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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Sage vom Strandscgen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Die beiden ebenfalls in der ostfriesischen Kirchenordnung enthaltnen Ge¬
bete "GOTT gib Fried in deinem Lande. Glück und Hehl zu allem Stande"
und "Leid uns mit deiner rechten Hand > Und segne unser Stadt und Land"
verraten eine Freude am Reime, die leicht die Bildung einer Variation wie
"Und segne unser Land und Strand" veranlaßt haben kann.

Die Bremische Kirchenordnung von 1534 und die Oldenburgische von 1573
enthalten keine auf die Verhältnisse der Strandbevölkernng bezüglichen Gebete,
die zur Entstehung der Strandsegensage einen wenn auch noch so geringfügigen
Anlaß hätten geben können.

4

Tiefer noch als die ostfriesischen Eilande ist durch die Geschichte des
Strandrechts und durch die Sage vom Strandsegen die einsame Insel Helgo¬
land verschattet.

Die Strandverhältnisse Helgolands beruhten auf dem dänischen und dem
Schleswig-holsteinischen Strandrechte. Von der Strandorduung Waldemars des
Ersten, die im Jahre 1163 den Eigentümern gestrandeter Schiffe und Güter
die freie Wahl der Berger zusicherte und für die Wiedergewinnung der Güter
eine Frist von einem Jahr und einem Tag offen erhielt, bis zu Christians
des Dritten neun Artikeln vom Jahre 1558, auf denen das dänische Strand-
recht der folgenden Jahrhunderte berichte, zieht sich eine lange Reihe von
Verträgen hin, die zwischeu Dänemark und den Hansestädten zur Bekämpfung
des Strandrechts abgeschlossen wurden. Der Hamburger Publizist Professor
Büsch hebt in seiner Darstellung des in den nordlichen Gewässern üblichen
insonderheit des Schleswig-Holsteinscheu Strandrechts rühmend hervor,
daß in diesem Zeitraume "von der Ausübung dieses verhaßten Rechts fast alle
Spuren fehlen." Diese Zeit der Sicherheit fällt mit der Blütezeit der Hanse
zusammen.

Mit Christians des Dritten neun Artikeln wird das Strandrecht an den
dänischen Küsten wieder lebendig. Natürlich war diese Wirkung nicht beabsichtigt,
die neun Artikel waren so gut gemeint wie die frühern Verfügungen der
dänischen Könige, aber einer von ihnen, der zweite, wurde durch seiue Un¬
klarheit für die Schiffahrt an der dänischen Küste und für den dänischen Strand
verhängnisvoll. Niemand sollte es nach diesem Artikel erlaubt sein, anch dem
Amtmann des Königs nicht, von dem Gute der Schiffbrüchigen irgend etwas
anzutasten oder zu entfernen, bevor sie es selbst übergäben. Wenn aber die
Schiffsleute ihre Habe übergäben und verließen, sodaß sie sich davon schieden
und sagten, daß sie nicht durch eigne Kraft und nicht mit fremder Hilfe etwas
von ihrer Habe retten könnten, und daß sie dieses auch nicht wollten, dann
-- nicht eher -- sollte ihre Habe als verlassenes Wrackgut betrachtet werden
und des Königs Amtmann dieses Gut bergen lassen.

Die hier als normaler Gegensatz zu der Überwachung und der Zurück-
forderung des gestandeten Guts durch die Eigentümer oder deren Vertreter
angenommne Form der Dereliktion (die von der Besatzung eines gestrandeten
Schiffes ein "ancrgenenn prüde verlopenn ^verlaufen^" und die ausdrückliche,
verklausulierte Erklärung voraussetzt, das; sie weder imstande noch willens sind,


Die Sage vom Strandscgen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Die beiden ebenfalls in der ostfriesischen Kirchenordnung enthaltnen Ge¬
bete „GOTT gib Fried in deinem Lande. Glück und Hehl zu allem Stande"
und „Leid uns mit deiner rechten Hand > Und segne unser Stadt und Land"
verraten eine Freude am Reime, die leicht die Bildung einer Variation wie
„Und segne unser Land und Strand" veranlaßt haben kann.

Die Bremische Kirchenordnung von 1534 und die Oldenburgische von 1573
enthalten keine auf die Verhältnisse der Strandbevölkernng bezüglichen Gebete,
die zur Entstehung der Strandsegensage einen wenn auch noch so geringfügigen
Anlaß hätten geben können.

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Tiefer noch als die ostfriesischen Eilande ist durch die Geschichte des
Strandrechts und durch die Sage vom Strandsegen die einsame Insel Helgo¬
land verschattet.

Die Strandverhältnisse Helgolands beruhten auf dem dänischen und dem
Schleswig-holsteinischen Strandrechte. Von der Strandorduung Waldemars des
Ersten, die im Jahre 1163 den Eigentümern gestrandeter Schiffe und Güter
die freie Wahl der Berger zusicherte und für die Wiedergewinnung der Güter
eine Frist von einem Jahr und einem Tag offen erhielt, bis zu Christians
des Dritten neun Artikeln vom Jahre 1558, auf denen das dänische Strand-
recht der folgenden Jahrhunderte berichte, zieht sich eine lange Reihe von
Verträgen hin, die zwischeu Dänemark und den Hansestädten zur Bekämpfung
des Strandrechts abgeschlossen wurden. Der Hamburger Publizist Professor
Büsch hebt in seiner Darstellung des in den nordlichen Gewässern üblichen
insonderheit des Schleswig-Holsteinscheu Strandrechts rühmend hervor,
daß in diesem Zeitraume „von der Ausübung dieses verhaßten Rechts fast alle
Spuren fehlen." Diese Zeit der Sicherheit fällt mit der Blütezeit der Hanse
zusammen.

