Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Lin neuer Plan zu gemeinsamer Verwaltung des
britischen Weltreichs

ngland ist gegen seine voll Europäern bevölkerten Kolonien mit
der erdenklichsten Großherzigkeit verfahren, so wie es überhaupt
noch niemals in der Geschichte vorgekommen ist. Nachdem es
durch eine verfehlte Gewaltherrschaft den besten Teil Nordamerikas
verloren hatte, hat es alles aufgeboten, den Rest dnrch Liberalität
an sich zu fesseln. Es hat zwar die überwiegend von Eingebornen bewohnten
Kolonien, wie ganz Indien und die unzivilisierten Teile Afrikas und Australien,
unter unmittelbarer Kronverwaltung behalten, den Eurvpäerkolouien jedoch die
äußerste Freiheit und Selbstverwaltung gewährt. Die Krone läßt sich mir dnrch
einen Gouverneur vertreten, der regelmäßig seine Ministerien dem Kolvnial-
parlament genehm wählen muß, genau so wie es im Mutterlande die Krone
gegenüber dem Unterhause macht. In der Gesetzgebung und in der Besteuerung
sind die Kolonien vollkommen frei, sogar in ihrer Handelspolitik, sodaß sich
das gegen Schutzzölle so empfindliche England Absperrungsmaßregeln der
Kolonien gefallen läßt. Zur Landesverteidigung brauchen die Kolonien nichts
beizutragen, wenn sie nicht wollen. Maß, Münze, bürgerliches Recht und
oberster Gerichtshof sind zwar gemeinsam, aber nur weil die Kolonien damit
einverstanden sind. Nur diplomatischen Verkehr mit dem Auslande würde Eng¬
land wohl nicht dulden, falls die Kolonien einen solchen wünschten; auch die
Konsulate sind nur allgemein britisch, die einzelnen Kolonien können keine
unterhalten.

Zurzeit siud die separatistische", Strömungen in allen Kolonien so gut wie
erloschen. Nur im Westen von Kanada vermutet man ihr gelegentliches Wieder¬
aufleben. Im Osten, im eigentlichen Kanada, herrscht eine äußerst britisch-
patriotische Stimmung, die es dahin gebracht hat, daß man der Einfuhr aus
England Vorzugszölle eingeräumt hat, ohne eine Gegengabe vom Mutterlande
abzuwarten, und obgleich diese immer unwahrscheinlicher geworden ist. Der
Westen (Mauitoba, Saskatschewan, Assiniboia, Victoria) ist von andern Gefühlen
beseelt. Dort ist in den letzten Jahren eine starke Einwanderung geschehen,
meist von Amerikanern, die nicht nur ihre republikanischen Ideen mitbringen,


Grenzboten IV 1904 41


Lin neuer Plan zu gemeinsamer Verwaltung des
britischen Weltreichs

ngland ist gegen seine voll Europäern bevölkerten Kolonien mit
der erdenklichsten Großherzigkeit verfahren, so wie es überhaupt
noch niemals in der Geschichte vorgekommen ist. Nachdem es
durch eine verfehlte Gewaltherrschaft den besten Teil Nordamerikas
verloren hatte, hat es alles aufgeboten, den Rest dnrch Liberalität
an sich zu fesseln. Es hat zwar die überwiegend von Eingebornen bewohnten
Kolonien, wie ganz Indien und die unzivilisierten Teile Afrikas und Australien,
unter unmittelbarer Kronverwaltung behalten, den Eurvpäerkolouien jedoch die
äußerste Freiheit und Selbstverwaltung gewährt. Die Krone läßt sich mir dnrch
einen Gouverneur vertreten, der regelmäßig seine Ministerien dem Kolvnial-
parlament genehm wählen muß, genau so wie es im Mutterlande die Krone
gegenüber dem Unterhause macht. In der Gesetzgebung und in der Besteuerung
sind die Kolonien vollkommen frei, sogar in ihrer Handelspolitik, sodaß sich
das gegen Schutzzölle so empfindliche England Absperrungsmaßregeln der
Kolonien gefallen läßt. Zur Landesverteidigung brauchen die Kolonien nichts
beizutragen, wenn sie nicht wollen. Maß, Münze, bürgerliches Recht und
oberster Gerichtshof sind zwar gemeinsam, aber nur weil die Kolonien damit
einverstanden sind. Nur diplomatischen Verkehr mit dem Auslande würde Eng¬
land wohl nicht dulden, falls die Kolonien einen solchen wünschten; auch die
Konsulate sind nur allgemein britisch, die einzelnen Kolonien können keine
unterhalten.

Zurzeit siud die separatistische», Strömungen in allen Kolonien so gut wie
erloschen. Nur im Westen von Kanada vermutet man ihr gelegentliches Wieder¬
aufleben. Im Osten, im eigentlichen Kanada, herrscht eine äußerst britisch-
patriotische Stimmung, die es dahin gebracht hat, daß man der Einfuhr aus
England Vorzugszölle eingeräumt hat, ohne eine Gegengabe vom Mutterlande
abzuwarten, und obgleich diese immer unwahrscheinlicher geworden ist. Der
Westen (Mauitoba, Saskatschewan, Assiniboia, Victoria) ist von andern Gefühlen
beseelt. Dort ist in den letzten Jahren eine starke Einwanderung geschehen,
meist von Amerikanern, die nicht nur ihre republikanischen Ideen mitbringen,


