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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Zur lippischen Erbfolge

willen leicht als wünschenswert erscheinen mag. Es ist nicht ausgeschlossen,
daß dieser Fall jetzt schon einträte. Diese Möglichkeit kann aber mir das
Interesse an der Wahl im kommenden November erhöhen.


Jul. hofmann


Zur lippischen Erbfolge

!as Folgende ist allein in Vertretung einer von politischen Er¬
wägungen unbeeinflußten wissenschaftlichen Ansicht geschrieben,
während es demi Verfasser, der mit keinem der Beteiligten die
Igeringsten Beziehungen unterhält, völlig fernliegt, Partei zu er¬
greifen.

Dadurch daß, wie bekannt, Schaumburg-Lippe seine Ansprüche auf deu
Thron von Lippe-Detmold neuerdings wieder erhoben und seinen Einspruch
gegen die Thronfolge der Biesterfelder Linie beim Bundesrat erneuert hat, ist
der lippische Erbfolgestreit abermals akut geworden, nicht schon durch das Ab¬
leben des jüngst verstorbnen Grafregenten Ernst. Denn die eine Möglichkeit,
den ganzen Streit zu begrabe", wäre offenbar die gewesen: daß die verschiednen
Linien des lippischen Gesamthauscs, insbesondre das Haus Schaumburg-Lippe
die tatsächliche Erbfolge der Biesterfelder unangefochten zugelassen hätten. Wenn
ein solcher tatsächlicher Zustand lange genug, zumal über den Tod des noch
nominell regierenden geisteskranken Fürsten Alexander hinaus gedauert hätte, so
würde er unzweifelhaft mit der Zeit Rechtswirkungen geäußert haben, und die
Biesterfelder wären faktisch und rechtlich thronfolgeberechtigt geworden. Denn
eine andre Stelle als eben die lippischen Agnaten, die in der Lage und be¬
rechtigt wäre, sie daran zu hindern, gibt es nicht, und wo kein Kläger ist, da
ist kein Richter; das gilt im Staatsrecht ebensogut wie im Privatrecht.

Da diese Möglichkeit freiwilligen Zurücktretens der eiuen Partei nicht zur
Wirklichkeit geworden ist, muß eine autoritative Erledigung erfolgen. Und zwar
muß der Bundesrat auf Grund des Artikels 76 Absatz 1 der Reichsverfassung,
der ihn zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Bundesstaaten beruft, eine
Entscheidung füllen oder herbeiführen. Es haben allerdings, meines Erachtens
zu Unrecht, namhafte Lehrer des Staatsrechts, die sich aus der genannten
Verfassungsbestimmung herleitende Zuständigkeit des Bundesrath für den Frage¬
fall bestritten mit der Behauptung, es läge hier kein Streit zwischen Bundes¬
staaten vor, sondern nur persönliche Ansprüche verschiedner Agnaten. Es würde
zu weit führen, diese Streitfrage hier zu erörtern: soviel ist gewiß, daß der
Bundesrat in seinem Beschluß vom 5. Januar 1899 selbst seine Zuständigkeit
in dieser Sache grundsätzlich bejaht hat, und es besteht kein Grund zu der
Annahme, daß er diesen Standpunkt heute ändern würde. Man mag diese
Ansicht des Bundesrath sachlich für richtig oder für unrichtig halten: jedenfalls
gibt es keine Instanz und kein Verfahren, wodurch ihm die Zuständigkeit, die
er sich selbst vindiziert, wieder abgesprochen werden könnte. Mit Rücksicht ans


Zur lippischen Erbfolge

willen leicht als wünschenswert erscheinen mag. Es ist nicht ausgeschlossen,
daß dieser Fall jetzt schon einträte. Diese Möglichkeit kann aber mir das
Interesse an der Wahl im kommenden November erhöhen.


Jul. hofmann


Zur lippischen Erbfolge

!as Folgende ist allein in Vertretung einer von politischen Er¬
wägungen unbeeinflußten wissenschaftlichen Ansicht geschrieben,
während es demi Verfasser, der mit keinem der Beteiligten die
Igeringsten Beziehungen unterhält, völlig fernliegt, Partei zu er¬
greifen.

Dadurch daß, wie bekannt, Schaumburg-Lippe seine Ansprüche auf deu
Thron von Lippe-Detmold neuerdings wieder erhoben und seinen Einspruch
gegen die Thronfolge der Biesterfelder Linie beim Bundesrat erneuert hat, ist
der lippische Erbfolgestreit abermals akut geworden, nicht schon durch das Ab¬
leben des jüngst verstorbnen Grafregenten Ernst. Denn die eine Möglichkeit,
den ganzen Streit zu begrabe», wäre offenbar die gewesen: daß die verschiednen
Linien des lippischen Gesamthauscs, insbesondre das Haus Schaumburg-Lippe
die tatsächliche Erbfolge der Biesterfelder unangefochten zugelassen hätten. Wenn
ein solcher tatsächlicher Zustand lange genug, zumal über den Tod des noch
nominell regierenden geisteskranken Fürsten Alexander hinaus gedauert hätte, so
würde er unzweifelhaft mit der Zeit Rechtswirkungen geäußert haben, und die
Biesterfelder wären faktisch und rechtlich thronfolgeberechtigt geworden. Denn
eine andre Stelle als eben die lippischen Agnaten, die in der Lage und be¬
rechtigt wäre, sie daran zu hindern, gibt es nicht, und wo kein Kläger ist, da
ist kein Richter; das gilt im Staatsrecht ebensogut wie im Privatrecht.

