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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli ^9^5

preußischen Strafanstaltsdienst erfahrnes, von der Bedeutung der Einzelhaft
überzeugtes, von evangelischem Geist getragnes, innerlich einheitliches Personal sein
müsse. Die wenigen Oberbeamten für die Anstalt in Moabit zu finden, in der das
geplante System zunächst einmal versucht und ein Vorbild für alle andern
Anstalten geschaffen werden sollte, das bereitete Wiehern nun wohl keine sonder¬
lichen Schwierigkeiten. Anders stand es mit der Beschaffung des zahlreichen Unter¬
beamtenpersonals. In dieser Verlegenheit gedachte Wiehern daran, daß er ja in
der Bruderschaft des Rauben Hauses hätte, was er bedürfe, ein für seine Zwecke
in hervorragender Weise gebildetes, williges, opferbereites Heer von Helfern,
das ihm außerdem aufs innigste verbunden und ergeben war. Auch hier hatte
der König zuerst den Weg gewiesen, er hatte ein Aufseherpersonal nach dem
Muster der Brüder verlangt und willigte nun in einer Kabinettsorder vom
Jahre 1856 freudig ein, daß die Bruderschaft des Rauben Hauses in die Ge-
fcmgnenpflege an der Strafanstalt zu Moabit berufen würde.

(Schluß folgt)




Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli
George Lleinow i von n
(Schluß)

!U derselben Weise wie die Tätigkeit der Oswoboshdjence die
Regierung ungünstig beeinflußte, wirkte sie ungünstig auf die
Gesamtheit der Sjemstwo. Die Vertreter der Sjemstwo sind
vorwiegend eine besitzende Klasse, die aus rein praktischen Er-
I wägungen alles daransetzen mußte und auch alles tat, die
Beseitigung der Bureaukratie, den Fortschritt, die Vorbereitung einer Ver¬
fassung ohne Revolution zu erreichen. Diese Leute sitzen als Großgrundbesitzer
weit ab vom Schutze des Staats inmitten der seit Jahren unruhigen Bauern,
die nur auf einen "Befehl vom Väterchen Zar" warten, sich der Gutsländereien
zu bemächtigen. Sie wissen genau, daß bei einem Ausbruch der Revolution
zunächst die Anhänger der Autokratie und die Freunde des Gouverneurs
Kosaken bekommen, nicht aber die Feinde der Bureaukratie. Sie wissen ferner,
daß ein Bauernaufstand alle ihre Bemühungen um den Fortschritt vernichten
muß. Denn auch eine ihnen gewogne Negierung wäre außerstande, ihr Leben
und das Tausender Gebildeter zu schützen. In dem Verhalten der Oswo¬
boshdjence lag aber die Gefahr der unbeabsichtigten Entfesselung der Revo¬
lution, weil die bewußt auf ihren Ausbruch hinarbeitenden Leute fortwährend
auf die Tätigkeit der Oswoboshdjence hinwiesen, während die Reaktionäre mit
Hilfe der Geistlichen und der Polizeibeamten unter den Bauern das Gerücht
verbreiteten, der Zar sei durch die von den Juden gekauften Gutsbesitzer be¬
droht. Solange sich aber die Regierung nicht klipp und klar für oder gegen
den Fortschritt ausgesprochen hatte, waren die Besitzer schonungslos den
Bauern ausgeliefert.'KMb^


Grenzboten NI 1906 gg
Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli ^9^5

preußischen Strafanstaltsdienst erfahrnes, von der Bedeutung der Einzelhaft
überzeugtes, von evangelischem Geist getragnes, innerlich einheitliches Personal sein
müsse. Die wenigen Oberbeamten für die Anstalt in Moabit zu finden, in der das
geplante System zunächst einmal versucht und ein Vorbild für alle andern
Anstalten geschaffen werden sollte, das bereitete Wiehern nun wohl keine sonder¬
lichen Schwierigkeiten. Anders stand es mit der Beschaffung des zahlreichen Unter¬
beamtenpersonals. In dieser Verlegenheit gedachte Wiehern daran, daß er ja in
der Bruderschaft des Rauben Hauses hätte, was er bedürfe, ein für seine Zwecke
in hervorragender Weise gebildetes, williges, opferbereites Heer von Helfern,
das ihm außerdem aufs innigste verbunden und ergeben war. Auch hier hatte
der König zuerst den Weg gewiesen, er hatte ein Aufseherpersonal nach dem
Muster der Brüder verlangt und willigte nun in einer Kabinettsorder vom
Jahre 1856 freudig ein, daß die Bruderschaft des Rauben Hauses in die Ge-
fcmgnenpflege an der Strafanstalt zu Moabit berufen würde.

