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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Im Lande des Kondors

aus freundlicher Natur waren, wenigstens wurden uns fast täglich von den
Mannschaften Pariser Zeitungen gebracht, die sie von den Gemüsesuchern er¬
halten hatten.

Wenn der Leser freundlichst die Karte zur Hand nehmen will, wird er
finden, daß die zur Verteidigung eingerichteten Ortschaften Bondy und Drancy
nebst dem etwas weiter zurückliegenden Bobigny unsrer Front die Stirn boten,
und zwar stand man sich an einzelnen Stellen so nahe gegenüber, daß zum
Beispiel die von uns etwas spitz am Kanal vorgeschobne Feldwache nebst ihren
Außenposten von der den Osteingang von Bondy auf der Heerstraße nach
Claye schließenden Barrikade keine 700 Meter entfernt war. Um seine Truppen
an den Anblick der Prussiens und an den Tumult des Feuergefechts zu ge¬
wöhnen, ließ der Admiral von Zeit zu Zeit größere Abteilungen plänkelnd
gegen unsre Front vorgehn, ohne daß es jedoch je zu einem ernstern Engage¬
ment gekommen wäre. Ein Spiel konnte man ja diese Angriffe nicht nennen,
da sie in der lobenswerten Absicht unternommen wurden, unerfahrne junge
Truppen gefechtstüchtiger zu machen; aber da bei der Sache, selbst bei bestem
Gelingen, kein Erfolg abzusehen war, denn die braven Leute wären, wie sich
der Kanzler Herrn von Abeken gegenüber ausgedrückt hatte, doch nur in einen
Sack gegangen, so waren uns schon die seltnen und geringen Verluste an
Mannschaften, die wir bei Zurückweisung solcher Lehrangriffe erlitten, be¬
sonders peinlich; niemand, vom Obersten abwärts, hätte um bloßer Übung
willen so köstliches Material aufs Spiel setzen mögen. Ich hatte persönlich den
Kummer, daß bei einer dieser Gelegenheiten einer der schönsten und strammstell
der im Winter 1868/69 unter meiner Beihilfe ausgebildeten Rekruten, ein
breitschultriger Pommer namens Gütschow, schwer verwundet wurde; er wurde
nach Dessau evakuiert, wo der arme Kerl im Lazarett seinen Leiden erlegen ist.

(Fortsetzung folgt)




Im Lande des Kondors
Albert salber Plaudereien ausvon

Nichts bildet so sehr als eine Reise in entfernte Länder.
Sie schärft, aber befriedigt auch jenen Durst und jenes Ver¬
langen, das ein Mann immer fühlt, wenn auch jede",
körperlichen Sinn volle Genüge geschehen ist.

I. Hcrsch-l
Magelhaensstraße, punta Arenas, (Lorral, Valdivia

in Novcinbermorgen ans der südlichen Hemisphäre! Schon vor
Wochen ist dort der Frühling eingezogen; doch spüre ich von den
milden Lüften des Lenzes an diesem Morgen herzlich wenig. Kalt
und scharf pfeift der Wind aus West unsern, Schiffe entgegen.
Cabo de las Virgines taucht vor uns auf, das nördliche Vor¬
gebirge der Ostmündung der berühmten Magelhaensstrcißc. In eigentümlich
tiefblauem Dufte hebt sich in der klaren, fast durchsichtigen Atmosphäre das


Im Lande des Kondors

aus freundlicher Natur waren, wenigstens wurden uns fast täglich von den
Mannschaften Pariser Zeitungen gebracht, die sie von den Gemüsesuchern er¬
halten hatten.

Wenn der Leser freundlichst die Karte zur Hand nehmen will, wird er
finden, daß die zur Verteidigung eingerichteten Ortschaften Bondy und Drancy
nebst dem etwas weiter zurückliegenden Bobigny unsrer Front die Stirn boten,
und zwar stand man sich an einzelnen Stellen so nahe gegenüber, daß zum
Beispiel die von uns etwas spitz am Kanal vorgeschobne Feldwache nebst ihren
Außenposten von der den Osteingang von Bondy auf der Heerstraße nach
Claye schließenden Barrikade keine 700 Meter entfernt war. Um seine Truppen
an den Anblick der Prussiens und an den Tumult des Feuergefechts zu ge¬
wöhnen, ließ der Admiral von Zeit zu Zeit größere Abteilungen plänkelnd
gegen unsre Front vorgehn, ohne daß es jedoch je zu einem ernstern Engage¬
ment gekommen wäre. Ein Spiel konnte man ja diese Angriffe nicht nennen,
da sie in der lobenswerten Absicht unternommen wurden, unerfahrne junge
Truppen gefechtstüchtiger zu machen; aber da bei der Sache, selbst bei bestem
Gelingen, kein Erfolg abzusehen war, denn die braven Leute wären, wie sich
der Kanzler Herrn von Abeken gegenüber ausgedrückt hatte, doch nur in einen
Sack gegangen, so waren uns schon die seltnen und geringen Verluste an
Mannschaften, die wir bei Zurückweisung solcher Lehrangriffe erlitten, be¬
sonders peinlich; niemand, vom Obersten abwärts, hätte um bloßer Übung
willen so köstliches Material aufs Spiel setzen mögen. Ich hatte persönlich den
Kummer, daß bei einer dieser Gelegenheiten einer der schönsten und strammstell
der im Winter 1868/69 unter meiner Beihilfe ausgebildeten Rekruten, ein
breitschultriger Pommer namens Gütschow, schwer verwundet wurde; er wurde
nach Dessau evakuiert, wo der arme Kerl im Lazarett seinen Leiden erlegen ist.

