Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. Wohl in der Befürchtung, daß es dem Reichstage trotz Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. Wohl in der Befürchtung, daß es dem Reichstage trotz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294903"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel.</head> <p xml:id="ID_2205"> Wohl in der Befürchtung, daß es dem Reichstage trotz<lb/> Handelsverträgen und Friedenspräsenzvorlage an Material zu den nötigen „Er¬<lb/> regungen" fehlen könnte, sucht ein Teil der Presse die anläßlich des Bilseprozesses<lb/> ergangne Kaiserliche Order als eine Angelegenheit darzustellen, über die der Reichs¬<lb/> tag eigentlich aus der Haut fahren oder doch wenigstens „aus dem Häuschen"<lb/> kommen müßte. LdM »wen! Der Zweck dieses rührenden Zusammenwirkens der<lb/> Frankfurter Zettung, der Vossischen Zeitung, des Berliner Tageblatts und der<lb/> Sozialdemokratie richtet sich ebenso gegen den Kaiser wie gegen das Offizierkorps<lb/> und im weitern Sinne gegen das Heer. Wenn die verfassungsmäßige Stellung<lb/> des Kaisers als des obersten Kriegsherrn überhaupt einen Sinn haben soll, so ist<lb/> es doch der, in dem Träger der Kommandogewalt auch den obersten Hüter der<lb/> Interessen des Heeres anzuerkennen.. Für die auf der Tüchtigkeit unsrer Wehr¬<lb/> macht beruhende Sicherheit des Landes haben sich die Könige von Preußen vor wie<lb/> nach der Errichtung der Verfassung jederzeit persönlich verantwortlich gefühlt. Die<lb/> Reichsverfassung hat daran nichts ändern wollen, auch nichts ändern können, zumal<lb/> der erste Kaiser zugleich der glorreiche Oberfeldherr war, aus dessen Händen das Reich<lb/> seine Verfassung empfing, deren Grundgedanken längst mit Heldenblut geschrieben<lb/> waren, bevor die ^ Tinte sie in Paragraphen brachte. Diese Stellung des Kaisers<lb/> ist auch in der neuen, Militärgerichtsverfassung und ihrem Verfahren ausdrücklich<lb/> anerkannt und gewahrt worden, sie räumt dem Kaiser Befugnisse und damit<lb/> Pflichten ein, die von dem Amte des obersten Heerführers der Deutschen un¬<lb/> zertrennlich sind. Von einer dieser Befugnisse und damit einer seiner Pflichten<lb/> — denn es gibt kein Recht ohne eine entsprechende Pflicht — hat der Kaiser<lb/> Gebrauch gemacht, als er in der vielkrttisierten Order sein Mißfallen über die .<lb/> Führung des Bilseprozesses kundgab, er hat damit nicht nur der Armee, sondern<lb/> wohl weitaus dem größten Teil aller anständigen Leute aus der Seele gesprochen.<lb/> Wenn die Frankfurter Zeitung darin einen Widerspruch findet zu der vor dein<lb/> Reichstag abgegebnen Erklärung des frühern Kriegsministers von Goßler, daß die.<lb/> fortan gesetzlich festgelegte Öffentlichkeit des Verfahrens nicht auf dem Verordnungs¬<lb/> wege wieder eingeschränkt werden solle, so ist es doch ganz selbstverständlich, daß alle<lb/> solche Erklärungen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. An einen Bilseprozeß<lb/> und an seine mit solcher Publizität geführte Verhandlung hat damals ebensowenig<lb/> jemand gedacht und sie für möglich gehalten, wie an die bedauerliche Haltung,<lb/> die ein Teil der deutschen Presse in der Ausschlachtung dieses Prozesses an den<lb/> Tag gelegt hat. Unsre Freiheiten verkümmern nicht an sich selbst, sondern an<lb/> dem Mißbrauch, der publizistisch und leider auch parlamentarisch mit ihnen getrieben<lb/> wird. Über jedem andern Recht steht die Existenzberechtigung des Staats, dessen<lb/> vornehmste Sicherheitsgrundlage, die Armee, durch einen solchen Mißbrauch der<lb/> Öffentlichkeit, wie er bei dem Bilseprozeß zutage getreten ist, gefährdet wird.<lb/> Gewiß und erfreulicherweise kaun die Armee es vertragen, daß in jeden noch so<lb/> dunkeln Winkel ihres stolzen Baues mit dem vollen Licht der Öffentlichkeit hinein¬<lb/> geleuchtet wird. Der vorbildliche Heldenmut und Heldensinn unsrer Offiziere in<lb/> Südwestafrika beweist dort von einem Gefecht zum andern, daß der Geist, der das<lb/> deutsche Offizierkorps in unsern Einheitskriegen beseelte, in dreiunddreißig Friedens¬<lb/> jahren nicht gelitten hat. Der sittliche Niedergang und Zusammenbruch eines ganzen<lb/> oder eines halben Dutzends von Angehörigen des Offizierstandes ändert daran nichts,<lb/> es ist eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Aber das öffentliche Hinein¬<lb/> leuchten in jeden dunkeln Winkel hat zur Voraussetzung, daß das gerichtliche Ver¬<lb/> fahren vor dem Mißbrauch in der Presse geschützt bleibt durch deu sittlichen und<lb/> patriotischen Takt, ohne den das unumschränkte Recht zur Erörterung öffentlicher<lb/> Angelegenheiten zur Gefahr wird.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel. Wohl in der Befürchtung, daß es dem Reichstage trotz
