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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln

dringen, und dem Beispiel der drei großen Militärmächte Deutschland, Frank¬
reich und Österreich-Ungarn werden allmählich auch die jetzt noch eine längere
aktive Dienstzeit fordernden europäischen Kontinentalstaaten folgen. Zu einer
weitern Herabsetzung wird man erst schreiten, wenn eine völlige Konsolidierung
zu reinen Nationalstaaten unverrückbare Landesgrenzen geschaffen hat, erst dann
wird man sich dem militärischen Zustand der in sich befriedeten und auf jede
Aktion nach außen verzichtenden europäischen Kleinstaaten mit ihrem Milizwesen
anzunähern versuchen, wenn nicht dann neue militärische Aufgaben an die zu
wesentlich gleichen Zwecken geeinigten europäischen Kulturvölker herantreten.


Geest, Generalleutnant z. D.


Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Karl Dieterich von(Fortsetzung)
2. Aos und Rhodos

> cum man von Kalymnos nach Kos und von Syene nach Rhodos
kommt, so hat man den Eindruck, als betrete man eine andre
Welt, fast möchte man sagen, eine bessere Welt, wenn man nicht
wüßte, wie viel Jammer und soziale Not diese von der Natur
I so gesegneten Inseln bergen. Denn von Natur sind sie wirklich
eine paradiesische Welt, und auch ich fühlte mich die beiden male, wo ich
diesen Wechsel durchmachte, unwillkürlich aus einem Dantischen Höllentrichter
in das Paradies versetzt. So wird es wohl jedem Deutschen und überhaupt
jedem Nordländer ergehn, dem es ohne weite, zwischen Berg und Tal und
Wiese mannigfach wechselnde Landschaft nicht wohl werden kann, und den es
schon eine Erlösung dünkt, wenn er aus einer Gegend, in der man sich mehr
kletternd und stolpernd als frei dahinschreitend vorwärts bewegt, nun plötzlich
wieder feste, ebne Straßen unter sich fühlt, ans denen sich wohlgemut wandern
läßt. Die Griechen sind freilich andrer Meinung. "Die Ebnen bringen Pferde
hervor, die Berge tapfre Burschen," mit diesem Worte pflegen sie den Gegen¬
satz zwischen beiden zu bezeichnen, und ein biedrer Symiote sagte mir, er sei
allemal froh, wenn er aus Rhodos wieder zurückkomme nach seiner Heimatinsel.
Uns geht es gerade umgekehrt.

Schon vom Meere aus gesehen gleichen Kos und Rhodos einander in
den sich lang und leicht hinziehenden Wellenlinien ihrer Küsten und stehn in
einem scharfen Kontrast zu den sich schroff und abweisend erhebenden Fels¬
wänden der Nachbarinseln. Und wenn man dann näher kommt und sieht die
grünen Berghänge, die bebauten Felder und die Gärten, aus denen weiße
Häuser hervorlugen, so wird einem fast heimatlich zumute, und man meint,
es seien glückliche Inseln. Und sie könnten es auch sein. Denn beide wett¬
eifern miteinander an Fruchtbarkeit und Ertragfähigkeit des Bodens, und


Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln

dringen, und dem Beispiel der drei großen Militärmächte Deutschland, Frank¬
reich und Österreich-Ungarn werden allmählich auch die jetzt noch eine längere
aktive Dienstzeit fordernden europäischen Kontinentalstaaten folgen. Zu einer
weitern Herabsetzung wird man erst schreiten, wenn eine völlige Konsolidierung
zu reinen Nationalstaaten unverrückbare Landesgrenzen geschaffen hat, erst dann
wird man sich dem militärischen Zustand der in sich befriedeten und auf jede
Aktion nach außen verzichtenden europäischen Kleinstaaten mit ihrem Milizwesen
anzunähern versuchen, wenn nicht dann neue militärische Aufgaben an die zu
wesentlich gleichen Zwecken geeinigten europäischen Kulturvölker herantreten.


Geest, Generalleutnant z. D.


Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Karl Dieterich von(Fortsetzung)
2. Aos und Rhodos

> cum man von Kalymnos nach Kos und von Syene nach Rhodos
kommt, so hat man den Eindruck, als betrete man eine andre
Welt, fast möchte man sagen, eine bessere Welt, wenn man nicht
wüßte, wie viel Jammer und soziale Not diese von der Natur
I so gesegneten Inseln bergen. Denn von Natur sind sie wirklich
eine paradiesische Welt, und auch ich fühlte mich die beiden male, wo ich
diesen Wechsel durchmachte, unwillkürlich aus einem Dantischen Höllentrichter
in das Paradies versetzt. So wird es wohl jedem Deutschen und überhaupt
jedem Nordländer ergehn, dem es ohne weite, zwischen Berg und Tal und
Wiese mannigfach wechselnde Landschaft nicht wohl werden kann, und den es
schon eine Erlösung dünkt, wenn er aus einer Gegend, in der man sich mehr
kletternd und stolpernd als frei dahinschreitend vorwärts bewegt, nun plötzlich
wieder feste, ebne Straßen unter sich fühlt, ans denen sich wohlgemut wandern
läßt. Die Griechen sind freilich andrer Meinung. „Die Ebnen bringen Pferde
hervor, die Berge tapfre Burschen," mit diesem Worte pflegen sie den Gegen¬
satz zwischen beiden zu bezeichnen, und ein biedrer Symiote sagte mir, er sei
allemal froh, wenn er aus Rhodos wieder zurückkomme nach seiner Heimatinsel.
Uns geht es gerade umgekehrt.

Schon vom Meere aus gesehen gleichen Kos und Rhodos einander in
den sich lang und leicht hinziehenden Wellenlinien ihrer Küsten und stehn in
einem scharfen Kontrast zu den sich schroff und abweisend erhebenden Fels¬
wänden der Nachbarinseln. Und wenn man dann näher kommt und sieht die
grünen Berghänge, die bebauten Felder und die Gärten, aus denen weiße
Häuser hervorlugen, so wird einem fast heimatlich zumute, und man meint,
es seien glückliche Inseln. Und sie könnten es auch sein. Denn beide wett¬
eifern miteinander an Fruchtbarkeit und Ertragfähigkeit des Bodens, und


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[0136] Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln dringen, und dem Beispiel der drei großen Militärmächte Deutschland, Frank¬ reich und Österreich-Ungarn werden allmählich auch die jetzt noch eine längere aktive Dienstzeit fordernden europäischen Kontinentalstaaten folgen. Zu einer weitern Herabsetzung wird man erst schreiten, wenn eine völlige Konsolidierung zu reinen Nationalstaaten unverrückbare Landesgrenzen geschaffen hat, erst dann wird man sich dem militärischen Zustand der in sich befriedeten und auf jede Aktion nach außen verzichtenden europäischen Kleinstaaten mit ihrem Milizwesen anzunähern versuchen, wenn nicht dann neue militärische Aufgaben an die zu wesentlich gleichen Zwecken geeinigten europäischen Kulturvölker herantreten. Geest, Generalleutnant z. D. Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln Karl Dieterich von(Fortsetzung) 2. Aos und Rhodos > cum man von Kalymnos nach Kos und von Syene nach Rhodos kommt, so hat man den Eindruck, als betrete man eine andre Welt, fast möchte man sagen, eine bessere Welt, wenn man nicht wüßte, wie viel Jammer und soziale Not diese von der Natur I so gesegneten Inseln bergen. Denn von Natur sind sie wirklich eine paradiesische Welt, und auch ich fühlte mich die beiden male, wo ich diesen Wechsel durchmachte, unwillkürlich aus einem Dantischen Höllentrichter in das Paradies versetzt. So wird es wohl jedem Deutschen und überhaupt jedem Nordländer ergehn, dem es ohne weite, zwischen Berg und Tal und Wiese mannigfach wechselnde Landschaft nicht wohl werden kann, und den es schon eine Erlösung dünkt, wenn er aus einer Gegend, in der man sich mehr kletternd und stolpernd als frei dahinschreitend vorwärts bewegt, nun plötzlich wieder feste, ebne Straßen unter sich fühlt, ans denen sich wohlgemut wandern läßt. Die Griechen sind freilich andrer Meinung. „Die Ebnen bringen Pferde hervor, die Berge tapfre Burschen," mit diesem Worte pflegen sie den Gegen¬ satz zwischen beiden zu bezeichnen, und ein biedrer Symiote sagte mir, er sei allemal froh, wenn er aus Rhodos wieder zurückkomme nach seiner Heimatinsel. Uns geht es gerade umgekehrt. Schon vom Meere aus gesehen gleichen Kos und Rhodos einander in den sich lang und leicht hinziehenden Wellenlinien ihrer Küsten und stehn in einem scharfen Kontrast zu den sich schroff und abweisend erhebenden Fels¬ wänden der Nachbarinseln. Und wenn man dann näher kommt und sieht die grünen Berghänge, die bebauten Felder und die Gärten, aus denen weiße Häuser hervorlugen, so wird einem fast heimatlich zumute, und man meint, es seien glückliche Inseln. Und sie könnten es auch sein. Denn beide wett¬ eifern miteinander an Fruchtbarkeit und Ertragfähigkeit des Bodens, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/136>, abgerufen am 26.06.2024.