Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches Und Unmaßgebliches sie sich der Lehrer und der Unterbeamten nicht mehr angenommen, sondern alle Die Sozialdemokraten wissen aber aus allem Leder Riemen zu schneiden lind Sind die "Grenzboten" ernst zu nehmen? Diese sonderbare Frage Wenn nun das Leipziger Tageblatt erklärt, in dem besondern Falle "einmal Maßgebliches Und Unmaßgebliches sie sich der Lehrer und der Unterbeamten nicht mehr angenommen, sondern alle Die Sozialdemokraten wissen aber aus allem Leder Riemen zu schneiden lind Sind die „Grenzboten" ernst zu nehmen? Diese sonderbare Frage Wenn nun das Leipziger Tageblatt erklärt, in dem besondern Falle „einmal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294107"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches Und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2228" prev="#ID_2227"> sie sich der Lehrer und der Unterbeamten nicht mehr angenommen, sondern alle<lb/> Verbesserungsanträge der Linken überlassen haben. Sie haben sich dadurch namentlich<lb/> den Lehrerstand recht unnötig entfremdet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2229"> Die Sozialdemokraten wissen aber aus allem Leder Riemen zu schneiden lind<lb/> rufen ihren Genossen zu: Seht, die Zustände sind so schlecht, daß sogar die bürger¬<lb/> lichen Parteien es nicht länger mit ansehen können! Daß die Resolution Groeber<lb/> auf absehbare Zeit eine praktische Folge haben werde, haben die Antragsteller<lb/> wohl selber nicht erwartet, es ist das nach der Stimmung der leitenden Kreise<lb/> vollständig ausgeschlossen. Das Bedenkliche solcher Anträge besteht aber darin, daß<lb/> während ihnen nicht selten nur ein ut aiiouiÄ toeisse vicloarur zugrunde liegt, im<lb/> Volke und in der Armee selbst die Anschauung verbreitet wird, daß ohne das<lb/> Eingreifen des Reichstags den Soldaten das schwerste Unrecht geschehe. Wir<lb/> haben uns aus demselben Grunde ehedem mißbilligend gegen die Urlaubs- und<lb/> die Reisegeldresolutionen, gegen die Einmischung in die Beurlaubungsverhältnisse<lb/> der Postbeamten usw. ausgesprochen. Der Reichstag, will er ehrlich die Geschäfte<lb/> des Landes und nicht die augenblicklichen Interessen der Parteien fördern, sollte<lb/> die Finger von diesen Dingen lassen und sozialdemokratische Initiativen eher ab¬<lb/> weisen als unterstützen; er betritt damit ein gefährliches Gebiet. Das Vertrauen<lb/> des Soldaten zu seinem Offizier ist die erste Bedingung jedes militärischen Er¬<lb/> folges im Kriege, es muß also im Frieden auf jede Weise gepflegt werden und<lb/> verträgt keine parlamentarische Einmischung. Viel eher könnte man die Frage<lb/> aufwerfen, ob unser Militärstrafgesetz gewissen Theorien zuliebe nicht in der<lb/> „Modernisierung" viel zu weit geht, ohne aber dabei die Sache, worauf es an¬<lb/> kommt, wirklich und wirksam zu treffen. Wir demokratisieren viel zu viel, im<lb/> großen wie im kleinen, und wundern uns hinterher, daß die stark abgetragnen<lb/><note type="byline"/> Pfeiler das Haus nicht mehr stützen wollen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Sind die „Grenzboten" ernst zu nehmen?</head> <p xml:id="ID_2230"> Diese sonderbare Frage<lb/> wirft das Leipziger Tageblatt Ur. 256 in einer Erwiderung auf eine scharfe Ab¬<lb/> fertigung seiner Haltung gegenüber dem Reichskanzler auf und beantwortet sie, was<lb/> wir doch unsern eignen Lesern nicht vorenthalten wollen, mit nein. Und warum?