Grenzboten IV 1904 41
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295522"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341879_295218/figures/grenzboten_341879_295218_295522_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Lin neuer Plan zu gemeinsamer Verwaltung des<lb/>
britischen Weltreichs</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> ngland ist gegen seine voll Europäern bevölkerten Kolonien mit<lb/>
der erdenklichsten Großherzigkeit verfahren, so wie es überhaupt<lb/>
noch niemals in der Geschichte vorgekommen ist. Nachdem es<lb/>
durch eine verfehlte Gewaltherrschaft den besten Teil Nordamerikas<lb/>
verloren hatte, hat es alles aufgeboten, den Rest dnrch Liberalität<lb/>
an sich zu fesseln. Es hat zwar die überwiegend von Eingebornen bewohnten<lb/>
Kolonien, wie ganz Indien und die unzivilisierten Teile Afrikas und Australien,<lb/>
unter unmittelbarer Kronverwaltung behalten, den Eurvpäerkolouien jedoch die<lb/>
äußerste Freiheit und Selbstverwaltung gewährt. Die Krone läßt sich mir dnrch<lb/>
einen Gouverneur vertreten, der regelmäßig seine Ministerien dem Kolvnial-<lb/>
parlament genehm wählen muß, genau so wie es im Mutterlande die Krone<lb/>
gegenüber dem Unterhause macht. In der Gesetzgebung und in der Besteuerung<lb/>
sind die Kolonien vollkommen frei, sogar in ihrer Handelspolitik, sodaß sich<lb/>
das gegen Schutzzölle so empfindliche England Absperrungsmaßregeln der<lb/>
Kolonien gefallen läßt. Zur Landesverteidigung brauchen die Kolonien nichts<lb/>
beizutragen, wenn sie nicht wollen. Maß, Münze, bürgerliches Recht und<lb/>
oberster Gerichtshof sind zwar gemeinsam, aber nur weil die Kolonien damit<lb/>
einverstanden sind. Nur diplomatischen Verkehr mit dem Auslande würde Eng¬<lb/>
land wohl nicht dulden, falls die Kolonien einen solchen wünschten; auch die<lb/>
Konsulate sind nur allgemein britisch, die einzelnen Kolonien können keine<lb/>
unterhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1458" next="#ID_1459"> Zurzeit siud die separatistische», Strömungen in allen Kolonien so gut wie<lb/>
erloschen. Nur im Westen von Kanada vermutet man ihr gelegentliches Wieder¬<lb/>
aufleben. Im Osten, im eigentlichen Kanada, herrscht eine äußerst britisch-<lb/>
patriotische Stimmung, die es dahin gebracht hat, daß man der Einfuhr aus<lb/>
England Vorzugszölle eingeräumt hat, ohne eine Gegengabe vom Mutterlande<lb/>
abzuwarten, und obgleich diese immer unwahrscheinlicher geworden ist. Der<lb/>
Westen (Mauitoba, Saskatschewan, Assiniboia, Victoria) ist von andern Gefühlen<lb/>
beseelt. Dort ist in den letzten Jahren eine starke Einwanderung geschehen,<lb/>
meist von Amerikanern, die nicht nur ihre republikanischen Ideen mitbringen,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1904 41</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] [Abbildung] Lin neuer Plan zu gemeinsamer Verwaltung des britischen Weltreichs ngland ist gegen seine voll Europäern bevölkerten Kolonien mit der erdenklichsten Großherzigkeit verfahren, so wie es überhaupt noch niemals in der Geschichte vorgekommen ist. Nachdem es durch eine verfehlte Gewaltherrschaft den besten Teil Nordamerikas verloren hatte, hat es alles aufgeboten, den Rest dnrch Liberalität an sich zu fesseln. Es hat zwar die überwiegend von Eingebornen bewohnten Kolonien, wie ganz Indien und die unzivilisierten Teile Afrikas und Australien, unter unmittelbarer Kronverwaltung behalten, den Eurvpäerkolouien jedoch die äußerste Freiheit und Selbstverwaltung gewährt. Die Krone läßt sich mir dnrch einen Gouverneur vertreten, der regelmäßig seine Ministerien dem Kolvnial- parlament genehm wählen muß, genau so wie es im Mutterlande die Krone gegenüber dem Unterhause macht. In der Gesetzgebung und in der Besteuerung sind die Kolonien vollkommen frei, sogar in ihrer Handelspolitik, sodaß sich das gegen Schutzzölle so empfindliche England Absperrungsmaßregeln der Kolonien gefallen läßt. Zur Landesverteidigung brauchen die Kolonien nichts beizutragen, wenn sie nicht wollen. Maß, Münze, bürgerliches Recht und oberster Gerichtshof sind zwar gemeinsam, aber nur weil die Kolonien damit einverstanden sind. Nur diplomatischen Verkehr mit dem Auslande würde Eng¬ land wohl nicht dulden, falls die Kolonien einen solchen wünschten; auch die Konsulate sind nur allgemein britisch, die einzelnen Kolonien können keine unterhalten. Zurzeit siud die separatistische», Strömungen in allen Kolonien so gut wie erloschen. Nur im Westen von Kanada vermutet man ihr gelegentliches Wieder¬ aufleben. Im Osten, im eigentlichen Kanada, herrscht eine äußerst britisch- patriotische Stimmung, die es dahin gebracht hat, daß man der Einfuhr aus England Vorzugszölle eingeräumt hat, ohne eine Gegengabe vom Mutterlande abzuwarten, und obgleich diese immer unwahrscheinlicher geworden ist. Der Westen (Mauitoba, Saskatschewan, Assiniboia, Victoria) ist von andern Gefühlen beseelt. Dort ist in den letzten Jahren eine starke Einwanderung geschehen, meist von Amerikanern, die nicht nur ihre republikanischen Ideen mitbringen, Grenzboten IV 1904 41

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/303>, abgerufen am 26.06.2024.