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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Dcutschösterreichische Parteien

mitbetroffen. Wenn aber die deutschen Vertrage nicht zustande gekommen
wären, so wäre auch die englische Ausfuhr deu hohen autonomen Tarifen
dieser Länder verfallen.

Ein großartiges Werk sind die sieben Verträge auf alle Fälle; das
kann man sagen, auch wenn man es ablehnt, Vorteil und Nachteil zu be¬
ziffern. Die Annahme im deutschen Reichstag ist ganz sicher. Dem Ruf
einer kleinen freihändlerischen Gruppe, den Vertrag zu Fall zu bringen, folgt
das Gros der Freihändler und Sozialdemokraten nicht; er ist abgeblitzt. Ebenso
werden die extremen Agrarier in einer hoffnungslosen Minderheit sein, falls
sie auf eine Ablehnung hinarbeiten. Die Nationalliberalen, das Zentrum,
die gemäßigten Konservativen bilden unter allen Umständen eine Mehrheit;
die Linke, auch wenn sich die Sozialdemokraten absondern sollten, führt der
Mehrheit noch Hilfstruppen zu. Graf Bülow und Graf Posadowsky bleiben
Sieger. Sie brauchen gar nicht einmal nach der äußersten Rechten mit Fort¬
dauer der jetzigen Handelsverträge, nach der äußersten Linken mit Kündigung
der jetzigen Verträge und Inkraftsetzung des neuen Tarifs zu drohen. Die
Sache wird sich diesesmal sehr leicht abwickeln.




Deutschösterreichische Parteien
(Schluß)

ährend der dreizehn Jahre der Regierung Taaffes vollzog sich
die Zertrümmerung der ehemaligen Verfassungspartei, die un¬
ausgesetzt Anstrengungen machte, das Ministerium parlamen¬
tarisch zu "stürzen," um wieder zur Herrschaft zu gelangen,
in sehr langsamem Tempo, und zwar auch nicht, weil man
ihre grundsätzlichen Fehler erkannte, sondern vielmehr durch ein instinktives
Mißtrauen der deutschen Bevölkerung, die den großen Mißerfolg wenigstens
ahnte. Ehedem hatten sich die Deutschösterreicher als die einzige berechtigte
Staatspartei gefühlt, jetzt erkannten sie von Jahr zu Jahr immer deut¬
licher, daß deutscher Liberalisinus und deutsche Vorherrschaft nicht dasselbe
sind. Daß sich dieser deutsche Liberalismus aus die Pfade des reinen Anti¬
klerikalismus und des phrasenreichen demokratischen Parlamentarismus hatte
verlocken lassen, auf dem man nur umzukehren brauchte zu einer praktischen
Staatspolitik, daß damals gerade noch die rechte Zeit dazu war, das wurde
ihnen nicht klar. Daß das Deutschtum unter der bis dahin getriebnen und
nun mißglückter Politik gelitten hatte und unstreitig nicht genügend betont
worden war, lag freilich nahe genug, und darum begann das deutsche Volk
seine nationalpolitische Aufgabe uicht mehr in der ausschließlichen Hingebung
an den ihm national gleichgiltig werdenden Staat zu ersehen. Die Um¬
wandlung der Deutschen ans einer Staatspartei in Volksparteien vollzog
sich verhältnismäßig rasch, doch hat sich bei ihnen an Stelle des den Deutsch¬
österreichern allein zustehenden zentralistischen Standpunkts bisher kein klares
nationales Programm zu bilden vermocht, sondern es geht bei ihnen noch


Dcutschösterreichische Parteien

mitbetroffen. Wenn aber die deutschen Vertrage nicht zustande gekommen
wären, so wäre auch die englische Ausfuhr deu hohen autonomen Tarifen
dieser Länder verfallen.

Ein großartiges Werk sind die sieben Verträge auf alle Fälle; das
kann man sagen, auch wenn man es ablehnt, Vorteil und Nachteil zu be¬
ziffern. Die Annahme im deutschen Reichstag ist ganz sicher. Dem Ruf
einer kleinen freihändlerischen Gruppe, den Vertrag zu Fall zu bringen, folgt
das Gros der Freihändler und Sozialdemokraten nicht; er ist abgeblitzt. Ebenso
werden die extremen Agrarier in einer hoffnungslosen Minderheit sein, falls
sie auf eine Ablehnung hinarbeiten. Die Nationalliberalen, das Zentrum,
die gemäßigten Konservativen bilden unter allen Umständen eine Mehrheit;
die Linke, auch wenn sich die Sozialdemokraten absondern sollten, führt der
Mehrheit noch Hilfstruppen zu. Graf Bülow und Graf Posadowsky bleiben
Sieger. Sie brauchen gar nicht einmal nach der äußersten Rechten mit Fort¬
dauer der jetzigen Handelsverträge, nach der äußersten Linken mit Kündigung
der jetzigen Verträge und Inkraftsetzung des neuen Tarifs zu drohen. Die
Sache wird sich diesesmal sehr leicht abwickeln.




