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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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von der Beichte

in der Geschichte nicht so weit zurückzugehn, wenn wir Zeugnisse obrigkeitlichen
Mißfallens am Inhalt der Zeitungen sammeln wollen. Aber bemerkenswert
ist es immerhin, daß sogar so erleuchtete Geister wie Cotta und La Bruyere
von der Zeitung nur Nachrichten und keine Kommentare haben wollten. Cotta
war überdies ein guter Geschäftsmann und mußte doch Wohl der Ansicht sein,
mit einer so geschriebnen Zeitung auch geschäftlich auf einen grünen Zweig zu
kommen.

Fast stehn wir vor einer rückläufigen Bewegung; denn die heutige Herstellung
des Inhalts der großen Tageszeitungen hat schon dazu geführt und wird es
bei wachsender Benutzung der elektrischen Hilfsmittel noch mehr tun, daß die
Redaktionen neben der Buchung und der Verwertung des Nachrichtenstoffes für
den Kommentar kaum noch Raum und Zeit behalten. Das führt, mehr als
wünschenswert ist, dahin, den Politischen Schriftsteller vom Journalisten zu
scheiden und den ersten immer mehr in die Wochen- und die Monatsschriften
zu verweisen. (Schluß folgt)




Von der Beichte

rüber habe ich einmal gesagt, die Ohrenbeichte wirke weder so
I wohltätig, wie die frommen Katholiken glauben, noch so ver¬
derblich, wie ihre Gegner behaupten; aber da die schlimmen
Wirkungen wahrscheinlich von den wohltätigen überwogen würden,
!so gelte hier wie bei allen zu Lebensgewohnheiten des Volks
gewordnen Institutionen das auiow nov inove-re, solange nicht augenfällige
Übelstände eine Reform erheischten. Solche Übelstände scheinen mir seitdem
eingetreten zu sein. Frauen, die in gemischten Ehen leben, werden im Beicht¬
stuhl wegen der evangelischen Erziehung ihrer Kinder, Kinder wegen der ihrer
evangelischen Mutter drohenden Hölle geängstigt, ehrbare Frauen durch un¬
anständige Fragen in die peinlichste Verlegenheit gesetzt, demnach werden durch
einzelne Fälle, von denen ich annehme, daß sie nicht häufig sind, die Vorwürfe
gerechtfertigt, die man dem Beichtinstitut macht. Vor fünfzig Jahren waren
solche Fälle in meiner Heimat ganz selten. Nur von einem Mißbrauch erfuhr
ich im Jahre 1859: daß sich Geistliche im Posenschen rühmten, wenn ihnen alle
andern Wege zur nationalpolnischen Propaganda versperrt würden, so bleibe
ihnen doch noch der Beichtstuhl. Es ist erklärlich, daß nach dem großen Siege
der ultramontanen Partei im Jahre 1870 der Fanatismus stärker, der Mi߬
brauch häufiger geworden, und durch den Sieg im Kulturkampfe den Fana¬
tikern der Mut gewachsen ist. Andrerseits hat die Geschichte des letzten Jahr¬
zehnts offenbar gemacht, in welchem Maße Frankreich, das für die katholische
Kirche wichtigste Land, entkirchlicht ist. Ich habe kein statistisches Material,
glaube aber aus den Klagen katholischer Blätter schließen zu dürfen, daß von
den französischen Männern nur noch ein kleiner Teil zur Beichte und Kommunion


von der Beichte

in der Geschichte nicht so weit zurückzugehn, wenn wir Zeugnisse obrigkeitlichen
Mißfallens am Inhalt der Zeitungen sammeln wollen. Aber bemerkenswert
ist es immerhin, daß sogar so erleuchtete Geister wie Cotta und La Bruyere
von der Zeitung nur Nachrichten und keine Kommentare haben wollten. Cotta
war überdies ein guter Geschäftsmann und mußte doch Wohl der Ansicht sein,
mit einer so geschriebnen Zeitung auch geschäftlich auf einen grünen Zweig zu
kommen.

Fast stehn wir vor einer rückläufigen Bewegung; denn die heutige Herstellung
des Inhalts der großen Tageszeitungen hat schon dazu geführt und wird es
bei wachsender Benutzung der elektrischen Hilfsmittel noch mehr tun, daß die
Redaktionen neben der Buchung und der Verwertung des Nachrichtenstoffes für
den Kommentar kaum noch Raum und Zeit behalten. Das führt, mehr als
wünschenswert ist, dahin, den Politischen Schriftsteller vom Journalisten zu
scheiden und den ersten immer mehr in die Wochen- und die Monatsschriften
zu verweisen. (Schluß folgt)




Von der Beichte

rüber habe ich einmal gesagt, die Ohrenbeichte wirke weder so
I wohltätig, wie die frommen Katholiken glauben, noch so ver¬
derblich, wie ihre Gegner behaupten; aber da die schlimmen
Wirkungen wahrscheinlich von den wohltätigen überwogen würden,
!so gelte hier wie bei allen zu Lebensgewohnheiten des Volks
gewordnen Institutionen das auiow nov inove-re, solange nicht augenfällige
Übelstände eine Reform erheischten. Solche Übelstände scheinen mir seitdem
eingetreten zu sein. Frauen, die in gemischten Ehen leben, werden im Beicht¬
stuhl wegen der evangelischen Erziehung ihrer Kinder, Kinder wegen der ihrer
evangelischen Mutter drohenden Hölle geängstigt, ehrbare Frauen durch un¬
anständige Fragen in die peinlichste Verlegenheit gesetzt, demnach werden durch
einzelne Fälle, von denen ich annehme, daß sie nicht häufig sind, die Vorwürfe
gerechtfertigt, die man dem Beichtinstitut macht. Vor fünfzig Jahren waren
solche Fälle in meiner Heimat ganz selten. Nur von einem Mißbrauch erfuhr
ich im Jahre 1859: daß sich Geistliche im Posenschen rühmten, wenn ihnen alle
andern Wege zur nationalpolnischen Propaganda versperrt würden, so bleibe
ihnen doch noch der Beichtstuhl. Es ist erklärlich, daß nach dem großen Siege
der ultramontanen Partei im Jahre 1870 der Fanatismus stärker, der Mi߬
brauch häufiger geworden, und durch den Sieg im Kulturkampfe den Fana¬
tikern der Mut gewachsen ist. Andrerseits hat die Geschichte des letzten Jahr¬
zehnts offenbar gemacht, in welchem Maße Frankreich, das für die katholische
Kirche wichtigste Land, entkirchlicht ist. Ich habe kein statistisches Material,
glaube aber aus den Klagen katholischer Blätter schließen zu dürfen, daß von
den französischen Männern nur noch ein kleiner Teil zur Beichte und Kommunion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/655>, abgerufen am 15.01.2025.