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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

kämpfen: mit Entstellungen, die aus Luther herübergenommen sind, mit eingefleischter
Vorurteilen, mit völliger Unkenntnis oder schiefer Auffassung der katholischen Lehre,
mit dem Hinweise auf die verdammenswerte Praxis einzelner, mit gedankenlosen
Behauptungen." Nein, mein lieber Pater! es handelt sich heute nicht mehr um
die verdammenswerte Praxis einzelner, sondern, wie zu Luthers Zeit, wieder um
die allgemeine Praxis. Entweder haben Sie diese, sich in Ihre Studierstube ver¬
schanzend, nicht kennen gelernt, oder Sie sind nicht ehrlich! Wir haben in Schlesien
zum Beispiel und natürlich auch anderswo wackere Geistliche gehabt, die das aller¬
dings in der offiziellen katholischen Dogmatik enthaltne Wesentliche der christlichen
Religion zur Geltung bringen wollten; aber die sind den unter des neunten Pius
Schutze organisierten Bigotten und Abergläubischen erlegen, und ein Geistlicher, der
merken läßt, daß er schlichte und treue Pflichterfüllung und Herzensandacht höher
stellt als bekleidete Marienpuppen, oftmaliges Beichten, Rosenkranzgeplärr und
Amulette, macht sich der Ketzerei verdächtig und verliert allen Einfluß in der Ge¬
meinde. Sollte das Christentum der Neapolitaner, die Ihnen ja näher und be¬
quemer liegen, reiner und vernünftiger sein als das schlesische, wie dieses in den
Zeiten des neunten Pius geworden ist? -- Am Schluß gedenkt Denifle auch der
Nenaissaucekatholiken. Diese seien eben auch Rationalisten, und die Kirche werde
früher oder später "diese fremden Elemente" abschütteln müssen. Die Scheidewand
zwischen den beiden religiösen Weltanschauungen: der einen, die das Christentum
als göttliche Stiftung, und der andern, die es als ein vorübergehendes Produkt
der menschlichen Entwicklung auffasse, dürfe man nicht versuchen, auch durch den
Katholizismus oder gar durch die katholische Theologie ziehn zu wollen. Der
Pater kennt die geistigen Zustände unsrer Zeit gar nicht und redet davon wie der
Blinde von der Farbe. Er weiß nicht, daß die große Scheidewand heute nicht
mehr steht zwischen Orthodoxen und Rationalisten, sondern zwischen Theisten und
Atheisten, und daß gerade in den katholischen Ländern, nicht bet den protestantischen
Angelsachsen, so ziemlich alles, was auf Bildung Anspruch macht, ins Lager des
Atheismus übergegangen ist. Und das ist leicht erklärlich: wenn man den Theis¬
mus und das Christentum mit den Ablässen, dem unfehlbaren Papsttum und der
unbefleckten Empfängnis zusammenkettet und kittet, behält man natürlicherweise nur
die Kinder und die alten Weiber. Wenn man in Deutschland auch uoch eine
Menge gebildeter Männer für sich hat, so verdankt man das dem Umstände, daß
diese Männer im Kulturkampfe ihre bürgerlichen Rechte gegen die protestantische
Mehrheit zu verteidigen genötigt waren, deshalb die Streitigkeiten im eignen Lager
ruhen lassen und vor den Ungeheuerlichkeiten des ultramontanen Systems die
Augen schließen mußten. Außerdem irrt Denifle, wenn er glaubt, die Anerkennung
der natürlichen Kräfte -- das Natürliche ist das ursprünglich Göttliche --, die in
der Entstehung und der Entwicklung des Christentums tätig gewesen sind, schließe
die Anerkennung einer im engern Sinne göttlichen Ein- und Mitwirkung aus und
nötige dazu, das Christentum für ein vorübergehendes Erzeugnis anzusehen.
Auch die Wissenschaft ist ein Entwicklungsprodukt, aber darum nicht zum Unter¬
gange verurteilt. Die große Frage lautet heute nicht: Wunder oder natürliche
Entwicklung?, sondern: Entwicklung mit oder Entwicklung ohne Gott? Die Fana¬
tiker der logischen Konsequenz in beiden Lagern: in dem der gläubigen Christen
wie in dem der nicht minder gläubigen Naturwissenschafter Häckelscher Konfession,
richten mit ihrem Radikalismus nur Unheil an und stören die gesunde ruhige Ent¬
wicklung der vernünftigen Erkenntnis.


Ein Dichter aus dem Volke.

