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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

laufend erklärt und an den Reichskanzler die Frage gerichtet, was er zu tun ge¬
denke, "um dem Bundesstaat Preußen gegenüber die Reichsgesetzgebung zur Geltung
zu bringen"? Soviel wie die Sozialdemokraten wissen die preußischen Ressort¬
minister und der preußische Landtag auch. Die Jnterpellation hat selbstverständlich
gar keinen andern Zweck, als Gelegenheit zu sozialdemokratischer Propaganda bei
den landwirtschaftlichen Arbeitern zu bieten. Es wäre vielleicht das richtigste, die
Beantwortung der Jnterpellation als überflüssig abzulehnen.

Der Vorstand der nationalliberalen Partei hat die Stellung der Landtags¬
fraktion zum Schulantrnge gutgeheißen, jedoch die Erhaltung der Simultanschule
stark betont. Für Rheinland und Westfalen hat die Simultanschule selbstverständlich
eine viel größere Bedeutung als für die weit überwiegend protestantischen alten
Provinzen, deshalb war dort der Widerspruch am lautesten. Mit der Übertragung
eines starren Konfessionalismus auf die Volksschule würde der Gegensatz zwischen
den beiden Bekenntnissen statt gemildert nur vertieft und verhärtet werden; es wäre
ein Widerspruch zu den großen Traditionen des preußischen Staats.




Bureaukratismus.

Der Bureaukratismus ist ein so altes, so viel beklagtes,
yescholtnes, verspottetes und mit allen möglichen und unmöglichen Kuren bekämpftes
Übel, daß sich nicht leicht etwas Neues darüber wird sagen lassen. Da jedoch die
Philippiken gegen die Bureaukratie gewöhnlich nur ein einziges Symptom aufs
Korn nehmen, so lassen wir es uns gern gefallen, wenn uus einmal ein neuer Arzt
die Geschichte der alten Krankheit vom ersten Ursprung an erzählt und ein voll¬
ständiges, alle Symptome enthaltendes Krankheitsbild zeichnet, wie Josef Ol¬
szewski in seinem, freilich im abscheulichsten östlichen Deutsch geschriebnen Buche
"Bureaukratie" (Würzburg, A. Stüber, 1904) tut. Er hat sich zur Abfassung
des Buches gedrängt gefühlt durch die Wahrnehmung, daß die moderne Gesellschaft
noch an einem andern Übel, dem sozialen, leide, das sie in einen lebensgefährlichen
Fieberzustand versetzt habe, und daß die beiden berufnen Ärzte unfähig seien: die
Parlamente versagten gänzlich, und die Wirksamkeit der Staatsbehörden werde durch
den Bureaukratismus beeinträchtigt. Das paßt vor allem auf Österreich, und die
Schilderung, die der tu Lemberg wohnende Verfasser von der Beamtenschaft ent¬
wirft, mag ein naturgetreues Bild der galizischen sein, von der es heißt, wie die
Frau, so die Magd; denn sie ist die Dienerin der Schlacht". Im Deutschen Reiche
ist die Beamtenschaft keineswegs eine tote Maschine, die von den Bedürfnissen und
den Interessen der Bevölkerung nichts weiß. Was nun das Wesen der Krankheit
betrifft, so legt Olszewski ganz richtig dar, daß es weder in einer einzelnen Partei
steckt noch im Absolutismus; denn Frankreich als Republik sei so bureaukratisch ge¬
blieben wie unter dem zweiten Napoleon, wo der Großfürst Konstantin nach seinem
ersten Besuche in Frankreich erklärte, er habe dort an Menschen nichts gesehen als
konetioimairss, ksetionnaires und ^etionnaiiös. Die Bureaukratie sei eine bei allen
Verfassungsformen vorkommende Entartung der Regierung, die dahin führe, daß
Staat und Volk auseinanderfallen und in feindlichen Gegensatz zueinander geraten,
weil sich die Regierung außerhalb der Gesellschaft, außerhalb der Interessensphäre
der Bevölkerung stelle. Man kann das kürzer und treffender ausdrücken, wenn
man sagt -- der Verfasser sagt es der Sache nach auch selbst an andern Stellen -- :
Die Regierung wird zur Bureaukratie im schlechten Sinne (seiner ursprünglichen
Bedeutung nach bezeichnet das Wort bloß die an sich notwendige und nicht tadelns¬
werte Arbeit am grünen Tisch), sobald die Amtsgeschäfte und namentlich die For¬
malitäten als Selbstzweck behandelt werden. Die Mittel, die Olszewski zur Heilung
vorschlägt, werden allesamt längst angewandt; wieviel sie helfen, das hängt von
den Personen ab, aus denen sich die Beamtenschaft und das Publikum zusammen¬
setzen, von dem Grad ihrer Vernünftigkett, Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit; not
MSÄSuiks, hur nött lautet auch in diesem Falle die richtige Lösung.


