Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches heute nicht vorgreifen dürfen noch können. Wenn die Hamburger Nachrichten "K" Russische Hoffnungen. In den Kundgebungen russischer Patrioten machen Maßgebliches und Unmaßgebliches heute nicht vorgreifen dürfen noch können. Wenn die Hamburger Nachrichten »K» Russische Hoffnungen. In den Kundgebungen russischer Patrioten machen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297308"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_790" prev="#ID_789"> heute nicht vorgreifen dürfen noch können. Wenn die Hamburger Nachrichten<lb/> schreiben, ein deutscher Staatsmann, der um Marokkos willen einen Krieg mit<lb/> Frankreich anfange, „gehöre auf den Sandhaufen," so darf man über einen solchen<lb/> verunglückten Mißbrauch bismarckischcr Redewendungen, ans den man allenfalls ein<lb/> anoci licet ^ovi . . . anwenden könnte, um so eher hinwegsehen, als ein solcher<lb/> Staatsmann in Deutschland zurzeit nicht vorhanden ist. Bemerkenswert bliebe<lb/> dann nur, daß sich das ehemalige Organ des verewigten Fürsten Bismarck Ton<lb/> und Stil des Vorwärts aneignet. Ob es wohlgetan und patriotisch ist, den Fran¬<lb/> zosen zu sagen, Deutschland werde sein Recht keineswegs auf alle Konsequenzen hin<lb/> vertreten, mag dahingestellt bleiben, die Franzosen werden es trotz den Hamburger<lb/> Nachrichten nicht darauf ankommen lassen. Die ähnliche Schreibweise der deutschen<lb/> Fortschrittsblätter dem Ministerpräsidenten Grafen Bismarck gegenüber in den<lb/> Jahren 1865/66 hat den Krieg mit Österreich nicht verhindert. Merkwürdig ist<lb/> nur, daß die Hamburger Nachrichten so wenig aus der Geschichte gelernt haben,<lb/> namentlich daß ihnen der Grad von Lächerlichkeit nicht mehr in der Erinnerung<lb/> ist, den Fürst Bismarck solchen durch ihre Arroganz komisch wirkenden Sentenzen<lb/> zuzuerkennen pflegte, so weit sie nicht zur Verwirrung der öffentlichen Meinung<lb/> führten. Jedenfalls wäre der umgekehrte Satz, daß der französische Staatsmann, der<lb/> es um Marokkos willen zu einem Bruch mit Deutschland kommen ließe, ein solches<lb/> Schicksal verdiene, ungleich richtiger gewesen. Denn die Frage nach dem Ausgang<lb/> des marokkanischen Streites kaun doch nur dusin beantwortet werden, daß Deleasse<lb/> anerkennen muß, formell inkorrekt und sachlich zum mindesten sehr unvorsichtig ge¬<lb/> handelt zu haben. Das erste ist, soviel bekannt ist, schon geschehn. England und<lb/> Frankreich konnten doch nur unter der Berücksichtigung der ihnen beiden sehr Wohl<lb/> bekannten Rechte andrer verhandelt haben, Rechte, die für Deutschland nicht nur<lb/> durch seinen SpezialVertrag rin Marokko, sondern anch durch die Konvention der<lb/> an der Madrider Konferenz beteiligten Mächte vom 3. Juli 1880 existieren. So¬<lb/> wohl der Schluß des Artikels 6 als namentlich der Artikel 17 dieser Konvention<lb/> stehn der Ausnahmestellung irgendeiner Nation entgegen. Artikel 17 sagt! „Das<lb/> Recht auf Behandlung als meistbegünstigte Nation wird seitens Marokkos als allen<lb/> auf der Konferenz von Madrid vertretenen Mächten zustehend anerkannt." Der<lb/> Sultan ist hiernach gehalten, alle Rechte, die er einer Macht zugesteht, allen<lb/> Signataren der Madrider Konvention zuzugestehn, und ihnen allen liegt somit nicht<lb/> nnr das Recht, sondern die Pflicht eines Einspruchs gegen einseitige französische<lb/> Forderungen ob. Es wird also ganz unvermeidlich sein, das; sich die Signatar¬<lb/> mächte über die Sachlage äußern, namentlich auch die marokkanische Regierung<lb/> selbst, und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß ihnen ein amtlicher<lb/> Anlaß dazu schon gegeben ist. Es ist das eine Belastungsprobe ans die Trag¬<lb/> fähigkeit, die internationalen Beschlüssen überhaupt noch beizumessen ist; danach<lb/> beniißt sich auch der Wert des „Prinzips der offnen Tür." Das französische Vor¬<lb/> gehn in Marokko hat somit eine ganze Reihe interessanter diplomatischer Fragen<lb/> auf die Tagesordnung gesetzt, ihre Lösung wird nicht ohne Tragweite sowohl für<lb/> das bestehende Völkerrecht als für die Beziehungen der Mächte untereinander sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> »K»</note><lb/> </div> <div n="2"> <head> Russische Hoffnungen.</head> <p xml:id="ID_791" next="#ID_792"> In den Kundgebungen russischer Patrioten machen<lb/> sich zwei Richtungen bemerkbar. Die einen gründen ihre Hoffnungen darauf, daß<lb/> der russische Staat und die russische Kultur noch jung seien; daraus folgern sie,<lb/> Rußland werde Westeuropa mit der Zeit einholen. Diese Ansicht liegt besonders<lb/> den Deutschrussen nahe, und so geht denn auch der seit dem Königsberger Prozesse<lb/> öfter genannte M. von Reußner, ehemaliger Professor des Staatsrechts an der<lb/> Universität Tomsk, von ihr aus. Im Vorwort zu seiner Abhandlung: Gemein¬<lb/> wohl und Absolutismus (Berlin-Charlottenburg, Fricdr. Gottheimer, 1904)<lb/> schreibt er, seine Schrift dürfe schon deswegen für deutsche Leser Interesse beau-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
