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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Konstantinopolitmnsche Reiseerlebnisse

vielleicht kann sich ein Dichter in der Vogtländischen Mundart schmeicheln,
das; seine Rundas usw. für die andern Deutschen Hamlets bekannter Kaviar
fürs Volk sind.

Wer eine realistische Geschichte liebt, findet sie trotz dem Titel "Hans
der Träumer" von Rudolf Huch dargestellt (Inselverlag. 4 Mark). Es gibt
da eine ganz amüsante moderne Gesellschaft. Besonders das Leben und
Treiben in einem Korps wird uns geschildert. Es scheint ziemlich genau der
Wirklichkeit zu entsprechen, ohne darum einen erfreulichen Eindruck zu machen.
Auch in dem Schlosse des Herrn von Dcchlhelm, des frühern Korpsbruders
von Hans Fabricius, passieren Dinge, die ein bedenkliches Schütteln des
Kopfes rechtfertigen können. Sehr amüsant ist eine Clique junger Schrift¬
steller (100 f.) und einer Schriftstellerin. Einer von ihnen wird einen "Richt¬
block der Ideale" schreiben, der die Welt in vier Wochen umgestalten muß.
Die Schriftstellerin wiederum findet es sinnlos, ein Drama "ohne Trottel"
schreiben zu wollen. Da die ganze Gesellschaft stark zecht, und es heißt: in
vino voritas, so muß mens wohl glauben. Hans tut schließlich am besten
daran, daß er jung stirbt. Er hinterläßt in seinen Aufzeichnungen eine Lehre:
Suche nach der Wirklichkeit. "Helfen kann ich dir aber dabei nur mit der
armen Lehre, wo du nicht suchen sollst: in dem, was dich als sichtbare
Wirklichkeit umgibt." Beinahe hätte sein Tod eine Skatgesellschaft gestört,
die unter ihm im Gasthause saß. Aber sie kam an diesem Abend noch glück¬
i<. Bruch manu lich darüber hinweg.




Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse
Friedrich Seiler von (Fortsetzung)
3. Die nähere Umgebung von Aonstcmtinopel

.WD>cum man das Gewühl einer Großstadt einige Tage lang genossen
hat, so tut es wohl, die Einsamkeit aufzusuchen, und wenn man das
Gegenwartsgetriebe satt hat, so läßt man sich gern von den Schauern
der Vergangenheit umwehen. Beides findet man reichlich, wenn man
die Mauern Stambuls auf der Außenseite entlcmgwnndert. Lebende
! Wesen sind dort selten, und die Geschichte dringt mit wirklichen
Schauern auf den sinnenden Betrachter ein; sie zeigt hier ihr dunkelstes, ernstestes
Gesicht.

Ich habe diesen wunderbaren Weg zweimal gemacht, zuerst im Wagen und
mit unserm albanesischen Führer. Das gab aber nur einen Gesamteindruck. Denn
der Wagen fuhr viel zu rasch, als daß für stimmungsvolle Betrachtung Zeit ge¬
blieben wäre. Darum machte ich einige Tage später wenigstens die Hälfte des
Weges noch einmal zu Fuß mit meinem Genossen. Wir fuhren mit der Trambahn
durch ganz Stambul die ungeheure Strecke von der neuen Brücke bis zum ..Kanonen¬
tor" und wanderten von da in langsamer Beschaulichkeit die nördliche Mauerhälstc
"och einmal ab. Im folgenden fasse ich die Eindrücke der beiden Ausflüge zu-


Konstantinopolitmnsche Reiseerlebnisse

vielleicht kann sich ein Dichter in der Vogtländischen Mundart schmeicheln,
das; seine Rundas usw. für die andern Deutschen Hamlets bekannter Kaviar
fürs Volk sind.

Wer eine realistische Geschichte liebt, findet sie trotz dem Titel „Hans
der Träumer" von Rudolf Huch dargestellt (Inselverlag. 4 Mark). Es gibt
da eine ganz amüsante moderne Gesellschaft. Besonders das Leben und
Treiben in einem Korps wird uns geschildert. Es scheint ziemlich genau der
Wirklichkeit zu entsprechen, ohne darum einen erfreulichen Eindruck zu machen.
Auch in dem Schlosse des Herrn von Dcchlhelm, des frühern Korpsbruders
von Hans Fabricius, passieren Dinge, die ein bedenkliches Schütteln des
Kopfes rechtfertigen können. Sehr amüsant ist eine Clique junger Schrift¬
steller (100 f.) und einer Schriftstellerin. Einer von ihnen wird einen „Richt¬
block der Ideale" schreiben, der die Welt in vier Wochen umgestalten muß.
Die Schriftstellerin wiederum findet es sinnlos, ein Drama „ohne Trottel"
schreiben zu wollen. Da die ganze Gesellschaft stark zecht, und es heißt: in
vino voritas, so muß mens wohl glauben. Hans tut schließlich am besten
daran, daß er jung stirbt. Er hinterläßt in seinen Aufzeichnungen eine Lehre:
Suche nach der Wirklichkeit. „Helfen kann ich dir aber dabei nur mit der
armen Lehre, wo du nicht suchen sollst: in dem, was dich als sichtbare
Wirklichkeit umgibt." Beinahe hätte sein Tod eine Skatgesellschaft gestört,
die unter ihm im Gasthause saß. Aber sie kam an diesem Abend noch glück¬
i<. Bruch manu lich darüber hinweg.




Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse
Friedrich Seiler von (Fortsetzung)
3. Die nähere Umgebung von Aonstcmtinopel

.WD>cum man das Gewühl einer Großstadt einige Tage lang genossen
hat, so tut es wohl, die Einsamkeit aufzusuchen, und wenn man das
Gegenwartsgetriebe satt hat, so läßt man sich gern von den Schauern
der Vergangenheit umwehen. Beides findet man reichlich, wenn man
die Mauern Stambuls auf der Außenseite entlcmgwnndert. Lebende
! Wesen sind dort selten, und die Geschichte dringt mit wirklichen
Schauern auf den sinnenden Betrachter ein; sie zeigt hier ihr dunkelstes, ernstestes
Gesicht.

Ich habe diesen wunderbaren Weg zweimal gemacht, zuerst im Wagen und
mit unserm albanesischen Führer. Das gab aber nur einen Gesamteindruck. Denn
der Wagen fuhr viel zu rasch, als daß für stimmungsvolle Betrachtung Zeit ge¬
blieben wäre. Darum machte ich einige Tage später wenigstens die Hälfte des
Weges noch einmal zu Fuß mit meinem Genossen. Wir fuhren mit der Trambahn
durch ganz Stambul die ungeheure Strecke von der neuen Brücke bis zum ..Kanonen¬
tor" und wanderten von da in langsamer Beschaulichkeit die nördliche Mauerhälstc
"och einmal ab. Im folgenden fasse ich die Eindrücke der beiden Ausflüge zu-


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[0638] Konstantinopolitmnsche Reiseerlebnisse vielleicht kann sich ein Dichter in der Vogtländischen Mundart schmeicheln, das; seine Rundas usw. für die andern Deutschen Hamlets bekannter Kaviar fürs Volk sind. Wer eine realistische Geschichte liebt, findet sie trotz dem Titel „Hans der Träumer" von Rudolf Huch dargestellt (Inselverlag. 4 Mark). Es gibt da eine ganz amüsante moderne Gesellschaft. Besonders das Leben und Treiben in einem Korps wird uns geschildert. Es scheint ziemlich genau der Wirklichkeit zu entsprechen, ohne darum einen erfreulichen Eindruck zu machen. Auch in dem Schlosse des Herrn von Dcchlhelm, des frühern Korpsbruders von Hans Fabricius, passieren Dinge, die ein bedenkliches Schütteln des Kopfes rechtfertigen können. Sehr amüsant ist eine Clique junger Schrift¬ steller (100 f.) und einer Schriftstellerin. Einer von ihnen wird einen „Richt¬ block der Ideale" schreiben, der die Welt in vier Wochen umgestalten muß. Die Schriftstellerin wiederum findet es sinnlos, ein Drama „ohne Trottel" schreiben zu wollen. Da die ganze Gesellschaft stark zecht, und es heißt: in vino voritas, so muß mens wohl glauben. Hans tut schließlich am besten daran, daß er jung stirbt. Er hinterläßt in seinen Aufzeichnungen eine Lehre: Suche nach der Wirklichkeit. „Helfen kann ich dir aber dabei nur mit der armen Lehre, wo du nicht suchen sollst: in dem, was dich als sichtbare Wirklichkeit umgibt." Beinahe hätte sein Tod eine Skatgesellschaft gestört, die unter ihm im Gasthause saß. Aber sie kam an diesem Abend noch glück¬ i<. Bruch manu lich darüber hinweg. Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse Friedrich Seiler von (Fortsetzung) 3. Die nähere Umgebung von Aonstcmtinopel .WD>cum man das Gewühl einer Großstadt einige Tage lang genossen hat, so tut es wohl, die Einsamkeit aufzusuchen, und wenn man das Gegenwartsgetriebe satt hat, so läßt man sich gern von den Schauern der Vergangenheit umwehen. Beides findet man reichlich, wenn man die Mauern Stambuls auf der Außenseite entlcmgwnndert. Lebende ! Wesen sind dort selten, und die Geschichte dringt mit wirklichen Schauern auf den sinnenden Betrachter ein; sie zeigt hier ihr dunkelstes, ernstestes Gesicht. Ich habe diesen wunderbaren Weg zweimal gemacht, zuerst im Wagen und mit unserm albanesischen Führer. Das gab aber nur einen Gesamteindruck. Denn der Wagen fuhr viel zu rasch, als daß für stimmungsvolle Betrachtung Zeit ge¬ blieben wäre. Darum machte ich einige Tage später wenigstens die Hälfte des Weges noch einmal zu Fuß mit meinem Genossen. Wir fuhren mit der Trambahn durch ganz Stambul die ungeheure Strecke von der neuen Brücke bis zum ..Kanonen¬ tor" und wanderten von da in langsamer Beschaulichkeit die nördliche Mauerhälstc "och einmal ab. Im folgenden fasse ich die Eindrücke der beiden Ausflüge zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/638>, abgerufen am 26.06.2024.