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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Südtirol

kein einziger Offizier mehr als Major, der im Jahre 1870 den Krieg mitgemacht
hat. Die kleine dicke Frau kann ihren Mann also unmöglich als Eroberer
des Landes umhalst haben. Aber dieses kleine Beispiel, das selbst Damen
nicht schont, denen "Tränen von Wein und Enthusiasmus" aus den Augen
kollern, ist typisch für die Art, womit in der wissenschaftlichsten Revue
Frankreichs die Hetzerei gegen Deutschland und die Herabsetzung der Deutschen
gegenüber einer eingebildeten superiorit^ tranyaisö betrieben wird, sicherlich
doch in der Voraussetzung, damit der Stimmung und dem Geschmack der
Leser zu entsprechen. Es hieße ja unter andern Umständen mit Kanonen auf
Spatzen schießen, wollte man solchen "Studien" eine besondre Bedeutung
beimessen. Aber im Zusammenhang mit vielen andern Anzeichen haben sie
einen symptomatischen Wert, an dem man in Deutschland nicht vorübergehn
darf in einem Augenblick, wo von einem deutsch-englischen Konflikt, wenn
auch nur theoretisch und unter der Annahme seiner praktischen Unmöglichkeit,
die Rede ist.

Bcirres Arbeit soll nach seiner Angabe dem Studium der Mittel gelten,
mit denen die Deutschen in Elsaß-Lothringen den "lateinisch-germanischen
Krieg" weiter führen, und ebenso der diagnostischen Ergründung der Wirkung
auf die Elsaß-Lothringer. Man gewinnt den Eindruck, daß ihm die Mittel
gefährlich, die Wirkung bedenklich erscheinen, und daß er deshalb mit Gehässig¬
keiten sich und die Leser der Revue über die Wirklichkeit zu täuschen und
ihnen einzureden sucht, die Sympathie für Frankreich sitze in den Gemütern
der elsässischen und der lothringischen Bevölkerung tief, und es bedürfe nur
eines Anstoßes, damit sie in dem Deutschen ihren Feind erkennten. Die
französische Presse ist denn auch sehr ungehalten gewesen über den Beschluß
des elsaß-lothringischen Landesausschusses, der die bundesrechtliche Gleich¬
stellung mit den andern Staaten dieses so inferioren Deutschlands verlangt.
Es wird darauf ankommen, eine Form zu finden, die den dem Beschluß zu¬
grunde liegenden Wünschen entspricht lind doch die Gefahr vermeidet, die in
der Konstituierung eines neuen selbständigen Staatengebildes an unsrer ge-
fährdetsten Grenze, im Widerspruch zu den Grundanschauungen von 1871,
H. I. enthalten wäre.




Hüdtirol

in Mittelalter reichten die deutsche Sprache und die deutsche Nation
bis in die Hügellandschaft des Venezianischen, bis vor die Tore
von Verona und Vicenza hinab. Die eine Hülste des heutigen
Welschtirols, das ganze Gebiet vom linken Ufer der mittlern Etsch
bis an die venezianische Grenze und von den Anhöhen bei
Verona bis zu den Übergängen nach dem Pustertal hatte einst eine reindeutsche
Bevölkerung. Im Fersental, in der Umgebung der Seen von Caldenazzo
und Levico sowie im ganzen Quellengebiet der Brenta bis weit über Borgo


Südtirol

kein einziger Offizier mehr als Major, der im Jahre 1870 den Krieg mitgemacht
hat. Die kleine dicke Frau kann ihren Mann also unmöglich als Eroberer
des Landes umhalst haben. Aber dieses kleine Beispiel, das selbst Damen
nicht schont, denen „Tränen von Wein und Enthusiasmus" aus den Augen
kollern, ist typisch für die Art, womit in der wissenschaftlichsten Revue
Frankreichs die Hetzerei gegen Deutschland und die Herabsetzung der Deutschen
gegenüber einer eingebildeten superiorit^ tranyaisö betrieben wird, sicherlich
doch in der Voraussetzung, damit der Stimmung und dem Geschmack der
Leser zu entsprechen. Es hieße ja unter andern Umständen mit Kanonen auf
Spatzen schießen, wollte man solchen „Studien" eine besondre Bedeutung
beimessen. Aber im Zusammenhang mit vielen andern Anzeichen haben sie
einen symptomatischen Wert, an dem man in Deutschland nicht vorübergehn
darf in einem Augenblick, wo von einem deutsch-englischen Konflikt, wenn
auch nur theoretisch und unter der Annahme seiner praktischen Unmöglichkeit,
die Rede ist.

