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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Wehrsteuer

le Wehrsteuer gehört zu den "Blendern" unter den Mitteln zur
Deckung der Staatsausgaben. Sie macht ans den ersten Anblick
einen sehr bestechenden Eindruck. Sie hat deshalb immer Freunde
gefunden und wird sich deren in weitem Kreisen immer zu er¬
freuen haben. Beschäftigt man sich aber eingehender mit dem
Gegenstande, sucht man das vorschwebende Luftgebilde in feste Formen zu
fassen, praktisch zu gestalten, so weicht das schöne Bild vor jedem festern
Zugriff, der zugrunde liegende Steuergedanke vor jeder konsequenten Durch¬
führung zurück, und das, was an praktischer Verwertbarkeit übrig bleibt, scheint
kaurn die Mühe zu lohnen, die Gesetzgebungsmaschine in Bewegung zu setzen.

Die eigentlichen Wehrsteuern im heutigen Sinne können nicht älter sein
als die allgemeine Wehrpflicht, zu der sie eine Ergänzung bieten sollen.
Ihre Vorläufer, die man schon in den alten Loskaufgeldern und ähnlichen
Einrichtungen, in der alten römischen und in der deutschen Geschichte (Karolinger¬
zeit) finden will, können wir hier unberücksichtigt lassen. In Frankreich,
wo die allgemeine Wehrpflicht mit der Revolution zuerst eingeführt wurde,
finden wir anch znerst eine Wehrsteuer im heutigen Sinne. Sie wurde durch
das Gesetz vom 8. März 1800 eingeführt und in einigen spätern Gesetzen
näher geregelt, fiel aber 1818 bei der Einschränkung der allgemeinen Wehr¬
pflicht wieder weg. Nächst Frankreich war es die Schweiz, wo zuerst eine
Wehrstcuer, ebenfalls zugleich mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht,
durchgeführt wurde. Hier kann man die erste Wehrsteuer von 1816 datieren
(im Kanton Zürich). Später wurde die Wehrsteuer anch in andern Kantonen
durchgeführt, 1818 wurde sie Bundessteuer.

In Deutschland hatte mau 1868 in Württemberg, 1869 in Bayern Wehr¬
steuern eingeführt, die aber mit der Gründung des Deutschen Reiches ver¬
schwanden. Im Jahre 1880 erging ein Wehrsteuergesetz für Österreich, sodann
1883 eins für Ungarn. In Deutschland scheiterte ein Wehrsteuerentwurf der
Reichsregierung im Jahre 1881, in Italien ein solcher von 1882. Das neuste
Wehrsteuergesetz ist das französische von 1889, dessen Vater der damalige
Kriegsminister Boulanger war. Wehrsteuern bestehn auch noch in Portugal,
Serbien, Griechenland und Rumänien (1900). In England, wo es keine all-


Grenzboten II 1904 g?


Die Wehrsteuer

le Wehrsteuer gehört zu den „Blendern" unter den Mitteln zur
Deckung der Staatsausgaben. Sie macht ans den ersten Anblick
einen sehr bestechenden Eindruck. Sie hat deshalb immer Freunde
gefunden und wird sich deren in weitem Kreisen immer zu er¬
freuen haben. Beschäftigt man sich aber eingehender mit dem
Gegenstande, sucht man das vorschwebende Luftgebilde in feste Formen zu
fassen, praktisch zu gestalten, so weicht das schöne Bild vor jedem festern
Zugriff, der zugrunde liegende Steuergedanke vor jeder konsequenten Durch¬
führung zurück, und das, was an praktischer Verwertbarkeit übrig bleibt, scheint
kaurn die Mühe zu lohnen, die Gesetzgebungsmaschine in Bewegung zu setzen.