Deutschösterreichische Parteien
(Schluß)

ährend der dreizehn Jahre der Regierung Taaffes vollzog sich
die Zertrümmerung der ehemaligen Verfassungspartei, die un¬
ausgesetzt Anstrengungen machte, das Ministerium parlamen¬
tarisch zu „stürzen," um wieder zur Herrschaft zu gelangen,
in sehr langsamem Tempo, und zwar auch nicht, weil man
ihre grundsätzlichen Fehler erkannte, sondern vielmehr durch ein instinktives
Mißtrauen der deutschen Bevölkerung, die den großen Mißerfolg wenigstens
ahnte. Ehedem hatten sich die Deutschösterreicher als die einzige berechtigte
Staatspartei gefühlt, jetzt erkannten sie von Jahr zu Jahr immer deut¬
licher, daß deutscher Liberalisinus und deutsche Vorherrschaft nicht dasselbe
sind. Daß sich dieser deutsche Liberalismus aus die Pfade des reinen Anti¬
klerikalismus und des phrasenreichen demokratischen Parlamentarismus hatte
verlocken lassen, auf dem man nur umzukehren brauchte zu einer praktischen
Staatspolitik, daß damals gerade noch die rechte Zeit dazu war, das wurde
ihnen nicht klar. Daß das Deutschtum unter der bis dahin getriebnen und
nun mißglückter Politik gelitten hatte und unstreitig nicht genügend betont
worden war, lag freilich nahe genug, und darum begann das deutsche Volk
seine nationalpolitische Aufgabe uicht mehr in der ausschließlichen Hingebung
an den ihm national gleichgiltig werdenden Staat zu ersehen. Die Um¬
wandlung der Deutschen ans einer Staatspartei in Volksparteien vollzog
sich verhältnismäßig rasch, doch hat sich bei ihnen an Stelle des den Deutsch¬
österreichern allein zustehenden zentralistischen Standpunkts bisher kein klares
nationales Programm zu bilden vermocht, sondern es geht bei ihnen noch


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[0314] Dcutschösterreichische Parteien mitbetroffen. Wenn aber die deutschen Vertrage nicht zustande gekommen wären, so wäre auch die englische Ausfuhr deu hohen autonomen Tarifen dieser Länder verfallen. Ein großartiges Werk sind die sieben Verträge auf alle Fälle; das kann man sagen, auch wenn man es ablehnt, Vorteil und Nachteil zu be¬ ziffern. Die Annahme im deutschen Reichstag ist ganz sicher. Dem Ruf einer kleinen freihändlerischen Gruppe, den Vertrag zu Fall zu bringen, folgt das Gros der Freihändler und Sozialdemokraten nicht; er ist abgeblitzt. Ebenso werden die extremen Agrarier in einer hoffnungslosen Minderheit sein, falls sie auf eine Ablehnung hinarbeiten. Die Nationalliberalen, das Zentrum, die gemäßigten Konservativen bilden unter allen Umständen eine Mehrheit; die Linke, auch wenn sich die Sozialdemokraten absondern sollten, führt der Mehrheit noch Hilfstruppen zu. Graf Bülow und Graf Posadowsky bleiben Sieger. Sie brauchen gar nicht einmal nach der äußersten Rechten mit Fort¬ dauer der jetzigen Handelsverträge, nach der äußersten Linken mit Kündigung der jetzigen Verträge und Inkraftsetzung des neuen Tarifs zu drohen. Die Sache wird sich diesesmal sehr leicht abwickeln. Deutschösterreichische Parteien (Schluß) ährend der dreizehn Jahre der Regierung Taaffes vollzog sich die Zertrümmerung der ehemaligen Verfassungspartei, die un¬ ausgesetzt Anstrengungen machte, das Ministerium parlamen¬ tarisch zu „stürzen," um wieder zur Herrschaft zu gelangen, in sehr langsamem Tempo, und zwar auch nicht, weil man ihre grundsätzlichen Fehler erkannte, sondern vielmehr durch ein instinktives Mißtrauen der deutschen Bevölkerung, die den großen Mißerfolg wenigstens ahnte. Ehedem hatten sich die Deutschösterreicher als die einzige berechtigte Staatspartei gefühlt, jetzt erkannten sie von Jahr zu Jahr immer deut¬ licher, daß deutscher Liberalisinus und deutsche Vorherrschaft nicht dasselbe sind. Daß sich dieser deutsche Liberalismus aus die Pfade des reinen Anti¬ klerikalismus und des phrasenreichen demokratischen Parlamentarismus hatte verlocken lassen, auf dem man nur umzukehren brauchte zu einer praktischen Staatspolitik, daß damals gerade noch die rechte Zeit dazu war, das wurde ihnen nicht klar. Daß das Deutschtum unter der bis dahin getriebnen und nun mißglückter Politik gelitten hatte und unstreitig nicht genügend betont worden war, lag freilich nahe genug, und darum begann das deutsche Volk seine nationalpolitische Aufgabe uicht mehr in der ausschließlichen Hingebung an den ihm national gleichgiltig werdenden Staat zu ersehen. Die Um¬ wandlung der Deutschen ans einer Staatspartei in Volksparteien vollzog sich verhältnismäßig rasch, doch hat sich bei ihnen an Stelle des den Deutsch¬ österreichern allein zustehenden zentralistischen Standpunkts bisher kein klares nationales Programm zu bilden vermocht, sondern es geht bei ihnen noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/314>, abgerufen am 23.07.2024.