Grenzboten II 1904 88
Maßgebliches und Unmaßgebliches

laufend erklärt und an den Reichskanzler die Frage gerichtet, was er zu tun ge¬
denke, „um dem Bundesstaat Preußen gegenüber die Reichsgesetzgebung zur Geltung
zu bringen"? Soviel wie die Sozialdemokraten wissen die preußischen Ressort¬
minister und der preußische Landtag auch. Die Jnterpellation hat selbstverständlich
gar keinen andern Zweck, als Gelegenheit zu sozialdemokratischer Propaganda bei
den landwirtschaftlichen Arbeitern zu bieten. Es wäre vielleicht das richtigste, die
Beantwortung der Jnterpellation als überflüssig abzulehnen.

Der Vorstand der nationalliberalen Partei hat die Stellung der Landtags¬
fraktion zum Schulantrnge gutgeheißen, jedoch die Erhaltung der Simultanschule
stark betont. Für Rheinland und Westfalen hat die Simultanschule selbstverständlich
eine viel größere Bedeutung als für die weit überwiegend protestantischen alten
Provinzen, deshalb war dort der Widerspruch am lautesten. Mit der Übertragung
eines starren Konfessionalismus auf die Volksschule würde der Gegensatz zwischen
den beiden Bekenntnissen statt gemildert nur vertieft und verhärtet werden; es wäre
ein Widerspruch zu den großen Traditionen des preußischen Staats.




Bureaukratismus.

Der Bureaukratismus ist ein so altes, so viel beklagtes,
yescholtnes, verspottetes und mit allen möglichen und unmöglichen Kuren bekämpftes
Übel, daß sich nicht leicht etwas Neues darüber wird sagen lassen. Da jedoch die
Philippiken gegen die Bureaukratie gewöhnlich nur ein einziges Symptom aufs
Korn nehmen, so lassen wir es uns gern gefallen, wenn uus einmal ein neuer Arzt
die Geschichte der alten Krankheit vom ersten Ursprung an erzählt und ein voll¬
ständiges, alle Symptome enthaltendes Krankheitsbild zeichnet, wie Josef Ol¬
szewski in seinem, freilich im abscheulichsten östlichen Deutsch geschriebnen Buche
„Bureaukratie" (Würzburg, A. Stüber, 1904) tut. Er hat sich zur Abfassung
des Buches gedrängt gefühlt durch die Wahrnehmung, daß die moderne Gesellschaft
noch an einem andern Übel, dem sozialen, leide, das sie in einen lebensgefährlichen
Fieberzustand versetzt habe, und daß die beiden berufnen Ärzte unfähig seien: die
Parlamente versagten gänzlich, und die Wirksamkeit der Staatsbehörden werde durch
den Bureaukratismus beeinträchtigt. Das paßt vor allem auf Österreich, und die
Schilderung, die der tu Lemberg wohnende Verfasser von der Beamtenschaft ent¬
wirft, mag ein naturgetreues Bild der galizischen sein, von der es heißt, wie die
Frau, so die Magd; denn sie ist die Dienerin der Schlacht«. Im Deutschen Reiche
ist die Beamtenschaft keineswegs eine tote Maschine, die von den Bedürfnissen und
den Interessen der Bevölkerung nichts weiß. Was nun das Wesen der Krankheit
betrifft, so legt Olszewski ganz richtig dar, daß es weder in einer einzelnen Partei
steckt noch im Absolutismus; denn Frankreich als Republik sei so bureaukratisch ge¬
blieben wie unter dem zweiten Napoleon, wo der Großfürst Konstantin nach seinem
ersten Besuche in Frankreich erklärte, er habe dort an Menschen nichts gesehen als
konetioimairss, ksetionnaires und ^etionnaiiös. Die Bureaukratie sei eine bei allen
Verfassungsformen vorkommende Entartung der Regierung, die dahin führe, daß
Staat und Volk auseinanderfallen und in feindlichen Gegensatz zueinander geraten,
weil sich die Regierung außerhalb der Gesellschaft, außerhalb der Interessensphäre
der Bevölkerung stelle. Man kann das kürzer und treffender ausdrücken, wenn
man sagt — der Verfasser sagt es der Sache nach auch selbst an andern Stellen — :
Die Regierung wird zur Bureaukratie im schlechten Sinne (seiner ursprünglichen
Bedeutung nach bezeichnet das Wort bloß die an sich notwendige und nicht tadelns¬
werte Arbeit am grünen Tisch), sobald die Amtsgeschäfte und namentlich die For¬
malitäten als Selbstzweck behandelt werden. Die Mittel, die Olszewski zur Heilung
vorschlägt, werden allesamt längst angewandt; wieviel sie helfen, das hängt von
den Personen ab, aus denen sich die Beamtenschaft und das Publikum zusammen¬
setzen, von dem Grad ihrer Vernünftigkett, Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit; not
MSÄSuiks, hur nött lautet auch in diesem Falle die richtige Lösung.


