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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Romane und Novellen

iuoumbit xrodatio ist jedenfalls von Nietzsche nicht befolgt worden, wie denn
überhaupt nicht das Beweisen, sondern das Behaupten seine Lieblingsbeschäftigung
war. Die ewige Wiederkehr ist nichts als eine antizipierte Anekdote, mit dem¬
selben unbekümmerten Anspruch auf Glaubwürdigkeit, wie sie vielen andern
Anekdoten zukommt.

Da diese Behauptung zur Umwertung aller Werte keinen durch Neuheit
verblüffenden Beitrag liefert, so ist schwer zu sagen, warum sie der große
Zarathustra ausgesprochen hat. Wahrscheinlich bloß, um mystisch zu kitzeln.
Oder lohnt es sich, Übermensch zu werden, wenn es doch wieder mit der schreckhaft
langsamen Erziehung von vorn losgeht? Aber nach Konsequenz darf man den
"freien Tänzer" nicht fragen. Wenn Schiller (An die, Freunde) sagt: Neues
hat die Sonne nie gesehn, so ist dies teils nicht wörtlich zu nehmen (dann
wäre es unrichtig), teils scheint der Dichter nur das allgemeine Schema der
Lebensvorgänge im Sinne zu haben -- Alles wiederholt sich nur im Leben --,
während die Phantasie insofern ewig jung bleibt, als sie durch Kombination
von Erfahrung und Denken neue Bilder schafft. Und wenn die Sonne bisher
nichts Neues gesehen hätte, wer sagt uns, daß sie in Zukunft nichts Neues
sehen wird?




Deutsche Romane und Novellen

is Gottfried Keller die "Leute von Seldwyla" hatte erscheinen
lassen, da sollen, wie er neckisch erzählt, sieben schweizerische
Städte ihm ihr Ehrenbürgerrecht angetragen haben für den Fall,
daß er sie für das Urbild Seldwylas erklären würde. Keller
aber lehnte die ehrenvolle Zumutung ab, denn jede schweizerische
Stadt enthielte einen Turm, ein Haus, ein Stück von Seldwyla. Die Natur
scheint das Dörfchen Nimikon mit einer besonders starken Portion Seldwyler-
tum bedacht zu haben. Denn Herr Peter Camenzind, dieses Fleckens Sohn,
ist so, wie ihn sein Dichter Hermann Hesse darstellt (Peter Camenzind, 2. Aufl.,
Berlin. S. Fischer, 1904), in der Tat ein ganzer Seldwyler. Seldwylisch ist
seine erste Liebesgeschichte, seldwylisch sein Verhältnis zum "alten Camenzind,"
seinem Vater, und zu dem köstlichen Projektenmacher Onkel Konrad. Seld¬
wylisch und, wenn man will, kellerisch überhaupt ist sein Trinkerdrang und
seine Trinkerphilosophie. Und so wäre hier im Grunde ein rechter Beweis
für Kellers Behauptung. Denn ganz gewiß hat Hesse den größten Dichter
seiner engern Heimat nicht nachahmen wollen -- aber als echter Alemanne
steckt er selbst so sehr in Seldwylerei drin, daß auch seine Gestalten etwas
von der unvergeßlichen Art dieses seltsamen Völkchens haben. Das tut ihnen
keinen Abbruch und mindert in keiner Weise den Wert des schönen und ver¬
gnüglich zu lesenden Vnches. Vergnüglich, weil auch das Schwere und das
Tragische immer beglänzt sind von einem Sonnenstrahl, der durch eine volle
Flasche roten Veltliners füllt. Am Schlüsse freilich wird es ein bißchen kraus:


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iuoumbit xrodatio ist jedenfalls von Nietzsche nicht befolgt worden, wie denn
überhaupt nicht das Beweisen, sondern das Behaupten seine Lieblingsbeschäftigung
war. Die ewige Wiederkehr ist nichts als eine antizipierte Anekdote, mit dem¬
selben unbekümmerten Anspruch auf Glaubwürdigkeit, wie sie vielen andern
Anekdoten zukommt.

Da diese Behauptung zur Umwertung aller Werte keinen durch Neuheit
verblüffenden Beitrag liefert, so ist schwer zu sagen, warum sie der große
Zarathustra ausgesprochen hat. Wahrscheinlich bloß, um mystisch zu kitzeln.
Oder lohnt es sich, Übermensch zu werden, wenn es doch wieder mit der schreckhaft
langsamen Erziehung von vorn losgeht? Aber nach Konsequenz darf man den
„freien Tänzer" nicht fragen. Wenn Schiller (An die, Freunde) sagt: Neues
hat die Sonne nie gesehn, so ist dies teils nicht wörtlich zu nehmen (dann
wäre es unrichtig), teils scheint der Dichter nur das allgemeine Schema der
Lebensvorgänge im Sinne zu haben — Alles wiederholt sich nur im Leben —,
während die Phantasie insofern ewig jung bleibt, als sie durch Kombination
von Erfahrung und Denken neue Bilder schafft. Und wenn die Sonne bisher
nichts Neues gesehen hätte, wer sagt uns, daß sie in Zukunft nichts Neues
sehen wird?




Deutsche Romane und Novellen

is Gottfried Keller die „Leute von Seldwyla" hatte erscheinen
lassen, da sollen, wie er neckisch erzählt, sieben schweizerische
Städte ihm ihr Ehrenbürgerrecht angetragen haben für den Fall,
daß er sie für das Urbild Seldwylas erklären würde. Keller
aber lehnte die ehrenvolle Zumutung ab, denn jede schweizerische
Stadt enthielte einen Turm, ein Haus, ein Stück von Seldwyla. Die Natur
scheint das Dörfchen Nimikon mit einer besonders starken Portion Seldwyler-
tum bedacht zu haben. Denn Herr Peter Camenzind, dieses Fleckens Sohn,
ist so, wie ihn sein Dichter Hermann Hesse darstellt (Peter Camenzind, 2. Aufl.,
Berlin. S. Fischer, 1904), in der Tat ein ganzer Seldwyler. Seldwylisch ist
seine erste Liebesgeschichte, seldwylisch sein Verhältnis zum „alten Camenzind,"
seinem Vater, und zu dem köstlichen Projektenmacher Onkel Konrad. Seld¬
wylisch und, wenn man will, kellerisch überhaupt ist sein Trinkerdrang und
seine Trinkerphilosophie. Und so wäre hier im Grunde ein rechter Beweis
für Kellers Behauptung. Denn ganz gewiß hat Hesse den größten Dichter
seiner engern Heimat nicht nachahmen wollen — aber als echter Alemanne
steckt er selbst so sehr in Seldwylerei drin, daß auch seine Gestalten etwas
von der unvergeßlichen Art dieses seltsamen Völkchens haben. Das tut ihnen
keinen Abbruch und mindert in keiner Weise den Wert des schönen und ver¬
gnüglich zu lesenden Vnches. Vergnüglich, weil auch das Schwere und das
Tragische immer beglänzt sind von einem Sonnenstrahl, der durch eine volle
Flasche roten Veltliners füllt. Am Schlüsse freilich wird es ein bißchen kraus:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/582>, abgerufen am 13.11.2024.