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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Petri," das von Napoleon im Jahre 1802 nach Paris gebracht war, von
dort herbeigeschafft werde und nächstens im Triumph wieder an seine ehemalige
Stelle gelangen solle. Er habe sich gefreut, daß einer zahlreichen Bürgerschaft
durch eine einfache, große Handlung das herrliche Gefühl gegeben worden sei,
nunmehr einem Fürsten anzugehören, der kräftig genug sei, ihnen in so hohem
Sinne Recht zu verschaffen und ein schmählich vermißtes Eigentum wieder zu
erstatten. Der Dichter weilte damals vom 25. bis 27. Juli in Köln und
wurde vor allem unwiderstehlich zum Dome hingezogen, fühlte sich aber
von einer schmerzlichen Empfindung belastet, wenn er das Weltwunder in
seiner unvollendeten Schönheit von außen und innen beschaut hatte. Seine
Sehnsucht nach der Vollendung dieses gewaltigen Werkes drückte er damals
in den Worten aus, daß ein groß gedachtes Meisterwerk nur in der
Vollendung jene Wirkung hervorbringe, die der außerordentliche Geist beab¬
sichtigte: das Ungeheure faßlich zu machen. Der Dichter konnte nicht ahnen,
daß der ersehnte Zeitpunkt erst nach langen Jahren eintreten würde, daß aber
der Grundstein zum Weiterbau des Domes im Jahre 1842 in Gegenwart
eines kunstsinnigen Hohenzollern gelegt werden, und daß am 15. Oktober 1880
wieder unter den Augen eines hochherzigen Hohenzollern das Fest der
Vollendung des Dombaues gefeiert werden sollte.

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie groß die Verehrung des Dichters für
einzelne Vertreter des Hohenzollernhauses war. Aber seine Vorliebe war doch
wesentlich auf die Persönlichkeit gerichtet, preußisch ist er im eigentlichen Sinne
nie gewesen. Im allgemeinen gilt für seine Verehrung das Wort, das er in
Dichtung und Wahrheit (I, 2) von Friedrich dem Großen sprach: "Und so war
ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt; was ging
uus Preußen an! Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle
Gemüter wirkte."




Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer
von Schleinitz
Otto Lduard Schmidt von

I as gesegnetste Stück des alten Meißner Landes ist ohne Zweifel die
! Lommatzscher Pflege. Bis auf den sagenumwobnen Bischof Benno
> wird der Ausspruch zurückgeführt, sie sei "des Landes Myssen große
Korntenne." Spätere bezeichneten sie weniger geschmackvoll als
"Sachsens Schmalzgrube," und heute noch heißen ihre Insassen im
Volksmunde die "Sammetbauern." Der verdiente Herausgeber des
Staatslexikons von Sachsen, August Schumann, der als ehemaliger Lehrer an der
Meißner Fürstenschule die Gegend aus eigner Anschauung kannte, schrieb im
Jahre 1819: "Noch jetzt ist die Lommatzscher Pflege gleichsam der Maßstab,
wonach man in Sachsen Fruchtbarkeit und ländliche Wohlhabenheit zu schätzen
pflegt. Hier liegt in Wahrheit Dorf an Dorf, und der Boden ist so üppig, daß
man hier kaum die Bräche kennt. Hier arbeitet und speist der größere Bauer


Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Petri," das von Napoleon im Jahre 1802 nach Paris gebracht war, von
dort herbeigeschafft werde und nächstens im Triumph wieder an seine ehemalige
Stelle gelangen solle. Er habe sich gefreut, daß einer zahlreichen Bürgerschaft
durch eine einfache, große Handlung das herrliche Gefühl gegeben worden sei,
nunmehr einem Fürsten anzugehören, der kräftig genug sei, ihnen in so hohem
Sinne Recht zu verschaffen und ein schmählich vermißtes Eigentum wieder zu
erstatten. Der Dichter weilte damals vom 25. bis 27. Juli in Köln und
wurde vor allem unwiderstehlich zum Dome hingezogen, fühlte sich aber
von einer schmerzlichen Empfindung belastet, wenn er das Weltwunder in
seiner unvollendeten Schönheit von außen und innen beschaut hatte. Seine
Sehnsucht nach der Vollendung dieses gewaltigen Werkes drückte er damals
in den Worten aus, daß ein groß gedachtes Meisterwerk nur in der
Vollendung jene Wirkung hervorbringe, die der außerordentliche Geist beab¬
sichtigte: das Ungeheure faßlich zu machen. Der Dichter konnte nicht ahnen,
daß der ersehnte Zeitpunkt erst nach langen Jahren eintreten würde, daß aber
der Grundstein zum Weiterbau des Domes im Jahre 1842 in Gegenwart
eines kunstsinnigen Hohenzollern gelegt werden, und daß am 15. Oktober 1880
wieder unter den Augen eines hochherzigen Hohenzollern das Fest der
Vollendung des Dombaues gefeiert werden sollte.