Grenzboten II 1904 88
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[0669] Maßgebliches und Unmaßgebliches laufend erklärt und an den Reichskanzler die Frage gerichtet, was er zu tun ge¬ denke, „um dem Bundesstaat Preußen gegenüber die Reichsgesetzgebung zur Geltung zu bringen"? Soviel wie die Sozialdemokraten wissen die preußischen Ressort¬ minister und der preußische Landtag auch. Die Jnterpellation hat selbstverständlich gar keinen andern Zweck, als Gelegenheit zu sozialdemokratischer Propaganda bei den landwirtschaftlichen Arbeitern zu bieten. Es wäre vielleicht das richtigste, die Beantwortung der Jnterpellation als überflüssig abzulehnen. Der Vorstand der nationalliberalen Partei hat die Stellung der Landtags¬ fraktion zum Schulantrnge gutgeheißen, jedoch die Erhaltung der Simultanschule stark betont. Für Rheinland und Westfalen hat die Simultanschule selbstverständlich eine viel größere Bedeutung als für die weit überwiegend protestantischen alten Provinzen, deshalb war dort der Widerspruch am lautesten. Mit der Übertragung eines starren Konfessionalismus auf die Volksschule würde der Gegensatz zwischen den beiden Bekenntnissen statt gemildert nur vertieft und verhärtet werden; es wäre ein Widerspruch zu den großen Traditionen des preußischen Staats. Bureaukratismus. Der Bureaukratismus ist ein so altes, so viel beklagtes, yescholtnes, verspottetes und mit allen möglichen und unmöglichen Kuren bekämpftes Übel, daß sich nicht leicht etwas Neues darüber wird sagen lassen. Da jedoch die Philippiken gegen die Bureaukratie gewöhnlich nur ein einziges Symptom aufs Korn nehmen, so lassen wir es uns gern gefallen, wenn uus einmal ein neuer Arzt die Geschichte der alten Krankheit vom ersten Ursprung an erzählt und ein voll¬ ständiges, alle Symptome enthaltendes Krankheitsbild zeichnet, wie Josef Ol¬ szewski in seinem, freilich im abscheulichsten östlichen Deutsch geschriebnen Buche „Bureaukratie" (Würzburg, A. Stüber, 1904) tut. Er hat sich zur Abfassung des Buches gedrängt gefühlt durch die Wahrnehmung, daß die moderne Gesellschaft noch an einem andern Übel, dem sozialen, leide, das sie in einen lebensgefährlichen Fieberzustand versetzt habe, und daß die beiden berufnen Ärzte unfähig seien: die Parlamente versagten gänzlich, und die Wirksamkeit der Staatsbehörden werde durch den Bureaukratismus beeinträchtigt. Das paßt vor allem auf Österreich, und die Schilderung, die der tu Lemberg wohnende Verfasser von der Beamtenschaft ent¬ wirft, mag ein naturgetreues Bild der galizischen sein, von der es heißt, wie die Frau, so die Magd; denn sie ist die Dienerin der Schlacht«. Im Deutschen Reiche ist die Beamtenschaft keineswegs eine tote Maschine, die von den Bedürfnissen und den Interessen der Bevölkerung nichts weiß. Was nun das Wesen der Krankheit betrifft, so legt Olszewski ganz richtig dar, daß es weder in einer einzelnen Partei steckt noch im Absolutismus; denn Frankreich als Republik sei so bureaukratisch ge¬ blieben wie unter dem zweiten Napoleon, wo der Großfürst Konstantin nach seinem ersten Besuche in Frankreich erklärte, er habe dort an Menschen nichts gesehen als konetioimairss, ksetionnaires und ^etionnaiiös. Die Bureaukratie sei eine bei allen Verfassungsformen vorkommende Entartung der Regierung, die dahin führe, daß Staat und Volk auseinanderfallen und in feindlichen Gegensatz zueinander geraten, weil sich die Regierung außerhalb der Gesellschaft, außerhalb der Interessensphäre der Bevölkerung stelle. Man kann das kürzer und treffender ausdrücken, wenn man sagt — der Verfasser sagt es der Sache nach auch selbst an andern Stellen — : Die Regierung wird zur Bureaukratie im schlechten Sinne (seiner ursprünglichen Bedeutung nach bezeichnet das Wort bloß die an sich notwendige und nicht tadelns¬ werte Arbeit am grünen Tisch), sobald die Amtsgeschäfte und namentlich die For¬ malitäten als Selbstzweck behandelt werden. Die Mittel, die Olszewski zur Heilung vorschlägt, werden allesamt längst angewandt; wieviel sie helfen, das hängt von den Personen ab, aus denen sich die Beamtenschaft und das Publikum zusammen¬ setzen, von dem Grad ihrer Vernünftigkett, Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit; not MSÄSuiks, hur nött lautet auch in diesem Falle die richtige Lösung. Grenzboten II 1904 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/669>, abgerufen am 13.11.2024.