Paul Göhre hat die "Denkwürdig¬
keiten und Erinnerungen eines Arbeiters" herausgegeben und mit einem
Geleitwort versehen (Leipzig, Engen Diederichs, 1903). Ich habe mehrere
Besprechungen des Buches in Zeitungen gelesen; meiner Ansicht nach ist ihm
keine gerecht geworden. Mich hat es tief ergriffen und über vieles aufgeklärt.
Zuerst muß hervorgehoben werden, was auch Göhre betont, daß der Verfasser


Maßgebliches und Unmaßgebliches

kämpfen: mit Entstellungen, die aus Luther herübergenommen sind, mit eingefleischter
Vorurteilen, mit völliger Unkenntnis oder schiefer Auffassung der katholischen Lehre,
mit dem Hinweise auf die verdammenswerte Praxis einzelner, mit gedankenlosen
Behauptungen." Nein, mein lieber Pater! es handelt sich heute nicht mehr um
die verdammenswerte Praxis einzelner, sondern, wie zu Luthers Zeit, wieder um
die allgemeine Praxis. Entweder haben Sie diese, sich in Ihre Studierstube ver¬
schanzend, nicht kennen gelernt, oder Sie sind nicht ehrlich! Wir haben in Schlesien
zum Beispiel und natürlich auch anderswo wackere Geistliche gehabt, die das aller¬
dings in der offiziellen katholischen Dogmatik enthaltne Wesentliche der christlichen
Religion zur Geltung bringen wollten; aber die sind den unter des neunten Pius
Schutze organisierten Bigotten und Abergläubischen erlegen, und ein Geistlicher, der
merken läßt, daß er schlichte und treue Pflichterfüllung und Herzensandacht höher
stellt als bekleidete Marienpuppen, oftmaliges Beichten, Rosenkranzgeplärr und
Amulette, macht sich der Ketzerei verdächtig und verliert allen Einfluß in der Ge¬
meinde. Sollte das Christentum der Neapolitaner, die Ihnen ja näher und be¬
quemer liegen, reiner und vernünftiger sein als das schlesische, wie dieses in den
Zeiten des neunten Pius geworden ist? — Am Schluß gedenkt Denifle auch der
Nenaissaucekatholiken. Diese seien eben auch Rationalisten, und die Kirche werde
früher oder später „diese fremden Elemente" abschütteln müssen. Die Scheidewand
zwischen den beiden religiösen Weltanschauungen: der einen, die das Christentum
als göttliche Stiftung, und der andern, die es als ein vorübergehendes Produkt
der menschlichen Entwicklung auffasse, dürfe man nicht versuchen, auch durch den
Katholizismus oder gar durch die katholische Theologie ziehn zu wollen. Der
Pater kennt die geistigen Zustände unsrer Zeit gar nicht und redet davon wie der
Blinde von der Farbe. Er weiß nicht, daß die große Scheidewand heute nicht
mehr steht zwischen Orthodoxen und Rationalisten, sondern zwischen Theisten und
Atheisten, und daß gerade in den katholischen Ländern, nicht bet den protestantischen
Angelsachsen, so ziemlich alles, was auf Bildung Anspruch macht, ins Lager des
Atheismus übergegangen ist. Und das ist leicht erklärlich: wenn man den Theis¬
mus und das Christentum mit den Ablässen, dem unfehlbaren Papsttum und der
unbefleckten Empfängnis zusammenkettet und kittet, behält man natürlicherweise nur
die Kinder und die alten Weiber. Wenn man in Deutschland auch uoch eine
Menge gebildeter Männer für sich hat, so verdankt man das dem Umstände, daß
diese Männer im Kulturkampfe ihre bürgerlichen Rechte gegen die protestantische
Mehrheit zu verteidigen genötigt waren, deshalb die Streitigkeiten im eignen Lager
ruhen lassen und vor den Ungeheuerlichkeiten des ultramontanen Systems die
Augen schließen mußten. Außerdem irrt Denifle, wenn er glaubt, die Anerkennung
der natürlichen Kräfte — das Natürliche ist das ursprünglich Göttliche —, die in
der Entstehung und der Entwicklung des Christentums tätig gewesen sind, schließe
die Anerkennung einer im engern Sinne göttlichen Ein- und Mitwirkung aus und
nötige dazu, das Christentum für ein vorübergehendes Erzeugnis anzusehen.
Auch die Wissenschaft ist ein Entwicklungsprodukt, aber darum nicht zum Unter¬
gange verurteilt. Die große Frage lautet heute nicht: Wunder oder natürliche
Entwicklung?, sondern: Entwicklung mit oder Entwicklung ohne Gott? Die Fana¬
tiker der logischen Konsequenz in beiden Lagern: in dem der gläubigen Christen
wie in dem der nicht minder gläubigen Naturwissenschafter Häckelscher Konfession,
richten mit ihrem Radikalismus nur Unheil an und stören die gesunde ruhige Ent¬
wicklung der vernünftigen Erkenntnis.


Ein Dichter aus dem Volke.

