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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der juristischen Professuren

legt sich oft die Frage vor, ob denn auch fernerhin Männer in dem Alter
von etwa dreißig Jahren, die einige Jahre "gelesen" haben, bedeutendes Lehr¬
geschick bei der Kürze ihrer Lehrtätigkeit also noch gar nicht bewiesen haben
können, und deren praktische Durchbildung, weil sie nur den juristischen Vor¬
bereitungsdienst durchgemacht haben, nur ganz gering ist, einen ordentlichen
Lehrstuhl "für Deutsches Recht" einzunehmen befähigt seien. Was sie an mehr
oder minder beachtenswerten Arbeiten über das geltende Recht oder gar nur
über Rechtsgeschichte veröffentlicht haben, das können zahlreiche tüchtige Prak¬
tiker ebenso und noch besser leisten, weil ihre praktische Erfahrung und ihr
praktischer Takt sie weit leichter das Richtige finden lehren, als den bloßen
Theoretiker.


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Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es eines weitern Ausblicks.
Bei der Beratung des Staatshaushalts im Preußischen Abgeordnetenhause
brachte einmal der Abgeordnete Windthorst zum Kapitel "Universitäten" allerlei
vor, was da ist und was da sein sollte: den studentischen Frühschoppen, das
Mensurwesen, die Mängel des juristischen Unterrichts, die Länge der Ferien,
auch die hohen Einnahmen der Professoren. Auf die Professoren war der
greise Zentrumsführer -- wenigstens an diesem Tage -- überhaupt schlecht zu
sprechen; gegenüber einer vorhergegangnen Bemerkung des Kultusministers, der
die hohen Einnahmen der Professoren und die Länge der Universitätsferien
damit gerechtfertigt hatte, daß dem deutschen Professor neben seiner Lehrtätig¬
keit die Aufgabe zufalle, an der Fortentwicklung der Wissenschaft zu wirken,
führte Windthorst aus: dieser letzten Aufgabe kämen doch immer nur einzelne
Professoren in bedeutendem Maße nach, Männer wie Windscheid, Jhering,
Dernburg und Gierde seien die Ausnahme; die allermeisten Professoren seien
solche, von denen zwölf auf ein Dutzend gingen, und die an wissenschaftlichen
Kenntnissen von zahlreichen Praktikern, die sich schriftstellerisch betätigen, weit
übertroffen würden. Dagegen wies Windthorst auf die auffallende Verschiedenheit
hin, die zwischen der Dozentenlaufbahn und der des Praktikers bestehe. Ein
Gerichtsassessor, der jene beschreite, habe die Möglichkeit, schon nach fünf oder
gar noch weniger Jahren selbst bei nur ganz mäßigem Lehrgeschick und
mäßigen wissenschaftlichen Leistungen die einträgliche und angenehme Stellung
eines ordentlichen Professors zu erlangen, obwohl er doch in keiner Weise
über den Praktiker hervorrage, der jahrzehntelang bei viel geringern Ein¬
nahmen die mit der eines Universitätslehrers gar nicht vergleichbare Stellung
eines Richters oder Urwalds in einem Landstädtchen bekleide. Die Rede
Windthorsts schloß selbstverständlich ab mit einem Seitenhicb auf die "un¬
gläubigen Vertreter der heutigen Wissenschaft," und von diesem parteipolitischer
Standpunkt war wohl die Ansicht des Zentrumsführers über unsre Universi¬
tätslehrer überhaupt sehr beeinflußt; aber daß sie viel Wahres enthält, darf
man am wenigsten heute bezweifeln, wo sich die von Windthorst geschilderte
Sachlage sehr zugunsten der Praktiker verschoben hat, und die Stellung der
Rechtslehrer eine ganz andre geworden ist.

Unter allen Beamtenstellungen ist die des ordentlichen Universitäts-


Die Zukunft der juristischen Professuren

legt sich oft die Frage vor, ob denn auch fernerhin Männer in dem Alter
von etwa dreißig Jahren, die einige Jahre „gelesen" haben, bedeutendes Lehr¬
geschick bei der Kürze ihrer Lehrtätigkeit also noch gar nicht bewiesen haben
können, und deren praktische Durchbildung, weil sie nur den juristischen Vor¬
bereitungsdienst durchgemacht haben, nur ganz gering ist, einen ordentlichen
Lehrstuhl „für Deutsches Recht" einzunehmen befähigt seien. Was sie an mehr
oder minder beachtenswerten Arbeiten über das geltende Recht oder gar nur
über Rechtsgeschichte veröffentlicht haben, das können zahlreiche tüchtige Prak¬
tiker ebenso und noch besser leisten, weil ihre praktische Erfahrung und ihr
praktischer Takt sie weit leichter das Richtige finden lehren, als den bloßen
Theoretiker.


