Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Götz Krafft und Richard Borg.

Effi Briefe, die Kinderseele, sagt einmal
mit einem gewissen Selbstbewußtsein: "Ich habe meine Jugend." Wer will ihr
die Freude daran verdenken? Und wer wollte sie irgend einem Menschen ver¬
denken oder verleiden, der voll Hoffnung und voll Sehnsucht seine Segel einstellt,
um aus eng behüteter Kindheit dahinaus zu fahren, wo er in goldnem Gewölk
ungekostete Seligkeiten, siegreiche Kämpfe, Liebe und Lorbeer winken zu sehen ver¬
meint? Und wenn ein Dichtersmann, selbst vielleicht noch jung und wenig erfahren,
die Fahrt wagt, wenn er einen Kämpfer mit Siegergebärde einhertollen läßt,
Jugendmut und auch der Jugendeseleien ein gerüttelt Maß im Ranzen -- dann
verzeihen wir manches und denken an das weise Wort von dem Most, der sich so
absurd gebärdet und am Eude doch noch Trinkerlabe gibt.


Gib Raum, brich Bahnen, wilde Brust! --

Ganz gewiß hat Richard Dehmel gerade dem Geschlecht das aus der Seele
gesungen, das um die Wende von 1889 und 1896, mit dem Regierungsbeginn
Wilhelms des Zweiten, den Schulsack mit allzu lautem Hurra wegwarf und ins
Leben hineinstürmte. Und gewiß wäre es eine dankbare Aufgabe, in einem stark
typisierenden Bilde einen Jüngling vorzuführen, der diese Jahre schwanker Ent¬
wicklung am eignen Leben süß und schmerzlich empfindet. Edward Stilgebauer will
das versuchen in einem vierbändigen Roman "Götz Krafft," von dem der erste, in
sich abgeschlossene Teil "Mit tausend Masten" vor kurzem erschienen ist.

Götz Krafft ist der Sohn eines Pfarrers zu Frankfurt am Main, in streng
orthodoxen Hause erzogen, vor Einflüssen, die dem Vater ungeeignet erscheinen, zu
streng behütet, als daß er sich ihnen nicht heimlich desto heftiger hingeben müßte.
Ein Brausekopf zieht er zur Universität, nach Lausanne. Hier erlebt er daun
freilich genug und kann sich nach allen Seiten erproben. Ein jüdischer Freund
wird in einem Duell erschossen, das durch die Anpöbelung eines flegelhaften
Aristokraten entstanden ist. Derselbe Freund hat ihm vorher mit Max Stirner
eine neue Welt eröffnet, ihn zu Rousseau und zu Ibsen geführt. Götz Krafft wird
von einer jungen Kokette umgarnt und entgeht ihren Netzen erst im letzten Augen¬
blick, wie er tapfer den Kokotten aus dem Wege läuft. Er tritt in eine farben¬
tragende Verbindung und verläßt sie wieder, da der Ton und das Treiben ihn
anwidern, und ihm der Freund, dem zuliebe er eintrat, doch verloren geht. Götz
Krafft deckt schließlich einen scheußlichen Kriminalfall auf und führt die Bestrafung
zahlreicher Verbrechen herbei. Er ist als Student der Theologie eingeschrieben und
läßt das ungeliebte Fach bald interesselos liegen. So fließt ihm sein erstes Semester
dahin, und ein andrer, als er kam, geht er wieder.