Bcirres Arbeit soll nach seiner Angabe dem Studium der Mittel gelten,
mit denen die Deutschen in Elsaß-Lothringen den „lateinisch-germanischen
Krieg" weiter führen, und ebenso der diagnostischen Ergründung der Wirkung
auf die Elsaß-Lothringer. Man gewinnt den Eindruck, daß ihm die Mittel
gefährlich, die Wirkung bedenklich erscheinen, und daß er deshalb mit Gehässig¬
keiten sich und die Leser der Revue über die Wirklichkeit zu täuschen und
ihnen einzureden sucht, die Sympathie für Frankreich sitze in den Gemütern
der elsässischen und der lothringischen Bevölkerung tief, und es bedürfe nur
eines Anstoßes, damit sie in dem Deutschen ihren Feind erkennten. Die
französische Presse ist denn auch sehr ungehalten gewesen über den Beschluß
des elsaß-lothringischen Landesausschusses, der die bundesrechtliche Gleich¬
stellung mit den andern Staaten dieses so inferioren Deutschlands verlangt.
Es wird darauf ankommen, eine Form zu finden, die den dem Beschluß zu¬
grunde liegenden Wünschen entspricht lind doch die Gefahr vermeidet, die in
der Konstituierung eines neuen selbständigen Staatengebildes an unsrer ge-
fährdetsten Grenze, im Widerspruch zu den Grundanschauungen von 1871,
H. I. enthalten wäre.




Hüdtirol

in Mittelalter reichten die deutsche Sprache und die deutsche Nation
bis in die Hügellandschaft des Venezianischen, bis vor die Tore
von Verona und Vicenza hinab. Die eine Hülste des heutigen
Welschtirols, das ganze Gebiet vom linken Ufer der mittlern Etsch
bis an die venezianische Grenze und von den Anhöhen bei
Verona bis zu den Übergängen nach dem Pustertal hatte einst eine reindeutsche
Bevölkerung. Im Fersental, in der Umgebung der Seen von Caldenazzo
und Levico sowie im ganzen Quellengebiet der Brenta bis weit über Borgo


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[0727] Südtirol kein einziger Offizier mehr als Major, der im Jahre 1870 den Krieg mitgemacht hat. Die kleine dicke Frau kann ihren Mann also unmöglich als Eroberer des Landes umhalst haben. Aber dieses kleine Beispiel, das selbst Damen nicht schont, denen „Tränen von Wein und Enthusiasmus" aus den Augen kollern, ist typisch für die Art, womit in der wissenschaftlichsten Revue Frankreichs die Hetzerei gegen Deutschland und die Herabsetzung der Deutschen gegenüber einer eingebildeten superiorit^ tranyaisö betrieben wird, sicherlich doch in der Voraussetzung, damit der Stimmung und dem Geschmack der Leser zu entsprechen. Es hieße ja unter andern Umständen mit Kanonen auf Spatzen schießen, wollte man solchen „Studien" eine besondre Bedeutung beimessen. Aber im Zusammenhang mit vielen andern Anzeichen haben sie einen symptomatischen Wert, an dem man in Deutschland nicht vorübergehn darf in einem Augenblick, wo von einem deutsch-englischen Konflikt, wenn auch nur theoretisch und unter der Annahme seiner praktischen Unmöglichkeit, die Rede ist. Bcirres Arbeit soll nach seiner Angabe dem Studium der Mittel gelten, mit denen die Deutschen in Elsaß-Lothringen den „lateinisch-germanischen Krieg" weiter führen, und ebenso der diagnostischen Ergründung der Wirkung auf die Elsaß-Lothringer. Man gewinnt den Eindruck, daß ihm die Mittel gefährlich, die Wirkung bedenklich erscheinen, und daß er deshalb mit Gehässig¬ keiten sich und die Leser der Revue über die Wirklichkeit zu täuschen und ihnen einzureden sucht, die Sympathie für Frankreich sitze in den Gemütern der elsässischen und der lothringischen Bevölkerung tief, und es bedürfe nur eines Anstoßes, damit sie in dem Deutschen ihren Feind erkennten. Die französische Presse ist denn auch sehr ungehalten gewesen über den Beschluß des elsaß-lothringischen Landesausschusses, der die bundesrechtliche Gleich¬ stellung mit den andern Staaten dieses so inferioren Deutschlands verlangt. Es wird darauf ankommen, eine Form zu finden, die den dem Beschluß zu¬ grunde liegenden Wünschen entspricht lind doch die Gefahr vermeidet, die in der Konstituierung eines neuen selbständigen Staatengebildes an unsrer ge- fährdetsten Grenze, im Widerspruch zu den Grundanschauungen von 1871, H. I. enthalten wäre. Hüdtirol in Mittelalter reichten die deutsche Sprache und die deutsche Nation bis in die Hügellandschaft des Venezianischen, bis vor die Tore von Verona und Vicenza hinab. Die eine Hülste des heutigen Welschtirols, das ganze Gebiet vom linken Ufer der mittlern Etsch bis an die venezianische Grenze und von den Anhöhen bei Verona bis zu den Übergängen nach dem Pustertal hatte einst eine reindeutsche Bevölkerung. Im Fersental, in der Umgebung der Seen von Caldenazzo und Levico sowie im ganzen Quellengebiet der Brenta bis weit über Borgo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/727>, abgerufen am 23.07.2024.