(LLM M^Bindien, dieser fremdartige und rätselhafte Name, der auf deu ! Zusammenhang mit dem nicht minder rätselhaften Volke der >Etmsker, der Rasen oder Rasenner hindeutet, scheint durchaus in die antike Geographie zu gehören und mit der Gegenwart I nichts zu tun zu haben. Das trifft aber keineswegs zu. Der Gebirgszug, der das untere Tal der Landquart vom Montnfun scheidet, heißt noch jetzt das Nhütikon. Die Eisenbahnen, die von Landquart her nach Davos, Chur, Jlanz und Thusis führen, heißen die rätischen, in Chur gibt es ein "Rätisches Volkshaus" und erscheint "Der freie Rätier," ein im Lande weit verbreitetes Blatt von stark demokratischer Richtung; dort brant auch eine "rütische Bierbrauerei" ein gar nicht übles Getränk, und "Alt fry Nätia" ist noch heute ein oft gehörtes Schlagwort. Dieser moderne Gebrauch des Namens beruht auch nicht etwa nur auf einer gelehrten Reminiszenz. Im ganzen Mittelalter hieß vielmehr die Landschaft nach ihrer uralten kirchliche" Hauptstadt Churrätien; der Name Graubünden oder kurzweg Bünden, den sie jetzt führt, kam erst mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf, als sich "die drei Bunde in Hohenrntien" 1471 zu einen: selbständigen Bundesstaate zusammengeschlossen hatten. Und diese Fortdauer eines ehrwürdigen Namens hat auch seinen innern Grund. Denn den größten Teil der Bvdenflüche des heutigen Graubündens, das im ganzen 7184 Quadratkilometer einnimmt, also etwa halb so groß ist wie das Königreich Sachsen, bewohnen die romanisierten Räder (36508), die mit den Italienern der südlichsten Täter zusammen (17883) auch die größere Hälfte der Bevölkerung (104254 im Jahre 1900) bilden und die Landgenossen deutscheu (schwäbischen) Stammes (48937) noch um mehr als 5000 Köpfe übertreffen. Alles Land südlich von Chur und westlich von Jlanz im Vorderrheintal ist romanisch mit Ausnahme einer deutschen Sprach¬ insel am Splügen, eine nicht unbedeutende romanische Presse hält neben der Volksschule die Sprache lebendig, und in Disentis bestehen romanische Druckereien. Bis in das Ende des Mittelalters war auch der nördliche Teil des Landes noch romanisch, das Prütigau, das Tal der Landquart, ist erst mit dem sech¬ zehnten Jahrhundert dnrch den Protestantismus germanisiert worden, und
Grenzboten IV 1904 25
Auf rätischen Alpenstraßen Otto Aaemmel von 1
(LLM M^Bindien, dieser fremdartige und rätselhafte Name, der auf deu ! Zusammenhang mit dem nicht minder rätselhaften Volke der >Etmsker, der Rasen oder Rasenner hindeutet, scheint durchaus in die antike Geographie zu gehören und mit der Gegenwart I nichts zu tun zu haben. Das trifft aber keineswegs zu. Der Gebirgszug, der das untere Tal der Landquart vom Montnfun scheidet, heißt noch jetzt das Nhütikon. Die Eisenbahnen, die von Landquart her nach Davos, Chur, Jlanz und Thusis führen, heißen die rätischen, in Chur gibt es ein „Rätisches Volkshaus" und erscheint „Der freie Rätier," ein im Lande weit verbreitetes Blatt von stark demokratischer Richtung; dort brant auch eine „rütische Bierbrauerei" ein gar nicht übles Getränk, und „Alt fry Nätia" ist noch heute ein oft gehörtes Schlagwort. Dieser moderne Gebrauch des Namens beruht auch nicht etwa nur auf einer gelehrten Reminiszenz. Im ganzen Mittelalter hieß vielmehr die Landschaft nach ihrer uralten kirchliche« Hauptstadt Churrätien; der Name Graubünden oder kurzweg Bünden, den sie jetzt führt, kam erst mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf, als sich „die drei Bunde in Hohenrntien" 1471 zu einen: selbständigen Bundesstaate zusammengeschlossen hatten. Und diese