Mit Christians des Dritten neun Artikeln wird das Strandrecht an den
dänischen Küsten wieder lebendig. Natürlich war diese Wirkung nicht beabsichtigt,
die neun Artikel waren so gut gemeint wie die frühern Verfügungen der
dänischen Könige, aber einer von ihnen, der zweite, wurde durch seiue Un¬
klarheit für die Schiffahrt an der dänischen Küste und für den dänischen Strand
verhängnisvoll. Niemand sollte es nach diesem Artikel erlaubt sein, anch dem
Amtmann des Königs nicht, von dem Gute der Schiffbrüchigen irgend etwas
anzutasten oder zu entfernen, bevor sie es selbst übergäben. Wenn aber die
Schiffsleute ihre Habe übergäben und verließen, sodaß sie sich davon schieden
und sagten, daß sie nicht durch eigne Kraft und nicht mit fremder Hilfe etwas
von ihrer Habe retten könnten, und daß sie dieses auch nicht wollten, dann
— nicht eher — sollte ihre Habe als verlassenes Wrackgut betrachtet werden
und des Königs Amtmann dieses Gut bergen lassen.

Die hier als normaler Gegensatz zu der Überwachung und der Zurück-
forderung des gestandeten Guts durch die Eigentümer oder deren Vertreter
angenommne Form der Dereliktion (die von der Besatzung eines gestrandeten
Schiffes ein „ancrgenenn prüde verlopenn ^verlaufen^" und die ausdrückliche,
verklausulierte Erklärung voraussetzt, das; sie weder imstande noch willens sind,


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[0315] Die Sage vom Strandscgen und das Strandrecht an der deutschen Küste Die beiden ebenfalls in der ostfriesischen Kirchenordnung enthaltnen Ge¬ bete „GOTT gib Fried in deinem Lande. Glück und Hehl zu allem Stande" und „Leid uns mit deiner rechten Hand > Und segne unser Stadt und Land" verraten eine Freude am Reime, die leicht die Bildung einer Variation wie „Und segne unser Land und Strand" veranlaßt haben kann. Die Bremische Kirchenordnung von 1534 und die Oldenburgische von 1573 enthalten keine auf die Verhältnisse der Strandbevölkernng bezüglichen Gebete, die zur Entstehung der Strandsegensage einen wenn auch noch so geringfügigen Anlaß hätten geben können. 4 Tiefer noch als die ostfriesischen Eilande ist durch die Geschichte des Strandrechts und durch die Sage vom Strandsegen die einsame Insel Helgo¬ land verschattet. Die Strandverhältnisse Helgolands beruhten auf dem dänischen und dem Schleswig-holsteinischen Strandrechte. Von der Strandorduung Waldemars des Ersten, die im Jahre 1163 den Eigentümern gestrandeter Schiffe und Güter die freie Wahl der Berger zusicherte und für die Wiedergewinnung der Güter eine Frist von einem Jahr und einem Tag offen erhielt, bis zu Christians des Dritten neun Artikeln vom Jahre 1558, auf denen das dänische Strand- recht der folgenden Jahrhunderte berichte, zieht sich eine lange Reihe von Verträgen hin, die zwischeu Dänemark und den Hansestädten zur Bekämpfung des Strandrechts abgeschlossen wurden. Der Hamburger Publizist Professor Büsch hebt in seiner Darstellung des in den nordlichen Gewässern üblichen insonderheit des Schleswig-Holsteinscheu Strandrechts rühmend hervor, daß in diesem Zeitraume „von der Ausübung dieses verhaßten Rechts fast alle Spuren fehlen." Diese Zeit der Sicherheit fällt mit der Blütezeit der Hanse zusammen. Mit Christians des Dritten neun Artikeln wird das Strandrecht an den dänischen Küsten wieder lebendig. Natürlich war diese Wirkung nicht beabsichtigt, die neun Artikel waren so gut gemeint wie die frühern Verfügungen der dänischen Könige, aber einer von ihnen, der zweite, wurde durch seiue Un¬ klarheit für die Schiffahrt an der dänischen Küste und für den dänischen Strand verhängnisvoll. Niemand sollte es nach diesem Artikel erlaubt sein, anch dem Amtmann des Königs nicht, von dem Gute der Schiffbrüchigen irgend etwas anzutasten oder zu entfernen, bevor sie es selbst übergäben. Wenn aber die Schiffsleute ihre Habe übergäben und verließen, sodaß sie sich davon schieden und sagten, daß sie nicht durch eigne Kraft und nicht mit fremder Hilfe etwas von ihrer Habe retten könnten, und daß sie dieses auch nicht wollten, dann — nicht eher — sollte ihre Habe als verlassenes Wrackgut betrachtet werden und des Königs Amtmann dieses Gut bergen lassen. Die hier als normaler Gegensatz zu der Überwachung und der Zurück- forderung des gestandeten Guts durch die Eigentümer oder deren Vertreter angenommne Form der Dereliktion (die von der Besatzung eines gestrandeten Schiffes ein „ancrgenenn prüde verlopenn ^verlaufen^" und die ausdrückliche, verklausulierte Erklärung voraussetzt, das; sie weder imstande noch willens sind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/315>, abgerufen am 26.06.2024.