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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Frankreich und der Heilige Htuhl
Joseph Mayer von

>er zwischen dem Heiligen Stuhl und Frankreich ausgebrochene
Streit über das Rundschreiben der Kurie an die katholischen
Mächte wird ausgehn wie das Hornberger Schießen. Der vom
Fürsten von Monaco an Jaures weitergegebne Wortlaut des an
! ihn gelangten Exemplars wurde in der Urunanitv veröffentlicht.
Da brach ein ganz unsinniges Wutgeheul in der französischen radikalen und
sozialistischen Presse aus, dem gegenüber der Heilige Stuhl kühl bis ans Herz
hinan blieb. Ohne sich auch nur einen einzigen Augenblick Zeit zur Über¬
legung zu gönnen, stellte der Block sofort die unmöglichsten Forderungen an
die Regierung: endgiltige Abberufung des Botschafters, Aufhebung der Bot¬
schaft beim Heiligen Stuhl, Übersendung der Passe an den Nuntius, Kündigung
des Konkordats, weitere Knebelung der Kirche usw. in int'iridum. In Italien
erscholl das Echo dieser unbeschreiblichen Aufregung, aber der Natur des Echos
entsprechend, weniger klar und weniger laut. Die italienische Presse war klüger
als die französische, sie verzeichnete nur mit Behagen die Tagesereignisse, ohne
eigentlich bestimmte Forderungen an ihre Regierung zu stellen.

Die Kurie beschränkte sich auf einige knappe Mitteilungen im Osssrvators
Ronig.no, die wenigstens die gröbsten Entstellungen berichtigen sollten, und besorgte
ihre gewöhnlichen Geschäfte weiter, gänzlich unbekümmert um das babylonische
Durcheinander an der Seine. Die französische Regierung konnte allen Pre߬
äußerungen gegenüber nicht gänzlich untätig bleiben, obschon Delcasse bei dieser
Gelegenheit zeigte, daß er in der jetzigen Regierung wirklich ein Staatsmann
ist. Sein Einfluß im Kabinett Combes, der eine Zeit lang bedenklich ins
Wanken geraten war, ist, wenn nicht alles täuscht, durch diese ganze Angelegenheit
zum beherrschenden geworden, sodaß der blinde Draufgänger Combes, der jeder
staatsmännischen Ader bar ist, vollständig in den Hintergrund treten mußte.

Delcasse beauftragte nun, ur g.An^ma k"zu8so viäsatnr, den Botschafter
Nisard, vom Staatssekretär Kardinal Merry del Val Aufklärungen darüber zu
verlangen, ob der Text der von Jaures in der Uninanitü veröffentlichten Note
an die nichtfranzösischen katholischen Mächte authentisch sei, im besondern, ob


Grenzboten II 1904 81



Frankreich und der Heilige Htuhl
Joseph Mayer von

>er zwischen dem Heiligen Stuhl und Frankreich ausgebrochene
Streit über das Rundschreiben der Kurie an die katholischen
Mächte wird ausgehn wie das Hornberger Schießen. Der vom
Fürsten von Monaco an Jaures weitergegebne Wortlaut des an
! ihn gelangten Exemplars wurde in der Urunanitv veröffentlicht.
Da brach ein ganz unsinniges Wutgeheul in der französischen radikalen und
sozialistischen Presse aus, dem gegenüber der Heilige Stuhl kühl bis ans Herz
hinan blieb. Ohne sich auch nur einen einzigen Augenblick Zeit zur Über¬
legung zu gönnen, stellte der Block sofort die unmöglichsten Forderungen an
die Regierung: endgiltige Abberufung des Botschafters, Aufhebung der Bot¬
schaft beim Heiligen Stuhl, Übersendung der Passe an den Nuntius, Kündigung
des Konkordats, weitere Knebelung der Kirche usw. in int'iridum. In Italien
erscholl das Echo dieser unbeschreiblichen Aufregung, aber der Natur des Echos
entsprechend, weniger klar und weniger laut. Die italienische Presse war klüger
als die französische, sie verzeichnete nur mit Behagen die Tagesereignisse, ohne
eigentlich bestimmte Forderungen an ihre Regierung zu stellen.

Die Kurie beschränkte sich auf einige knappe Mitteilungen im Osssrvators
Ronig.no, die wenigstens die gröbsten Entstellungen berichtigen sollten, und besorgte
ihre gewöhnlichen Geschäfte weiter, gänzlich unbekümmert um das babylonische
Durcheinander an der Seine. Die französische Regierung konnte allen Pre߬
äußerungen gegenüber nicht gänzlich untätig bleiben, obschon Delcasse bei dieser
Gelegenheit zeigte, daß er in der jetzigen Regierung wirklich ein Staatsmann
ist. Sein Einfluß im Kabinett Combes, der eine Zeit lang bedenklich ins
Wanken geraten war, ist, wenn nicht alles täuscht, durch diese ganze Angelegenheit
zum beherrschenden geworden, sodaß der blinde Draufgänger Combes, der jeder
staatsmännischen Ader bar ist, vollständig in den Hintergrund treten mußte.

Delcasse beauftragte nun, ur g.An^ma k«zu8so viäsatnr, den Botschafter
Nisard, vom Staatssekretär Kardinal Merry del Val Aufklärungen darüber zu
verlangen, ob der Text der von Jaures in der Uninanitü veröffentlichten Note
an die nichtfranzösischen katholischen Mächte authentisch sei, im besondern, ob


Grenzboten II 1904 81
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/613>, abgerufen am 13.11.2024.