Welche Fülle von Stoff, die nur erträglich zu machen wäre durch ein straffes
künstlerisches Band! Und das ists, was der Erzählung Stilgebauers fehlt. Lauter
Ansätze, lauter Episoden -- kein Weiterspinnen, keine Fortführung. Es ist manches
Hübsche in dem Buche, mancher Klang, der echt herübertönt aus den Tagen
jähen Übergangs, die jeder einmal erlebt. Aber diese Töne Verhalten in einem leb¬
losen und kunstlosen Gerede, das immer wieder nach Leitartikel und Feuilleton schmeckt,
und bei dem man rufen möchte: Nur eine Minute, nur einen Hauch wirkliche Welt
zwischen all dieses tote, Papierne Wesen! Phrasen gehören zur Jugend, und so
darf es niemand verwundern, daß Götz Krafft selbst so oft in Phrasen spricht, in
Phrasen denkt, sich an Phrasen berauscht. Aber zu selten bricht in ihm der Rausch
der gärenden Jugend durch, und es ist gefährlich, wenn ein Schriftsteller uns
nötigt, auch da über seine Helden zu lächeln, wo er eine ganz andre Wirkung
erwartet hat. Und andre, die schon überwunden haben sollen, die Stilgebauer als
reife Geister zeigen will, als Edelncituren, sprechen erst recht in Zeituugsredens-
arten. Was der jüdische Freund Kraffts, Sally Löwenfeld, spricht, ist Leitartikel
von A bis Z. Und doch soll es geklärte Weltanschauung sein, vor der sich
Krafft beugt.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Götz Krafft und Richard Borg.

Effi Briefe, die Kinderseele, sagt einmal
mit einem gewissen Selbstbewußtsein: „Ich habe meine Jugend." Wer will ihr
die Freude daran verdenken? Und wer wollte sie irgend einem Menschen ver¬
denken oder verleiden, der voll Hoffnung und voll Sehnsucht seine Segel einstellt,
um aus eng behüteter Kindheit dahinaus zu fahren, wo er in goldnem Gewölk
ungekostete Seligkeiten, siegreiche Kämpfe, Liebe und Lorbeer winken zu sehen ver¬
meint? Und wenn ein Dichtersmann, selbst vielleicht noch jung und wenig erfahren,
die Fahrt wagt, wenn er einen Kämpfer mit Siegergebärde einhertollen läßt,
Jugendmut und auch der Jugendeseleien ein gerüttelt Maß im Ranzen — dann
verzeihen wir manches und denken an das weise Wort von dem Most, der sich so
absurd gebärdet und am Eude doch noch Trinkerlabe gibt.


Gib Raum, brich Bahnen, wilde Brust! —

Ganz gewiß hat Richard Dehmel gerade dem Geschlecht das aus der Seele
gesungen, das um die Wende von 1889 und 1896, mit dem Regierungsbeginn
Wilhelms des Zweiten, den Schulsack mit allzu lautem Hurra wegwarf und ins
Leben hineinstürmte. Und gewiß wäre es eine dankbare Aufgabe, in einem stark
typisierenden Bilde einen Jüngling vorzuführen, der diese Jahre schwanker Ent¬
wicklung am eignen Leben süß und schmerzlich empfindet. Edward Stilgebauer will
das versuchen in einem vierbändigen Roman „Götz Krafft," von dem der erste, in
sich abgeschlossene Teil „Mit tausend Masten" vor kurzem erschienen ist.

Götz Krafft ist der Sohn eines Pfarrers zu Frankfurt am Main, in streng
orthodoxen Hause erzogen, vor Einflüssen, die dem Vater ungeeignet erscheinen, zu
streng behütet, als daß er sich ihnen nicht heimlich desto heftiger hingeben müßte.
Ein Brausekopf zieht er zur Universität, nach Lausanne. Hier erlebt er daun
freilich genug und kann sich nach allen Seiten erproben. Ein jüdischer Freund
wird in einem Duell erschossen, das durch die Anpöbelung eines flegelhaften
Aristokraten entstanden ist. Derselbe Freund hat ihm vorher mit Max Stirner
eine neue Welt eröffnet, ihn zu Rousseau und zu Ibsen geführt. Götz Krafft wird
von einer jungen Kokette umgarnt und entgeht ihren Netzen erst im letzten Augen¬
blick, wie er tapfer den Kokotten aus dem Wege läuft. Er tritt in eine farben¬
tragende Verbindung und verläßt sie wieder, da der Ton und das Treiben ihn
anwidern, und ihm der Freund, dem zuliebe er eintrat, doch verloren geht. Götz
Krafft deckt schließlich einen scheußlichen Kriminalfall auf und führt die Bestrafung
zahlreicher Verbrechen herbei. Er ist als Student der Theologie eingeschrieben und
läßt das ungeliebte Fach bald interesselos liegen. So fließt ihm sein erstes Semester
dahin, und ein andrer, als er kam, geht er wieder.