Da diese Möglichkeit freiwilligen Zurücktretens der eiuen Partei nicht zur
Wirklichkeit geworden ist, muß eine autoritative Erledigung erfolgen. Und zwar
muß der Bundesrat auf Grund des Artikels 76 Absatz 1 der Reichsverfassung,
der ihn zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Bundesstaaten beruft, eine
Entscheidung füllen oder herbeiführen. Es haben allerdings, meines Erachtens
zu Unrecht, namhafte Lehrer des Staatsrechts, die sich aus der genannten
Verfassungsbestimmung herleitende Zuständigkeit des Bundesrath für den Frage¬
fall bestritten mit der Behauptung, es läge hier kein Streit zwischen Bundes¬
staaten vor, sondern nur persönliche Ansprüche verschiedner Agnaten. Es würde
zu weit führen, diese Streitfrage hier zu erörtern: soviel ist gewiß, daß der
Bundesrat in seinem Beschluß vom 5. Januar 1899 selbst seine Zuständigkeit
in dieser Sache grundsätzlich bejaht hat, und es besteht kein Grund zu der
Annahme, daß er diesen Standpunkt heute ändern würde. Man mag diese
Ansicht des Bundesrath sachlich für richtig oder für unrichtig halten: jedenfalls
gibt es keine Instanz und kein Verfahren, wodurch ihm die Zuständigkeit, die
er sich selbst vindiziert, wieder abgesprochen werden könnte. Mit Rücksicht ans


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[0072] Zur lippischen Erbfolge willen leicht als wünschenswert erscheinen mag. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Fall jetzt schon einträte. Diese Möglichkeit kann aber mir das Interesse an der Wahl im kommenden November erhöhen. Jul. hofmann Zur lippischen Erbfolge !as Folgende ist allein in Vertretung einer von politischen Er¬ wägungen unbeeinflußten wissenschaftlichen Ansicht geschrieben, während es demi Verfasser, der mit keinem der Beteiligten die Igeringsten Beziehungen unterhält, völlig fernliegt, Partei zu er¬ greifen. Dadurch daß, wie bekannt, Schaumburg-Lippe seine Ansprüche auf deu Thron von Lippe-Detmold neuerdings wieder erhoben und seinen Einspruch gegen die Thronfolge der Biesterfelder Linie beim Bundesrat erneuert hat, ist der lippische Erbfolgestreit abermals akut geworden, nicht schon durch das Ab¬ leben des jüngst verstorbnen Grafregenten Ernst. Denn die eine Möglichkeit, den ganzen Streit zu begrabe», wäre offenbar die gewesen: daß die verschiednen Linien des lippischen Gesamthauscs, insbesondre das Haus Schaumburg-Lippe die tatsächliche Erbfolge der Biesterfelder unangefochten zugelassen hätten. Wenn ein solcher tatsächlicher Zustand lange genug, zumal über den Tod des noch nominell regierenden geisteskranken Fürsten Alexander hinaus gedauert hätte, so würde er unzweifelhaft mit der Zeit Rechtswirkungen geäußert haben, und die Biesterfelder wären faktisch und rechtlich thronfolgeberechtigt geworden. Denn eine andre Stelle als eben die lippischen Agnaten, die in der Lage und be¬ rechtigt wäre, sie daran zu hindern, gibt es nicht, und wo kein Kläger ist, da ist kein Richter; das gilt im Staatsrecht ebensogut wie im Privatrecht. Da diese Möglichkeit freiwilligen Zurücktretens der eiuen Partei nicht zur Wirklichkeit geworden ist, muß eine autoritative Erledigung erfolgen. Und zwar muß der Bundesrat auf Grund des Artikels 76 Absatz 1 der Reichsverfassung, der ihn zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Bundesstaaten beruft, eine Entscheidung füllen oder herbeiführen. Es haben allerdings, meines Erachtens zu Unrecht, namhafte Lehrer des Staatsrechts, die sich aus der genannten Verfassungsbestimmung herleitende Zuständigkeit des Bundesrath für den Frage¬ fall bestritten mit der Behauptung, es läge hier kein Streit zwischen Bundes¬ staaten vor, sondern nur persönliche Ansprüche verschiedner Agnaten. Es würde zu weit führen, diese Streitfrage hier zu erörtern: soviel ist gewiß, daß der Bundesrat in seinem Beschluß vom 5. Januar 1899 selbst seine Zuständigkeit in dieser Sache grundsätzlich bejaht hat, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß er diesen Standpunkt heute ändern würde. Man mag diese Ansicht des Bundesrath sachlich für richtig oder für unrichtig halten: jedenfalls gibt es keine Instanz und kein Verfahren, wodurch ihm die Zuständigkeit, die er sich selbst vindiziert, wieder abgesprochen werden könnte. Mit Rücksicht ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/72>, abgerufen am 23.07.2024.