heute nicht vorgreifen dürfen noch können. Wenn die Hamburger Nachrichten
schreiben, ein deutscher Staatsmann, der um Marokkos willen einen Krieg mit
Frankreich anfange, „gehöre auf den Sandhaufen," so darf man über einen solchen
verunglückten Mißbrauch bismarckischcr Redewendungen, ans den man allenfalls ein
anoci licet ^ovi . . . anwenden könnte, um so eher hinwegsehen, als ein solcher
Staatsmann in Deutschland zurzeit nicht vorhanden ist. Bemerkenswert bliebe
dann nur, daß sich das ehemalige Organ des verewigten Fürsten Bismarck Ton
und Stil des Vorwärts aneignet. Ob es wohlgetan und patriotisch ist, den Fran¬
zosen zu sagen, Deutschland werde sein Recht keineswegs auf alle Konsequenzen hin
vertreten, mag dahingestellt bleiben, die Franzosen werden es trotz den Hamburger
Nachrichten nicht darauf ankommen lassen. Die ähnliche Schreibweise der deutschen
Fortschrittsblätter dem Ministerpräsidenten Grafen Bismarck gegenüber in den
Jahren 1865/66 hat den Krieg mit Österreich nicht verhindert. Merkwürdig ist
nur, daß die Hamburger Nachrichten so wenig aus der Geschichte gelernt haben,
namentlich daß ihnen der Grad von Lächerlichkeit nicht mehr in der Erinnerung
ist, den Fürst Bismarck solchen durch ihre Arroganz komisch wirkenden Sentenzen
zuzuerkennen pflegte, so weit sie nicht zur Verwirrung der öffentlichen Meinung
führten. Jedenfalls wäre der umgekehrte Satz, daß der französische Staatsmann, der
es um Marokkos willen zu einem Bruch mit Deutschland kommen ließe, ein solches
Schicksal verdiene, ungleich richtiger gewesen. Denn die Frage nach dem Ausgang
des marokkanischen Streites kaun doch nur dusin beantwortet werden, daß Deleasse
anerkennen muß, formell inkorrekt und sachlich zum mindesten sehr unvorsichtig ge¬
handelt zu haben. Das erste ist, soviel bekannt ist, schon geschehn. England und
Frankreich konnten doch nur unter der Berücksichtigung der ihnen beiden sehr Wohl
bekannten Rechte andrer verhandelt haben, Rechte, die für Deutschland nicht nur
durch seinen SpezialVertrag rin Marokko, sondern anch durch die Konvention der
an der Madrider Konferenz beteiligten Mächte vom 3. Juli 1880 existieren. So¬
wohl der Schluß des Artikels 6 als namentlich der Artikel 17 dieser Konvention
stehn der Ausnahmestellung irgendeiner Nation entgegen. Artikel 17 sagt! „Das
Recht auf Behandlung als meistbegünstigte Nation wird seitens Marokkos als allen
auf der Konferenz von Madrid vertretenen Mächten zustehend anerkannt." Der
Sultan ist hiernach gehalten, alle Rechte, die er einer Macht zugesteht, allen
Signataren der Madrider Konvention zuzugestehn, und ihnen allen liegt somit nicht
nnr das Recht, sondern die Pflicht eines Einspruchs gegen einseitige französische
Forderungen ob. Es wird also ganz unvermeidlich sein, das; sich die Signatar¬
mächte über die Sachlage äußern, namentlich auch die marokkanische Regierung
selbst, und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß ihnen ein amtlicher
Anlaß dazu schon gegeben ist. Es ist das eine Belastungsprobe ans die Trag¬
fähigkeit, die internationalen Beschlüssen überhaupt noch beizumessen ist; danach
beniißt sich auch der Wert des „Prinzips der offnen Tür." Das französische Vor¬
gehn in Marokko hat somit eine ganze Reihe interessanter diplomatischer Fragen
auf die Tagesordnung gesetzt, ihre Lösung wird nicht ohne Tragweite sowohl für
das bestehende Völkerrecht als für die Beziehungen der Mächte untereinander sein.
»K»
Russische Hoffnungen. In den Kundgebungen russischer Patrioten machen
sich zwei Richtungen bemerkbar. Die einen gründen ihre Hoffnungen darauf, daß
der russische Staat und die russische Kultur noch jung seien; daraus folgern sie,
Rußland werde Westeuropa mit der Zeit einholen. Diese Ansicht liegt besonders
den Deutschrussen nahe, und so geht denn auch der seit dem Königsberger Prozesse
öfter genannte M. von Reußner, ehemaliger Professor des Staatsrechts an der
Universität Tomsk, von ihr aus. Im Vorwort zu seiner Abhandlung: Gemein¬
wohl und Absolutismus (Berlin-Charlottenburg, Fricdr. Gottheimer, 1904)
schreibt er, seine Schrift dürfe schon deswegen für deutsche Leser Interesse beau-
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