(Schluß folgt)




Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli
George Lleinow i von n
(Schluß)

!U derselben Weise wie die Tätigkeit der Oswoboshdjence die
Regierung ungünstig beeinflußte, wirkte sie ungünstig auf die
Gesamtheit der Sjemstwo. Die Vertreter der Sjemstwo sind
vorwiegend eine besitzende Klasse, die aus rein praktischen Er-
I wägungen alles daransetzen mußte und auch alles tat, die
Beseitigung der Bureaukratie, den Fortschritt, die Vorbereitung einer Ver¬
fassung ohne Revolution zu erreichen. Diese Leute sitzen als Großgrundbesitzer
weit ab vom Schutze des Staats inmitten der seit Jahren unruhigen Bauern,
die nur auf einen „Befehl vom Väterchen Zar" warten, sich der Gutsländereien
zu bemächtigen. Sie wissen genau, daß bei einem Ausbruch der Revolution
zunächst die Anhänger der Autokratie und die Freunde des Gouverneurs
Kosaken bekommen, nicht aber die Feinde der Bureaukratie. Sie wissen ferner,
daß ein Bauernaufstand alle ihre Bemühungen um den Fortschritt vernichten
muß. Denn auch eine ihnen gewogne Negierung wäre außerstande, ihr Leben
und das Tausender Gebildeter zu schützen. In dem Verhalten der Oswo¬
boshdjence lag aber die Gefahr der unbeabsichtigten Entfesselung der Revo¬
lution, weil die bewußt auf ihren Ausbruch hinarbeitenden Leute fortwährend
auf die Tätigkeit der Oswoboshdjence hinwiesen, während die Reaktionäre mit
Hilfe der Geistlichen und der Polizeibeamten unter den Bauern das Gerücht
verbreiteten, der Zar sei durch die von den Juden gekauften Gutsbesitzer be¬
droht. Solange sich aber die Regierung nicht klipp und klar für oder gegen
den Fortschritt ausgesprochen hatte, waren die Besitzer schonungslos den
Bauern ausgeliefert.'KMb^


Grenzboten NI 1906 gg
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[0641] Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli ^9^5 preußischen Strafanstaltsdienst erfahrnes, von der Bedeutung der Einzelhaft überzeugtes, von evangelischem Geist getragnes, innerlich einheitliches Personal sein müsse. Die wenigen Oberbeamten für die Anstalt in Moabit zu finden, in der das geplante System zunächst einmal versucht und ein Vorbild für alle andern Anstalten geschaffen werden sollte, das bereitete Wiehern nun wohl keine sonder¬ lichen Schwierigkeiten. Anders stand es mit der Beschaffung des zahlreichen Unter¬ beamtenpersonals. In dieser Verlegenheit gedachte Wiehern daran, daß er ja in der Bruderschaft des Rauben Hauses hätte, was er bedürfe, ein für seine Zwecke in hervorragender Weise gebildetes, williges, opferbereites Heer von Helfern, das ihm außerdem aufs innigste verbunden und ergeben war. Auch hier hatte der König zuerst den Weg gewiesen, er hatte ein Aufseherpersonal nach dem Muster der Brüder verlangt und willigte nun in einer Kabinettsorder vom Jahre 1856 freudig ein, daß die Bruderschaft des Rauben Hauses in die Ge- fcmgnenpflege an der Strafanstalt zu Moabit berufen würde. (Schluß folgt) Die politischen Parteien in Rußland Ende Juli George Lleinow i von n (Schluß) !U derselben Weise wie die Tätigkeit der Oswoboshdjence die Regierung ungünstig beeinflußte, wirkte sie ungünstig auf die Gesamtheit der Sjemstwo. Die Vertreter der Sjemstwo sind vorwiegend eine besitzende Klasse, die aus rein praktischen Er- I wägungen alles daransetzen mußte und auch alles tat, die Beseitigung der Bureaukratie, den Fortschritt, die Vorbereitung einer Ver¬ fassung ohne Revolution zu erreichen. Diese Leute sitzen als Großgrundbesitzer weit ab vom Schutze des Staats inmitten der seit Jahren unruhigen Bauern, die nur auf einen „Befehl vom Väterchen Zar" warten, sich der Gutsländereien zu bemächtigen. Sie wissen genau, daß bei einem Ausbruch der Revolution zunächst die Anhänger der Autokratie und die Freunde des Gouverneurs Kosaken bekommen, nicht aber die Feinde der Bureaukratie. Sie wissen ferner, daß ein Bauernaufstand alle ihre Bemühungen um den Fortschritt vernichten muß. Denn auch eine ihnen gewogne Negierung wäre außerstande, ihr Leben und das Tausender Gebildeter zu schützen. In dem Verhalten der Oswo¬ boshdjence lag aber die Gefahr der unbeabsichtigten Entfesselung der Revo¬ lution, weil die bewußt auf ihren Ausbruch hinarbeitenden Leute fortwährend auf die Tätigkeit der Oswoboshdjence hinwiesen, während die Reaktionäre mit Hilfe der Geistlichen und der Polizeibeamten unter den Bauern das Gerücht verbreiteten, der Zar sei durch die von den Juden gekauften Gutsbesitzer be¬ droht. Solange sich aber die Regierung nicht klipp und klar für oder gegen den Fortschritt ausgesprochen hatte, waren die Besitzer schonungslos den Bauern ausgeliefert.'KMb^ Grenzboten NI 1906 gg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/641>, abgerufen am 19.10.2024.