(Fortsetzung folgt)




Im Lande des Kondors
Albert salber Plaudereien ausvon

Nichts bildet so sehr als eine Reise in entfernte Länder.
Sie schärft, aber befriedigt auch jenen Durst und jenes Ver¬
langen, das ein Mann immer fühlt, wenn auch jede»,
körperlichen Sinn volle Genüge geschehen ist.

I. Hcrsch-l
Magelhaensstraße, punta Arenas, (Lorral, Valdivia

in Novcinbermorgen ans der südlichen Hemisphäre! Schon vor
Wochen ist dort der Frühling eingezogen; doch spüre ich von den
milden Lüften des Lenzes an diesem Morgen herzlich wenig. Kalt
und scharf pfeift der Wind aus West unsern, Schiffe entgegen.
Cabo de las Virgines taucht vor uns auf, das nördliche Vor¬
gebirge der Ostmündung der berühmten Magelhaensstrcißc. In eigentümlich
tiefblauem Dufte hebt sich in der klaren, fast durchsichtigen Atmosphäre das


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[0383] Im Lande des Kondors aus freundlicher Natur waren, wenigstens wurden uns fast täglich von den Mannschaften Pariser Zeitungen gebracht, die sie von den Gemüsesuchern er¬ halten hatten. Wenn der Leser freundlichst die Karte zur Hand nehmen will, wird er finden, daß die zur Verteidigung eingerichteten Ortschaften Bondy und Drancy nebst dem etwas weiter zurückliegenden Bobigny unsrer Front die Stirn boten, und zwar stand man sich an einzelnen Stellen so nahe gegenüber, daß zum Beispiel die von uns etwas spitz am Kanal vorgeschobne Feldwache nebst ihren Außenposten von der den Osteingang von Bondy auf der Heerstraße nach Claye schließenden Barrikade keine 700 Meter entfernt war. Um seine Truppen an den Anblick der Prussiens und an den Tumult des Feuergefechts zu ge¬ wöhnen, ließ der Admiral von Zeit zu Zeit größere Abteilungen plänkelnd gegen unsre Front vorgehn, ohne daß es jedoch je zu einem ernstern Engage¬ ment gekommen wäre. Ein Spiel konnte man ja diese Angriffe nicht nennen, da sie in der lobenswerten Absicht unternommen wurden, unerfahrne junge Truppen gefechtstüchtiger zu machen; aber da bei der Sache, selbst bei bestem Gelingen, kein Erfolg abzusehen war, denn die braven Leute wären, wie sich der Kanzler Herrn von Abeken gegenüber ausgedrückt hatte, doch nur in einen Sack gegangen, so waren uns schon die seltnen und geringen Verluste an Mannschaften, die wir bei Zurückweisung solcher Lehrangriffe erlitten, be¬ sonders peinlich; niemand, vom Obersten abwärts, hätte um bloßer Übung willen so köstliches Material aufs Spiel setzen mögen. Ich hatte persönlich den Kummer, daß bei einer dieser Gelegenheiten einer der schönsten und strammstell der im Winter 1868/69 unter meiner Beihilfe ausgebildeten Rekruten, ein breitschultriger Pommer namens Gütschow, schwer verwundet wurde; er wurde nach Dessau evakuiert, wo der arme Kerl im Lazarett seinen Leiden erlegen ist. (Fortsetzung folgt) Im Lande des Kondors Albert salber Plaudereien ausvon Nichts bildet so sehr als eine Reise in entfernte Länder. Sie schärft, aber befriedigt auch jenen Durst und jenes Ver¬ langen, das ein Mann immer fühlt, wenn auch jede», körperlichen Sinn volle Genüge geschehen ist. I. Hcrsch-l Magelhaensstraße, punta Arenas, (Lorral, Valdivia in Novcinbermorgen ans der südlichen Hemisphäre! Schon vor Wochen ist dort der Frühling eingezogen; doch spüre ich von den milden Lüften des Lenzes an diesem Morgen herzlich wenig. Kalt und scharf pfeift der Wind aus West unsern, Schiffe entgegen. Cabo de las Virgines taucht vor uns auf, das nördliche Vor¬ gebirge der Ostmündung der berühmten Magelhaensstrcißc. In eigentümlich tiefblauem Dufte hebt sich in der klaren, fast durchsichtigen Atmosphäre das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/383>, abgerufen am 15.01.2025.