Welche Fülle von Stoff, die nur erträglich zu machen wäre durch ein straffes
künstlerisches Band! Und das ists, was der Erzählung Stilgebauers fehlt. Lauter
Ansätze, lauter Episoden — kein Weiterspinnen, keine Fortführung. Es ist manches
Hübsche in dem Buche, mancher Klang, der echt herübertönt aus den Tagen
jähen Übergangs, die jeder einmal erlebt. Aber diese Töne Verhalten in einem leb¬
losen und kunstlosen Gerede, das immer wieder nach Leitartikel und Feuilleton schmeckt,
und bei dem man rufen möchte: Nur eine Minute, nur einen Hauch wirkliche Welt
zwischen all dieses tote, Papierne Wesen! Phrasen gehören zur Jugend, und so
darf es niemand verwundern, daß Götz Krafft selbst so oft in Phrasen spricht, in
Phrasen denkt, sich an Phrasen berauscht. Aber zu selten bricht in ihm der Rausch
der gärenden Jugend durch, und es ist gefährlich, wenn ein Schriftsteller uns
nötigt, auch da über seine Helden zu lächeln, wo er eine ganz andre Wirkung
erwartet hat. Und andre, die schon überwunden haben sollen, die Stilgebauer als
reife Geister zeigen will, als Edelncituren, sprechen erst recht in Zeituugsredens-
arten. Was der jüdische Freund Kraffts, Sally Löwenfeld, spricht, ist Leitartikel
von A bis Z. Und doch soll es geklärte Weltanschauung sein, vor der sich
Krafft beugt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0670" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294289"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Götz Krafft und Richard Borg.</head>
            <p xml:id="ID_2972"> Effi Briefe, die Kinderseele, sagt einmal<lb/>
mit einem gewissen Selbstbewußtsein: &#x201E;Ich habe meine Jugend." Wer will ihr<lb/>
die Freude daran verdenken? Und wer wollte sie irgend einem Menschen ver¬<lb/>
denken oder verleiden, der voll Hoffnung und voll Sehnsucht seine Segel einstellt,<lb/>
um aus eng behüteter Kindheit dahinaus zu fahren, wo er in goldnem Gewölk<lb/>
ungekostete Seligkeiten, siegreiche Kämpfe, Liebe und Lorbeer winken zu sehen ver¬<lb/>
meint? Und wenn ein Dichtersmann, selbst vielleicht noch jung und wenig erfahren,<lb/>
die Fahrt wagt, wenn er einen Kämpfer mit Siegergebärde einhertollen läßt,<lb/>
Jugendmut und auch der Jugendeseleien ein gerüttelt Maß im Ranzen &#x2014; dann<lb/>
verzeihen wir manches und denken an das weise Wort von dem Most, der sich so<lb/>
absurd gebärdet und am Eude doch noch Trinkerlabe gibt.</p><lb/>
            <quote> Gib Raum, brich Bahnen, wilde Brust! &#x2014;</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_2973"> Ganz gewiß hat Richard Dehmel gerade dem Geschlecht das aus der Seele<lb/>
gesungen, das um die Wende von 1889 und 1896, mit dem Regierungsbeginn<lb/>
Wilhelms des Zweiten, den Schulsack mit allzu lautem Hurra wegwarf und ins<lb/>
Leben hineinstürmte. Und gewiß wäre es eine dankbare Aufgabe, in einem stark<lb/>
typisierenden Bilde einen Jüngling vorzuführen, der diese Jahre schwanker Ent¬<lb/>
wicklung am eignen Leben süß und schmerzlich empfindet. Edward Stilgebauer will<lb/>
das versuchen in einem vierbändigen Roman &#x201E;Götz Krafft," von dem der erste, in<lb/>
sich abgeschlossene Teil &#x201E;Mit tausend Masten" vor kurzem erschienen ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2974"> Götz Krafft ist der Sohn eines Pfarrers zu Frankfurt am Main, in streng<lb/>
orthodoxen Hause erzogen, vor Einflüssen, die dem Vater ungeeignet erscheinen, zu<lb/>
