Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Goethe als Erneuerer Privatödlündereien, die wohl dazu geeignet wären, in Kultur genommen zu sehen, (Schluß folgt) Goethe als Erneuerer velde ist der erste und in seiner Vielbewandertheit wohl einzig Grenzboten III 1904 20
Goethe als Erneuerer Privatödlündereien, die wohl dazu geeignet wären, in Kultur genommen zu sehen, (Schluß folgt) Goethe als Erneuerer velde ist der erste und in seiner Vielbewandertheit wohl einzig Grenzboten III 1904 20
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294570"/> <fw type="header" place="top"> Goethe als Erneuerer</fw><lb/> <p xml:id="ID_600" prev="#ID_599"> Privatödlündereien, die wohl dazu geeignet wären, in Kultur genommen zu sehen,<lb/> als sehr schwach bezeichnet werden. Im übrigen kann man allerdings auch<lb/> nicht verkennen, daß sich keineswegs jede an sich anbaufähige Heidcfläche ohne<lb/> weiteres zur Begründung wirtschaftlich selbständiger und auskömmlicher „Acker¬<lb/> nahrungen" eignet, daß sich vor allem in nutzbarer Nähe Grünland schaffen lassen<lb/> muß, daß Feuerungsmaterial, d. h. hier also der Torf, nicht unerreichbar sein darf,<lb/> und die Verkehrswege überall so ausgebildet sein müssen, daß der Neubauer<lb/> für seine Produkte noch vorteilhaften Absatz findet und Düngemittel ohne zu<lb/> große Beschwerde heranschaffen kann. Und immer bleibt das Los eines solchen<lb/> Anfängers in der Heide hart und kärglich. Aber diese Bedingungen liegen doch auf<lb/> der oldenburgischen Geest vielfach vor, und die unvergleichliche Genügsamkeit, der<lb/> Fleiß und die Sparsamkeit unsrer Geestbewohuer, namentlich im Münsterlande,<lb/> und das heiße Streben nach wirtschaftlicher Selbständigkeit auch der heutigen<lb/> Landbevölkerung berechtigen zu der Annahme, daß es an Bewerbern um ein<lb/> solches Los, wenn nur dazu die Gelegenheit geboten würde, so leicht nicht<lb/> mangeln dürfte. Dafür liefern auch die auf dem nicht sehr beträchtlichen Heide-<lb/> markengrnnd des Staats angesetzten Kolonisten den Beweis, denen der Staat<lb/> allerdings auch günstigere ..Einweisungsbedingungen" bewilligt und bewilligen<lb/> kann als der private Grundbesitzer.</p><lb/> <p xml:id="ID_601"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Goethe als Erneuerer</head><lb/> <p xml:id="ID_602" next="#ID_603"> velde ist der erste und in seiner Vielbewandertheit wohl einzig<lb/> gebliebne große Vertreter des subjektiven Geisteslebens der neuen<lb/> Geschichte. Was vor ihm war und um ihn ist, wird ihm zum<lb/> Spiegel, worin er sich selbst erkennt, dient ihm als Widerpart,<lb/> den bezwingend er seine eignen Kräfte als wachsend erprobt.<lb/> Alles zeitliche und räumliche Umlebeu wird zu einer wirklichen Nahrung für<lb/> ihn; es bleibt nicht Wissensstoff, sondern nimmt Einfluß auf seinen ganzen<lb/> Menschen, sein Tages- und Jahresleben, soweit er es nicht als etwas krank¬<lb/> haftes kräftig abstößt. Jedes Objekt sucht er, den Einzelheiten wenig hold,<lb/> im Kerne zu erfassen, daß er sich dabei über sein eignes Zentrum aufkläre<lb/> und es bei gesundem und unverkümmertem Leben erhalte, und es ist wirklich,<lb/> als ob sich sein eignes Wesen, so viele Wesen verstehend, immer mehr aus-<lb/> wüchse und abrundete. Die Pflanze zu seinen Füßen, die von der Sonne<lb/> gelockt dem Erdboden entgrünt, der antike Gott oder Held, von dem der<lb/> blinde Dichter singt, werden ihm in derselben Weise Lebenssymbole, denen er<lb/> sich glücklichen Mutes zur Seite stellt, indem er seine Verwandtschaft mit ihnen<lb/> begeistert empfindet. Wenn ihn Frohsinn und quellendes Sehnen treiben, ein<lb/> solches Vcrwandtschaftsverhältnis im Liede zu feiern, erhalten wir Ausdrücke<lb/> seines Wesens in Form von „Erneuerungen" des jedesmal betrachteten Gegen-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1904 20</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