Fortdauer eines ehrwürdigen Namens hat auch seinen innern Grund. Denn den größten Teil der Bvdenflüche des heutigen Graubündens, das im ganzen 7184 Quadratkilometer einnimmt, also etwa halb so groß ist wie das Königreich Sachsen, bewohnen die romanisierten Räder (36508), die mit den Italienern der südlichsten Täter zusammen (17883) auch die größere Hälfte der Bevölkerung (104254 im Jahre 1900) bilden und die Landgenossen deutscheu (schwäbischen) Stammes (48937) noch um mehr als 5000 Köpfe übertreffen. Alles Land südlich von Chur und westlich von Jlanz im Vorderrheintal ist romanisch mit Ausnahme einer deutschen Sprach¬ insel am Splügen, eine nicht unbedeutende romanische Presse hält neben der Volksschule die Sprache lebendig, und in Disentis bestehen romanische Druckereien. Bis in das Ende des Mittelalters war auch der nördliche Teil des Landes noch romanisch, das Prütigau, das Tal der Landquart, ist erst mit dem sech¬ zehnten Jahrhundert dnrch den Protestantismus germanisiert worden, und
Grenzboten IV 1904 25
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Auf rätischen Alpenstraßen
Otto Aaemmel von 1
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M^Bindien, dieser fremdartige und rätselhafte Name, der auf deu
! Zusammenhang mit dem nicht minder rätselhaften Volke der
>Etmsker, der Rasen oder Rasenner hindeutet, scheint durchaus
in die antike Geographie zu gehören und mit der Gegenwart
I nichts zu tun zu haben. Das trifft aber keineswegs zu. Der
Gebirgszug, der das untere Tal der Landquart vom Montnfun scheidet, heißt
noch jetzt das Nhütikon. Die Eisenbahnen, die von Landquart her nach
Davos, Chur, Jlanz und Thusis führen, heißen die rätischen, in Chur gibt
es ein „Rätisches Volkshaus" und erscheint „Der freie Rätier," ein im Lande
weit verbreitetes Blatt von stark demokratischer Richtung; dort brant auch eine
„rütische Bierbrauerei" ein gar nicht übles Getränk, und „Alt fry Nätia" ist
noch heute ein oft gehörtes Schlagwort. Dieser moderne Gebrauch des
Namens beruht auch nicht etwa nur auf einer gelehrten Reminiszenz. Im
ganzen Mittelalter hieß vielmehr die Landschaft nach ihrer uralten kirchliche«
Hauptstadt Churrätien; der Name Graubünden oder kurzweg Bünden, den sie
jetzt führt, kam erst mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf, als sich
„die drei Bunde in Hohenrntien" 1471 zu einen: selbständigen Bundesstaate
zusammengeschlossen hatten. Und diese Fortdauer eines ehrwürdigen Namens
hat auch seinen innern Grund. Denn den größten Teil der Bvdenflüche des
heutigen Graubündens, das im ganzen 7184 Quadratkilometer einnimmt, also
etwa halb so groß ist wie das Königreich Sachsen, bewohnen die romanisierten
Räder (36508), die mit den Italienern der südlichsten Täter zusammen (17883)
auch die größere Hälfte der Bevölkerung (104254 im Jahre 1900) bilden und
die Landgenossen deutscheu (schwäbischen) Stammes (48937) noch um mehr
als 5000 Köpfe übertreffen. Alles Land südlich von Chur und westlich von
Jlanz im Vorderrheintal ist romanisch mit Ausnahme einer deutschen Sprach¬
insel am Splügen, eine nicht unbedeutende romanische Presse hält neben der
Volksschule die Sprache lebendig, und in Disentis bestehen romanische Druckereien.
Bis in das Ende des Mittelalters war auch der nördliche Teil des Landes
noch romanisch, das Prütigau, das Tal der Landquart, ist erst mit dem sech¬
zehnten Jahrhundert dnrch den Protestantismus germanisiert worden, und
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/187>, abgerufen am 05.01.2025.
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