streng behütet, als daß er sich ihnen nicht heimlich desto heftiger hingeben müßte.<lb/>
Ein Brausekopf zieht er zur Universität, nach Lausanne. Hier erlebt er daun<lb/>
freilich genug und kann sich nach allen Seiten erproben. Ein jüdischer Freund<lb/>
wird in einem Duell erschossen, das durch die Anpöbelung eines flegelhaften<lb/>
Aristokraten entstanden ist. Derselbe Freund hat ihm vorher mit Max Stirner<lb/>
eine neue Welt eröffnet, ihn zu Rousseau und zu Ibsen geführt. Götz Krafft wird<lb/>
von einer jungen Kokette umgarnt und entgeht ihren Netzen erst im letzten Augen¬<lb/>
blick, wie er tapfer den Kokotten aus dem Wege läuft. Er tritt in eine farben¬<lb/>
tragende Verbindung und verläßt sie wieder, da der Ton und das Treiben ihn<lb/>
anwidern, und ihm der Freund, dem zuliebe er eintrat, doch verloren geht. Götz<lb/>
Krafft deckt schließlich einen scheußlichen Kriminalfall auf und führt die Bestrafung<lb/>
zahlreicher Verbrechen herbei. Er ist als Student der Theologie eingeschrieben und<lb/>
läßt das ungeliebte Fach bald interesselos liegen. So fließt ihm sein erstes Semester<lb/>
dahin, und ein andrer, als er kam, geht er wieder.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2975"> Welche Fülle von Stoff, die nur erträglich zu machen wäre durch ein straffes<lb/>
künstlerisches Band! Und das ists, was der Erzählung Stilgebauers fehlt. Lauter<lb/>
Ansätze, lauter Episoden &#x2014; kein Weiterspinnen, keine Fortführung. Es ist manches<lb/>
Hübsche in dem Buche, mancher Klang, der echt herübertönt aus den Tagen<lb/>
jähen Übergangs, die jeder einmal erlebt. Aber diese Töne Verhalten in einem leb¬<lb/>
losen und kunstlosen Gerede, das immer wieder nach Leitartikel und Feuilleton schmeckt,<lb/>
und bei dem man rufen möchte: Nur eine Minute, nur einen Hauch wirkliche Welt<lb/>
zwischen all dieses tote, Papierne Wesen! Phrasen gehören zur Jugend, und so<lb/>
darf es niemand verwundern, daß Götz Krafft selbst so oft in Phrasen spricht, in<lb/>
Phrasen denkt, sich an Phrasen berauscht. Aber zu selten bricht in ihm der Rausch<lb/>
der gärenden Jugend durch, und es ist gefährlich, wenn ein Schriftsteller uns<lb/>
nötigt, auch da über seine Helden zu lächeln, wo er eine ganz andre Wirkung<lb/>
erwartet hat. Und andre, die schon überwunden haben sollen, die Stilgebauer als<lb/>
reife Geister zeigen will, als Edelncituren, sprechen erst recht in Zeituugsredens-<lb/>
arten. Was der jüdische Freund Kraffts, Sally Löwenfeld, spricht, ist Leitartikel<lb/>
von A bis Z. Und doch soll es geklärte Weltanschauung sein, vor der sich<lb/>
Krafft beugt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0670] Maßgebliches und Unmaßgebliches Götz Krafft und Richard Borg. Effi Briefe, die Kinderseele, sagt einmal mit einem gewissen Selbstbewußtsein: „Ich habe meine Jugend." Wer will ihr die Freude daran verdenken? Und wer wollte sie irgend einem Menschen ver¬ denken oder verleiden, der voll Hoffnung und voll Sehnsucht seine Segel einstellt, um aus eng behüteter Kindheit dahinaus zu fahren, wo er in goldnem Gewölk ungekostete Seligkeiten, siegreiche Kämpfe, Liebe und Lorbeer winken zu sehen ver¬ meint? Und wenn ein Dichtersmann, selbst vielleicht noch jung und wenig erfahren, die Fahrt wagt, wenn er einen Kämpfer mit Siegergebärde einhertollen läßt, Jugendmut und auch der Jugendeseleien ein gerüttelt Maß im Ranzen — dann verzeihen wir manches und denken an das weise