Goethe als Erneuerer
Privatödlündereien, die wohl dazu geeignet wären, in Kultur genommen zu sehen,
als sehr schwach bezeichnet werden. Im übrigen kann man allerdings auch
nicht verkennen, daß sich keineswegs jede an sich anbaufähige Heidcfläche ohne
weiteres zur Begründung wirtschaftlich selbständiger und auskömmlicher „Acker¬
nahrungen" eignet, daß sich vor allem in nutzbarer Nähe Grünland schaffen lassen
muß, daß Feuerungsmaterial, d. h. hier also der Torf, nicht unerreichbar sein darf,
und die Verkehrswege überall so ausgebildet sein müssen, daß der Neubauer
für seine Produkte noch vorteilhaften Absatz findet und Düngemittel ohne zu
große Beschwerde heranschaffen kann. Und immer bleibt das Los eines solchen
Anfängers in der Heide hart und kärglich. Aber diese Bedingungen liegen doch auf
der oldenburgischen Geest vielfach vor, und die unvergleichliche Genügsamkeit, der
Fleiß und die Sparsamkeit unsrer Geestbewohuer, namentlich im Münsterlande,
und das heiße Streben nach wirtschaftlicher Selbständigkeit auch der heutigen
Landbevölkerung berechtigen zu der Annahme, daß es an Bewerbern um ein
solches Los, wenn nur dazu die Gelegenheit geboten würde, so leicht nicht
mangeln dürfte. Dafür liefern auch die auf dem nicht sehr beträchtlichen Heide-
markengrnnd des Staats angesetzten Kolonisten den Beweis, denen der Staat
allerdings auch günstigere ..Einweisungsbedingungen" bewilligt und bewilligen
kann als der private Grundbesitzer.
(Schluß folgt)
Goethe als Erneuerer
velde ist der erste und in seiner Vielbewandertheit wohl einzig
gebliebne große Vertreter des subjektiven Geisteslebens der neuen
Geschichte. Was vor ihm war und um ihn ist, wird ihm zum
Spiegel, worin er sich selbst erkennt, dient ihm als Widerpart,
den bezwingend er seine eignen Kräfte als wachsend erprobt.
Alles zeitliche und räumliche Umlebeu wird zu einer wirklichen Nahrung für
ihn; es bleibt nicht Wissensstoff, sondern nimmt Einfluß auf seinen ganzen
Menschen, sein Tages- und Jahresleben, soweit er es nicht als etwas krank¬
haftes kräftig abstößt. Jedes Objekt sucht er, den Einzelheiten wenig hold,
im Kerne zu erfassen, daß er sich dabei über sein eignes Zentrum aufkläre
und es bei gesundem und unverkümmertem Leben erhalte, und es ist wirklich,
als ob sich sein eignes Wesen, so viele Wesen verstehend, immer mehr aus-
wüchse und abrundete. Die Pflanze zu seinen Füßen, die von der Sonne
gelockt dem Erdboden entgrünt, der antike Gott oder Held, von dem der
blinde Dichter singt, werden ihm in derselben Weise Lebenssymbole, denen er
sich glücklichen Mutes zur Seite stellt, indem er seine Verwandtschaft mit ihnen
begeistert empfindet. Wenn ihn Frohsinn und quellendes Sehnen treiben, ein
solches Vcrwandtschaftsverhältnis im Liede zu feiern, erhalten wir Ausdrücke
seines Wesens in Form von „Erneuerungen" des jedesmal betrachteten Gegen-
Grenzboten III 1904 20
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