6

Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es eines weitern Ausblicks.
Bei der Beratung des Staatshaushalts im Preußischen Abgeordnetenhause
brachte einmal der Abgeordnete Windthorst zum Kapitel „Universitäten" allerlei
vor, was da ist und was da sein sollte: den studentischen Frühschoppen, das
Mensurwesen, die Mängel des juristischen Unterrichts, die Länge der Ferien,
auch die hohen Einnahmen der Professoren. Auf die Professoren war der
greise Zentrumsführer — wenigstens an diesem Tage — überhaupt schlecht zu
sprechen; gegenüber einer vorhergegangnen Bemerkung des Kultusministers, der
die hohen Einnahmen der Professoren und die Länge der Universitätsferien
damit gerechtfertigt hatte, daß dem deutschen Professor neben seiner Lehrtätig¬
keit die Aufgabe zufalle, an der Fortentwicklung der Wissenschaft zu wirken,
führte Windthorst aus: dieser letzten Aufgabe kämen doch immer nur einzelne
Professoren in bedeutendem Maße nach, Männer wie Windscheid, Jhering,
Dernburg und Gierde seien die Ausnahme; die allermeisten Professoren seien
solche, von denen zwölf auf ein Dutzend gingen, und die an wissenschaftlichen
Kenntnissen von zahlreichen Praktikern, die sich schriftstellerisch betätigen, weit
übertroffen würden. Dagegen wies Windthorst auf die auffallende Verschiedenheit
hin, die zwischen der Dozentenlaufbahn und der des Praktikers bestehe. Ein
Gerichtsassessor, der jene beschreite, habe die Möglichkeit, schon nach fünf oder
gar noch weniger Jahren selbst bei nur ganz mäßigem Lehrgeschick und
mäßigen wissenschaftlichen Leistungen die einträgliche und angenehme Stellung
eines ordentlichen Professors zu erlangen, obwohl er doch in keiner Weise
über den Praktiker hervorrage, der jahrzehntelang bei viel geringern Ein¬
nahmen die mit der eines Universitätslehrers gar nicht vergleichbare Stellung
eines Richters oder Urwalds in einem Landstädtchen bekleide. Die Rede
Windthorsts schloß selbstverständlich ab mit einem Seitenhicb auf die „un¬
gläubigen Vertreter der heutigen Wissenschaft," und von diesem parteipolitischer
Standpunkt war wohl die Ansicht des Zentrumsführers über unsre Universi¬
tätslehrer überhaupt sehr beeinflußt; aber daß sie viel Wahres enthält, darf
man am wenigsten heute bezweifeln, wo sich die von Windthorst geschilderte
Sachlage sehr zugunsten der Praktiker verschoben hat, und die Stellung der
Rechtslehrer eine ganz andre geworden ist.

Unter allen Beamtenstellungen ist die des ordentlichen Universitäts-


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[0633] Die Zukunft der juristischen Professuren legt sich oft die Frage vor, ob denn auch fernerhin Männer in dem Alter von etwa dreißig Jahren, die einige Jahre „gelesen" haben, bedeutendes Lehr¬ geschick bei der Kürze ihrer Lehrtätigkeit also noch gar nicht bewiesen haben können, und deren praktische Durchbildung, weil sie nur den juristischen Vor¬ bereitungsdienst durchgemacht haben, nur ganz gering ist, einen ordentlichen Lehrstuhl „für Deutsches Recht" einzunehmen befähigt seien. Was sie an mehr oder minder beachtenswerten Arbeiten über das geltende Recht oder gar nur über Rechtsgeschichte veröffentlicht haben, das können zahlreiche tüchtige Prak¬ tiker ebenso und noch besser leisten, weil ihre praktische Erfahrung und ihr praktischer Takt sie weit leichter das Richtige finden lehren, als den bloßen Theoretiker. 6 Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es eines weitern Ausblicks. Bei der Beratung des Staatshaushalts im Preußischen Abgeordnetenhause brachte einmal der Abgeordnete Windthorst zum Kapitel „Universitäten" allerlei vor, was da ist und was da sein sollte: den studentischen Frühschoppen, das Mensurwesen, die Mängel des juristischen Unterrichts, die Länge der Ferien, auch die hohen Einnahmen der Professoren. Auf die Professoren war der greise Zentrumsführer — wenigstens an diesem Tage — überhaupt schlecht zu sprechen; gegenüber einer vorhergegangnen Bemerkung des Kultusministers, der die hohen Einnahmen der Professoren und die Länge der Universitätsferien damit gerechtfertigt hatte, daß dem deutschen Professor neben seiner Lehrtätig¬ keit die Aufgabe zufalle, an der Fortentwicklung der Wissenschaft zu wirken, führte Windthorst aus: dieser letzten Aufgabe kämen doch immer nur einzelne Professoren in bedeutendem Maße nach, Männer wie Windscheid, Jhering, Dernburg und Gierde seien die Ausnahme; die allermeisten Professoren seien solche, von denen zwölf auf ein Dutzend gingen, und die an wissenschaftlichen Kenntnissen von zahlreichen Praktikern, die sich schriftstellerisch betätigen, weit übertroffen würden. Dagegen wies Windthorst auf die auffallende Verschiedenheit hin, die zwischen der Dozentenlaufbahn und der des Praktikers bestehe. Ein Gerichtsassessor, der jene beschreite, habe die Möglichkeit, schon nach fünf oder gar noch weniger Jahren selbst bei nur ganz mäßigem Lehrgeschick und mäßigen wissenschaftlichen Leistungen die einträgliche und angenehme Stellung eines ordentlichen Professors zu erlangen, obwohl er doch in keiner Weise über den Praktiker hervorrage, der jahrzehntelang bei viel geringern Ein¬ nahmen die mit der eines Universitätslehrers gar nicht vergleichbare Stellung eines Richters oder Urwalds in einem Landstädtchen bekleide. Die Rede Windthorsts schloß selbstverständlich ab mit einem Seitenhicb auf die „un¬ gläubigen Vertreter der heutigen Wissenschaft," und von diesem parteipolitischer Standpunkt war wohl die Ansicht des Zentrumsführers über unsre Universi¬ tätslehrer überhaupt sehr beeinflußt; aber daß sie viel Wahres enthält, darf man am wenigsten heute bezweifeln, wo sich die von Windthorst geschilderte Sachlage sehr zugunsten der Praktiker verschoben hat, und die Stellung der Rechtslehrer eine ganz andre geworden ist. Unter allen Beamtenstellungen ist die des ordentlichen Universitäts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/633>, abgerufen am 28.06.2024.