Wort von dem Most, der sich so absurd gebärdet und am Eude doch noch Trinkerlabe gibt. Gib Raum, brich Bahnen, wilde Brust! — Ganz gewiß hat Richard Dehmel gerade dem Geschlecht das aus der Seele gesungen, das um die Wende von 1889 und 1896, mit dem Regierungsbeginn Wilhelms des Zweiten, den Schulsack mit allzu lautem Hurra wegwarf und ins Leben hineinstürmte. Und gewiß wäre es eine dankbare Aufgabe, in einem stark typisierenden Bilde einen Jüngling vorzuführen, der diese Jahre schwanker Ent¬ wicklung am eignen Leben süß und schmerzlich empfindet. Edward Stilgebauer will das versuchen in einem vierbändigen Roman „Götz Krafft," von dem der erste, in sich abgeschlossene Teil „Mit tausend Masten" vor kurzem erschienen ist. Götz Krafft ist der Sohn eines Pfarrers zu Frankfurt am Main, in streng orthodoxen Hause erzogen, vor Einflüssen, die dem Vater ungeeignet erscheinen, zu streng behütet, als daß er sich ihnen nicht heimlich desto heftiger hingeben müßte. Ein Brausekopf zieht er zur Universität, nach Lausanne. Hier erlebt er daun freilich genug und kann sich nach allen Seiten erproben. Ein jüdischer Freund wird in einem Duell erschossen, das durch die Anpöbelung eines flegelhaften Aristokraten entstanden ist. Derselbe Freund hat ihm vorher mit Max Stirner eine neue Welt eröffnet, ihn zu Rousseau und zu Ibsen geführt. Götz Krafft wird von einer jungen Kokette umgarnt und entgeht ihren Netzen erst im letzten Augen¬ blick, wie er tapfer den Kokotten aus dem Wege läuft. Er tritt in eine farben¬ tragende Verbindung und verläßt sie wieder, da der Ton und das Treiben ihn anwidern, und ihm der Freund, dem zuliebe er eintrat, doch verloren geht. Götz Krafft deckt schließlich einen scheußlichen Kriminalfall auf und führt die Bestrafung zahlreicher Verbrechen herbei. Er ist als Student der Theologie eingeschrieben und läßt das ungeliebte Fach bald interesselos liegen. So fließt ihm sein erstes Semester dahin, und ein andrer, als er kam, geht er wieder. Welche Fülle von Stoff, die nur erträglich zu machen wäre durch ein straffes künstlerisches Band! Und das ists, was der Erzählung Stilgebauers fehlt. Lauter Ansätze, lauter Episoden — kein Weiterspinnen, keine Fortführung. Es ist manches Hübsche in dem Buche, mancher Klang, der echt herübertönt aus den Tagen jähen Übergangs, die jeder einmal erlebt. Aber diese Töne Verhalten in einem leb¬ losen und kunstlosen Gerede, das immer wieder nach Leitartikel und Feuilleton schmeckt, und bei dem man rufen möchte: Nur eine Minute, nur einen Hauch wirkliche Welt zwischen all dieses tote, Papierne Wesen! Phrasen gehören zur Jugend, und so darf es niemand verwundern, daß Götz Krafft selbst so oft in Phrasen spricht, in Phrasen denkt, sich an Phrasen berauscht. Aber zu selten bricht in ihm der Rausch der gärenden Jugend durch, und es ist gefährlich, wenn ein Schriftsteller uns nötigt, auch da über seine Helden zu lächeln, wo er eine ganz andre Wirkung erwartet hat. Und andre, die schon überwunden haben sollen, die Stilgebauer als reife Geister zeigen will, als Edelncituren, sprechen erst recht in Zeituugsredens- arten. Was der jüdische Freund Kraffts, Sally Löwenfeld, spricht, ist Leitartikel von A bis Z. Und doch soll es geklärte Weltanschauung sein, vor der sich Krafft beugt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/670
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/670>, abgerufen am 13.11.2024.