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie groß die Verehrung des Dichters für
einzelne Vertreter des Hohenzollernhauses war. Aber seine Vorliebe war doch
wesentlich auf die Persönlichkeit gerichtet, preußisch ist er im eigentlichen Sinne
nie gewesen. Im allgemeinen gilt für seine Verehrung das Wort, das er in
Dichtung und Wahrheit (I, 2) von Friedrich dem Großen sprach: „Und so war
ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt; was ging
uus Preußen an! Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle
Gemüter wirkte."




Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer
von Schleinitz
Otto Lduard Schmidt von

I as gesegnetste Stück des alten Meißner Landes ist ohne Zweifel die
! Lommatzscher Pflege. Bis auf den sagenumwobnen Bischof Benno
> wird der Ausspruch zurückgeführt, sie sei „des Landes Myssen große
Korntenne." Spätere bezeichneten sie weniger geschmackvoll als
„Sachsens Schmalzgrube," und heute noch heißen ihre Insassen im
Volksmunde die „Sammetbauern." Der verdiente Herausgeber des
Staatslexikons von Sachsen, August Schumann, der als ehemaliger Lehrer an der
Meißner Fürstenschule die Gegend aus eigner Anschauung kannte, schrieb im
Jahre 1819: „Noch jetzt ist die Lommatzscher Pflege gleichsam der Maßstab,
wonach man in Sachsen Fruchtbarkeit und ländliche Wohlhabenheit zu schätzen
pflegt. Hier liegt in Wahrheit Dorf an Dorf, und der Boden ist so üppig, daß
man hier kaum die Bräche kennt. Hier arbeitet und speist der größere Bauer


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[0508] Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Petri," das von Napoleon im Jahre 1802 nach Paris gebracht war, von dort herbeigeschafft werde und nächstens im Triumph wieder an seine ehemalige Stelle gelangen solle. Er habe sich gefreut, daß einer zahlreichen Bürgerschaft durch eine einfache, große Handlung das herrliche Gefühl gegeben worden sei, nunmehr einem Fürsten anzugehören, der kräftig genug sei, ihnen in so hohem Sinne Recht zu verschaffen und ein schmählich vermißtes Eigentum wieder zu erstatten. Der Dichter weilte damals vom 25. bis 27. Juli in Köln und wurde vor allem unwiderstehlich zum Dome hingezogen, fühlte sich aber von einer schmerzlichen Empfindung belastet, wenn er das Weltwunder in seiner unvollendeten Schönheit von außen und innen beschaut hatte. Seine Sehnsucht nach der Vollendung dieses gewaltigen Werkes drückte er damals in den Worten aus, daß ein groß gedachtes Meisterwerk nur in der Vollendung jene Wirkung hervorbringe, die der außerordentliche Geist beab¬ sichtigte: das Ungeheure faßlich zu machen. Der Dichter konnte nicht ahnen, daß der ersehnte Zeitpunkt erst nach langen Jahren eintreten würde, daß aber der Grundstein zum Weiterbau des Domes im Jahre 1842 in Gegenwart eines kunstsinnigen Hohenzollern gelegt werden, und daß am 15. Oktober 1880 wieder unter den Augen eines hochherzigen Hohenzollern das Fest der Vollendung des Dombaues gefeiert werden sollte. Diese wenigen Beispiele zeigen, wie groß die Verehrung des Dichters für einzelne Vertreter des Hohenzollernhauses war. Aber seine Vorliebe war doch wesentlich auf die Persönlichkeit gerichtet, preußisch ist er im eigentlichen Sinne nie gewesen. Im allgemeinen gilt für seine Verehrung das Wort, das er in Dichtung und Wahrheit (I, 2) von Friedrich dem Großen sprach: „Und so war ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt; was ging uus Preußen an! Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte." Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Otto Lduard Schmidt von I as gesegnetste Stück des alten Meißner Landes ist ohne Zweifel die ! Lommatzscher Pflege. Bis auf den sagenumwobnen Bischof Benno > wird der Ausspruch zurückgeführt, sie sei „des Landes Myssen große Korntenne." Spätere bezeichneten sie weniger geschmackvoll als „Sachsens Schmalzgrube," und heute noch heißen ihre Insassen im Volksmunde die „Sammetbauern." Der verdiente Herausgeber des Staatslexikons von Sachsen, August Schumann, der als ehemaliger Lehrer an der Meißner Fürstenschule die Gegend aus eigner Anschauung kannte, schrieb im Jahre 1819: „Noch jetzt ist die Lommatzscher Pflege gleichsam der Maßstab, wonach man in Sachsen Fruchtbarkeit und ländliche Wohlhabenheit zu schätzen pflegt. Hier liegt in Wahrheit Dorf an Dorf, und der Boden ist so üppig, daß man hier kaum die Bräche kennt. Hier arbeitet und speist der größere Bauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/508>, abgerufen am 23.07.2024.