Paul Göhre hat die „Denkwürdig¬
keiten und Erinnerungen eines Arbeiters" herausgegeben und mit einem
Geleitwort versehen (Leipzig, Engen Diederichs, 1903). Ich habe mehrere
Besprechungen des Buches in Zeitungen gelesen; meiner Ansicht nach ist ihm
keine gerecht geworden. Mich hat es tief ergriffen und über vieles aufgeklärt.
Zuerst muß hervorgehoben werden, was auch Göhre betont, daß der Verfasser


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[0610] Maßgebliches und Unmaßgebliches kämpfen: mit Entstellungen, die aus Luther herübergenommen sind, mit eingefleischter Vorurteilen, mit völliger Unkenntnis oder schiefer Auffassung der katholischen Lehre, mit dem Hinweise auf die verdammenswerte Praxis einzelner, mit gedankenlosen Behauptungen." Nein, mein lieber Pater! es handelt sich heute nicht mehr um die verdammenswerte Praxis einzelner, sondern, wie zu Luthers Zeit, wieder um die allgemeine Praxis. Entweder haben Sie diese, sich in Ihre Studierstube ver¬ schanzend, nicht kennen gelernt, oder Sie sind nicht ehrlich! Wir haben in Schlesien zum Beispiel und natürlich auch anderswo wackere Geistliche gehabt, die das aller¬ dings in der offiziellen katholischen Dogmatik enthaltne Wesentliche der christlichen Religion zur Geltung bringen wollten; aber die sind den unter des neunten Pius Schutze organisierten Bigotten und Abergläubischen erlegen, und ein Geistlicher, der merken läßt, daß er schlichte und treue Pflichterfüllung und Herzensandacht höher stellt als bekleidete Marienpuppen, oftmaliges Beichten, Rosenkranzgeplärr und Amulette, macht sich der Ketzerei verdächtig und verliert allen Einfluß in der Ge¬ meinde. Sollte das Christentum der Neapolitaner, die Ihnen ja näher und be¬ quemer liegen, reiner und vernünftiger sein als das schlesische, wie dieses in den Zeiten des neunten Pius geworden ist? — Am Schluß gedenkt Denifle auch der Nenaissaucekatholiken. Diese seien eben auch Rationalisten, und die Kirche werde früher oder später „diese fremden Elemente" abschütteln müssen. Die Scheidewand zwischen den beiden religiösen Weltanschauungen: der einen, die das Christentum als göttliche Stiftung, und der andern, die es als ein vorübergehendes Produkt der menschlichen Entwicklung auffasse, dürfe man nicht versuchen, auch durch den Katholizismus oder gar durch die katholische Theologie ziehn zu wollen. Der Pater kennt die geistigen Zustände unsrer Zeit gar nicht und redet davon wie der Blinde von der Farbe. Er weiß nicht, daß die große Scheidewand heute nicht mehr steht zwischen Orthodoxen und Rationalisten, sondern zwischen Theisten und Atheisten, und daß gerade in den katholischen Ländern, nicht bet den protestantischen Angelsachsen, so ziemlich alles, was auf Bildung Anspruch macht, ins Lager des Atheismus übergegangen ist. Und das ist leicht erklärlich: wenn man den Theis¬ mus und das Christentum mit den Ablässen, dem unfehlbaren Papsttum und der unbefleckten Empfängnis zusammenkettet und kittet, behält man natürlicherweise nur die Kinder und die alten Weiber. Wenn man in Deutschland auch uoch eine Menge gebildeter Männer für sich hat, so verdankt man das dem Umstände, daß diese Männer im Kulturkampfe ihre bürgerlichen Rechte gegen die protestantische Mehrheit zu verteidigen genötigt waren, deshalb die Streitigkeiten im eignen Lager ruhen lassen und vor den Ungeheuerlichkeiten des ultramontanen Systems die Augen schließen mußten. Außerdem irrt Denifle, wenn er glaubt, die Anerkennung der natürlichen Kräfte — das Natürliche ist das ursprünglich Göttliche —, die in der Entstehung und der Entwicklung des Christentums tätig gewesen sind, schließe die Anerkennung einer im engern Sinne göttlichen Ein- und Mitwirkung aus und nötige dazu, das Christentum für ein vorübergehendes Erzeugnis anzusehen. Auch die Wissenschaft ist ein Entwicklungsprodukt, aber darum nicht zum Unter¬ gange verurteilt. Die große Frage lautet heute nicht: Wunder oder natürliche Entwicklung?, sondern: Entwicklung mit oder Entwicklung ohne Gott? Die Fana¬ tiker der logischen Konsequenz in beiden Lagern: in dem der gläubigen Christen wie in dem der nicht minder gläubigen Naturwissenschafter Häckelscher Konfession, richten mit ihrem Radikalismus nur Unheil an und stören die gesunde ruhige Ent¬ wicklung der vernünftigen Erkenntnis. Ein Dichter aus dem Volke. Paul Göhre hat die „Denkwürdig¬ keiten und Erinnerungen eines Arbeiters" herausgegeben und mit einem Geleitwort versehen (Leipzig, Engen Diederichs, 1903). Ich habe mehrere Besprechungen des Buches in Zeitungen gelesen; meiner Ansicht nach ist ihm keine gerecht geworden. Mich hat es tief ergriffen und über vieles aufgeklärt. Zuerst muß hervorgehoben werden, was auch Göhre betont, daß der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/610>, abgerufen am 25.07.2024.