Dreifache des jetzigen
Gehalts bekommen kann, so ist das nicht zu unterschätzen. Wer ganz sein eignes
Leben leben kann, wer imstande ist, sich ganz frei vom Familiendienst zu machen,
der wird als Volksschnllehrerin im idealsten Sinne das sein können, was die
Diakonissin, die Gemeindeschwester unter den Schwestern ist. Hier wie dort
kann der Beruf, im weitesten Sinne genommen, das ganze Leben ausfüllen.




Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer
von Schleinitz
Otto Ldnard Schmidt von (Schluß)

> er dritte und in gewissem Sinne wichtigste Punkt für die Schleinitzer
Erinnerungen ist das den Reinen des Geschlechts tragende alte Wasser¬
schloß. Wir haben es, während sich unsre Gedanken in den weiten
Gefilden der Schleinitzischen Geschlechtsgeschichte ergingen, längst er¬
reicht und verweilen nun ein wenig bei dem denkwürdigen Bau. Das
! Verhängnis hat es gewollt, daß gerade das Schloß Schleinitz zu den
Besitzungen der Familie gehörte, die ihr am frühesten entrissen wurden: schon 1607,
nach dem Tode Abrahams von Schleinitz (gestorben 1594), ging das Schloß an dessen
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[0561] Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz die ebensoviel oder höhere Zinsen haben, als ihr Gehalt beträgt. Aber die be¬ rufslosen Frauen haben so viele Bedürfnisse, von denen die Lehrerin nichts weiß. Auf Theater, Konzerte, Bülte usw. hat gleich mir manche Lehrerin verzichten müssen, weil der Körper die damit verbundnen Anstrengungen neben der Schule nicht mehr aushält. Niemand reist auch so billig wie die Lehrerin, denn ihr allein stehn die Lehrerinnenheime offen sich habe zum Beispiel in Dresden für 1,60 Mark gewohnt und gegessen); sie sucht die Damenbahnhofsheime im Jn- und im Auslande auf, sie findet fast in allen Bädern Ermäßigung auf ihre Mitgliedskarte vom Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein, sie rechnet mit Pfennigen, wo andre an die Mark denken. Sie reist, weil es einfach Lebensfrage für sie ist, weil sie andre Eindrücke bekommen muß, wenn sie die Elastizität für den Beruf behalten soll. Aber die Lehrerinnen, die nicht bei ihrer Familie wohnen können, sondern einen eignen Haushalt führen müssen, die haben in den ersten zehn Dienstjahren gerade so viel, daß sie sich sattessen können, für die fällt alles das, was das Leben schmückt, weg. Mir sagte eine sehr praktische Lehrerin einmal — um ein drastisches Beispiel zu erwähnen: „Ja, Schinken kann ich mir natürlich nicht leisten, das ist Luxus!" Die Sorge für das Alter und die Geldfrage, außer innerlichen Gründen, hat neuerdings eine neue Schwesternfrage gezeitigt. Es können sich eben nicht mehr alle Schwestern erlauben, Diakonissin zu werden, trotzdem daß sie als solche vielleicht am besten auf ihrem Platze wären. Auch bei den Lehrerinnen sind es dieselben Fragen, die der Volksschule manche ausgezeichnete Kraft nehmen. Denn wenn man nach Opferung einiger tausend Mark und nach Ablegung des Examens pro tÄouitatL clovenäi das Doppelte, ja das Dreifache des jetzigen Gehalts bekommen kann, so ist das nicht zu unterschätzen. Wer ganz sein eignes Leben leben kann, wer imstande ist, sich ganz frei vom Familiendienst zu machen, der wird als Volksschnllehrerin im idealsten Sinne das sein können, was die Diakonissin, die Gemeindeschwester unter den Schwestern ist. Hier wie dort kann der Beruf, im weitesten Sinne genommen, das ganze Leben ausfüllen. Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Otto Ldnard Schmidt von (Schluß) > er dritte und in gewissem Sinne wichtigste Punkt für die Schleinitzer Erinnerungen ist das den Reinen des Geschlechts tragende alte Wasser¬ schloß. Wir haben es, während sich unsre Gedanken in den weiten Gefilden der Schleinitzischen Geschlechtsgeschichte ergingen, längst er¬ reicht und verweilen nun ein wenig bei dem denkwürdigen Bau. Das ! Verhängnis hat es gewollt, daß gerade das Schloß Schleinitz zu den Besitzungen der Familie gehörte, die ihr am frühesten entrissen wurden: schon 1607, nach dem Tode Abrahams von Schleinitz (gestorben 1594), ging das Schloß an dessen ' Grenzboten I I90S 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/561>, abgerufen am 23.07.2024.