Handelsverträgen und Friedenspräsenzvorlage an Material zu den nötigen „Er¬
regungen" fehlen könnte, sucht ein Teil der Presse die anläßlich des Bilseprozesses
ergangne Kaiserliche Order als eine Angelegenheit darzustellen, über die der Reichs¬
tag eigentlich aus der Haut fahren oder doch wenigstens „aus dem Häuschen"
kommen müßte. LdM »wen! Der Zweck dieses rührenden Zusammenwirkens der
Frankfurter Zettung, der Vossischen Zeitung, des Berliner Tageblatts und der
Sozialdemokratie richtet sich ebenso gegen den Kaiser wie gegen das Offizierkorps
und im weitern Sinne gegen das Heer. Wenn die verfassungsmäßige Stellung
des Kaisers als des obersten Kriegsherrn überhaupt einen Sinn haben soll, so ist
es doch der, in dem Träger der Kommandogewalt auch den obersten Hüter der
Interessen des Heeres anzuerkennen.. Für die auf der Tüchtigkeit unsrer Wehr¬
macht beruhende Sicherheit des Landes haben sich die Könige von Preußen vor wie
nach der Errichtung der Verfassung jederzeit persönlich verantwortlich gefühlt. Die
Reichsverfassung hat daran nichts ändern wollen, auch nichts ändern können, zumal
der erste Kaiser zugleich der glorreiche Oberfeldherr war, aus dessen Händen das Reich
seine Verfassung empfing, deren Grundgedanken längst mit Heldenblut geschrieben
waren, bevor die ^ Tinte sie in Paragraphen brachte. Diese Stellung des Kaisers
ist auch in der neuen, Militärgerichtsverfassung und ihrem Verfahren ausdrücklich
anerkannt und gewahrt worden, sie räumt dem Kaiser Befugnisse und damit
Pflichten ein, die von dem Amte des obersten Heerführers der Deutschen un¬
zertrennlich sind. Von einer dieser Befugnisse und damit einer seiner Pflichten
— denn es gibt kein Recht ohne eine entsprechende Pflicht — hat der Kaiser
Gebrauch gemacht, als er in der vielkrttisierten Order sein Mißfallen über die .
Führung des Bilseprozesses kundgab, er hat damit nicht nur der Armee, sondern
wohl weitaus dem größten Teil aller anständigen Leute aus der Seele gesprochen.
Wenn die Frankfurter Zeitung darin einen Widerspruch findet zu der vor dein
Reichstag abgegebnen Erklärung des frühern Kriegsministers von Goßler, daß die.
fortan gesetzlich festgelegte Öffentlichkeit des Verfahrens nicht auf dem Verordnungs¬
wege wieder eingeschränkt werden solle, so ist es doch ganz selbstverständlich, daß alle
solche Erklärungen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. An einen Bilseprozeß
und an seine mit solcher Publizität geführte Verhandlung hat damals ebensowenig
jemand gedacht und sie für möglich gehalten, wie an die bedauerliche Haltung,
die ein Teil der deutschen Presse in der Ausschlachtung dieses Prozesses an den
Tag gelegt hat. Unsre Freiheiten verkümmern nicht an sich selbst, sondern an
dem Mißbrauch, der publizistisch und leider auch parlamentarisch mit ihnen getrieben
wird. Über jedem andern Recht steht die Existenzberechtigung des Staats, dessen
vornehmste Sicherheitsgrundlage, die Armee, durch einen solchen Mißbrauch der
Öffentlichkeit, wie er bei dem Bilseprozeß zutage getreten ist, gefährdet wird.
Gewiß und erfreulicherweise kaun die Armee es vertragen, daß in jeden noch so
dunkeln Winkel ihres stolzen Baues mit dem vollen Licht der Öffentlichkeit hinein¬
geleuchtet wird. Der vorbildliche Heldenmut und Heldensinn unsrer Offiziere in
Südwestafrika beweist dort von einem Gefecht zum andern, daß der Geist, der das
deutsche Offizierkorps in unsern Einheitskriegen beseelte, in dreiunddreißig Friedens¬
jahren nicht gelitten hat. Der sittliche Niedergang und Zusammenbruch eines ganzen
oder eines halben Dutzends von Angehörigen des Offizierstandes ändert daran nichts,
es ist eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Aber das öffentliche Hinein¬
leuchten in jeden dunkeln Winkel hat zur Voraussetzung, daß das gerichtliche Ver¬
fahren vor dem Mißbrauch in der Presse geschützt bleibt durch deu sittlichen und
patriotischen Takt, ohne den das unumschränkte Recht zur Erörterung öffentlicher
Angelegenheiten zur Gefahr wird.
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