Die eigentlichen Wehrsteuern im heutigen Sinne können nicht älter sein
als die allgemeine Wehrpflicht, zu der sie eine Ergänzung bieten sollen.
Ihre Vorläufer, die man schon in den alten Loskaufgeldern und ähnlichen
Einrichtungen, in der alten römischen und in der deutschen Geschichte (Karolinger¬
zeit) finden will, können wir hier unberücksichtigt lassen. In Frankreich,
wo die allgemeine Wehrpflicht mit der Revolution zuerst eingeführt wurde,
finden wir anch znerst eine Wehrsteuer im heutigen Sinne. Sie wurde durch
das Gesetz vom 8. März 1800 eingeführt und in einigen spätern Gesetzen
näher geregelt, fiel aber 1818 bei der Einschränkung der allgemeinen Wehr¬
pflicht wieder weg. Nächst Frankreich war es die Schweiz, wo zuerst eine
Wehrstcuer, ebenfalls zugleich mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht,
durchgeführt wurde. Hier kann man die erste Wehrsteuer von 1816 datieren
(im Kanton Zürich). Später wurde die Wehrsteuer anch in andern Kantonen
durchgeführt, 1818 wurde sie Bundessteuer.

In Deutschland hatte mau 1868 in Württemberg, 1869 in Bayern Wehr¬
steuern eingeführt, die aber mit der Gründung des Deutschen Reiches ver¬
schwanden. Im Jahre 1880 erging ein Wehrsteuergesetz für Österreich, sodann
1883 eins für Ungarn. In Deutschland scheiterte ein Wehrsteuerentwurf der
Reichsregierung im Jahre 1881, in Italien ein solcher von 1882. Das neuste
Wehrsteuergesetz ist das französische von 1889, dessen Vater der damalige
Kriegsminister Boulanger war. Wehrsteuern bestehn auch noch in Portugal,
Serbien, Griechenland und Rumänien (1900). In England, wo es keine all-


Grenzboten II 1904 g?
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[0733] [Abbildung] Die Wehrsteuer le Wehrsteuer gehört zu den „Blendern" unter den Mitteln zur Deckung der Staatsausgaben. Sie macht ans den ersten Anblick einen sehr bestechenden Eindruck. Sie hat deshalb immer Freunde gefunden und wird sich deren in weitem Kreisen immer zu er¬ freuen haben. Beschäftigt man sich aber eingehender mit dem Gegenstande, sucht man das vorschwebende Luftgebilde in feste Formen zu fassen, praktisch zu gestalten, so weicht das schöne Bild vor jedem festern Zugriff, der zugrunde liegende Steuergedanke vor jeder konsequenten Durch¬ führung zurück, und das, was an praktischer Verwertbarkeit übrig bleibt, scheint kaurn die Mühe zu lohnen, die Gesetzgebungsmaschine in Bewegung zu setzen. Die eigentlichen Wehrsteuern im heutigen Sinne können nicht älter sein als die allgemeine Wehrpflicht, zu der sie eine Ergänzung bieten sollen. Ihre Vorläufer, die man schon in den alten Loskaufgeldern und ähnlichen Einrichtungen, in der alten römischen und in der deutschen Geschichte (Karolinger¬ zeit) finden will, können wir hier unberücksichtigt lassen. In Frankreich, wo die allgemeine Wehrpflicht mit der Revolution zuerst eingeführt wurde, finden wir anch znerst eine Wehrsteuer im heutigen Sinne. Sie wurde durch das Gesetz vom 8. März 1800 eingeführt und in einigen spätern Gesetzen näher geregelt, fiel aber 1818 bei der Einschränkung der allgemeinen Wehr¬ pflicht wieder weg. Nächst Frankreich war es die Schweiz, wo zuerst eine Wehrstcuer, ebenfalls zugleich mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, durchgeführt wurde. Hier kann man die erste Wehrsteuer von 1816 datieren (im Kanton Zürich). Später wurde die Wehrsteuer anch in andern Kantonen durchgeführt, 1818 wurde sie Bundessteuer. In Deutschland hatte mau 1868 in Württemberg, 1869 in Bayern Wehr¬ steuern eingeführt, die aber mit der Gründung des Deutschen Reiches ver¬ schwanden. Im Jahre 1880 erging ein Wehrsteuergesetz für Österreich, sodann 1883 eins für Ungarn. In Deutschland scheiterte ein Wehrsteuerentwurf der Reichsregierung im Jahre 1881, in Italien ein solcher von 1882. Das neuste Wehrsteuergesetz ist das französische von 1889, dessen Vater der damalige Kriegsminister Boulanger war. Wehrsteuern bestehn auch noch in Portugal, Serbien, Griechenland und Rumänien (1900). In England, wo es keine all- Grenzboten II 1904 g?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/733>, abgerufen am 13.11.2024.