<lb/> Weil in den „unmaßgeblichen Grenzboten" „politische Kinder ihr Spiel treiben —><lb/> schon seit langer Zeit." Wir verzichten auf eine Antikritik, aber das wollen wir<lb/> wenigstens verraten, daß nach dem Urteil recht ernst zu nehmender Männer hier<lb/> in Leipzig, die zu den Grenzboten gar keine Beziehungen haben, der Ton, worin<lb/> das Leipziger Tageblatt seit einiger Zeit schreibt, namentlich der Ton der in<lb/> der Tat oft recht „unmaßgeblichen" und oft auch recht „unziemlichen" Leitartikel,<lb/> inimer unerträglicher wird, zumal nichts dahinter steckt als die geschäftliche Speku¬<lb/> lation, ein Konkurrenzblatt an Sensation zu übertrumpfen. Wenn die jungen Herren<lb/> dabei unseru Artikel im letzten Novemberheft über „das rote Gespenst" eine Blamage<lb/> nennen, so entspricht das durchaus dem Grade ihrer Intelligenz. Die Nachwahlen,<lb/> die seitdem vorgenommen worden sind, haben erwiesen, daß wir völlig im Recht<lb/> waren, als wir warnten, vor dem In- und Auslande „Feuer" zu schreien, solange<lb/> die vereinten Kräfte der bürgerlichen Parteien noch völlig ausreichen, das Feuer<lb/> zu löschen und des roten Gespenstes Herr zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2231" next="#ID_2232"> Wenn nun das Leipziger Tageblatt erklärt, in dem besondern Falle „einmal<lb/> so tun zu wollen, als ob die Grenzboten ernsthaft zu nehmen wären," so geschieht<lb/> das nur „gewisser Manen wegen," d. h. zu deutsch in Erinnerung an Gustav<lb/> Freytag, der sie im Dezember 1870 im Stiche ließ, und an die achtziger Jahre,<lb/> wo sie oft genug das freiwillige Organ des Fürsten Bismarck gewesen sind.<lb/> Soll diese Erinnerung etwa eine Mahnung für uns sein, reuig in uns zu gehn<lb/> und — ja was denn? Der nationale Liberalismus, den Gustav Freytag vertrat, ist,<lb/> weil er die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat, leider so herabgekommen, daß</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0488]
Maßgebliches Und Unmaßgebliches
sie sich der Lehrer und der Unterbeamten nicht mehr angenommen, sondern alle
Verbesserungsanträge der Linken überlassen haben. Sie haben sich dadurch namentlich
den Lehrerstand recht unnötig entfremdet.
Die Sozialdemokraten wissen aber aus allem Leder Riemen zu schneiden lind
rufen ihren Genossen zu: Seht, die Zustände sind so schlecht, daß sogar die bürger¬
lichen Parteien es nicht länger mit ansehen können! Daß die Resolution Groeber
auf absehbare Zeit eine praktische Folge haben werde, haben die Antragsteller
wohl selber nicht erwartet, es ist das nach der Stimmung der leitenden Kreise
vollständig ausgeschlossen. Das Bedenkliche solcher Anträge besteht aber darin, daß
während ihnen nicht selten nur ein ut aiiouiÄ toeisse vicloarur zugrunde liegt, im
Volke und in der Armee selbst die Anschauung verbreitet wird, daß ohne das
Eingreifen des Reichstags den Soldaten das schwerste Unrecht geschehe. Wir
haben uns aus demselben Grunde ehedem mißbilligend gegen die Urlaubs- und
die Reisegeldresolutionen, gegen die Einmischung in die Beurlaubungsverhältnisse
der Postbeamten usw. ausgesprochen. Der Reichstag, will er ehrlich die Geschäfte
des Landes und nicht die augenblicklichen Interessen der Parteien fördern, sollte
die Finger von diesen Dingen lassen und sozialdemokratische Initiativen eher ab¬
weisen als unterstützen; er betritt damit ein gefährliches Gebiet. Das Vertrauen
des Soldaten zu seinem Offizier ist die erste Bedingung jedes militärischen Er¬
folges im Kriege, es muß also im Frieden auf jede Weise gepflegt werden und
verträgt keine parlamentarische Einmischung. Viel eher könnte man die Frage
aufwerfen, ob unser Militärstrafgesetz gewissen Theorien zuliebe nicht in der
„Modernisierung" viel zu weit geht, ohne aber dabei die Sache, worauf es an¬
kommt, wirklich und wirksam zu treffen. Wir demokratisieren viel zu viel, im
großen wie im kleinen, und wundern uns hinterher, daß die stark abgetragnen
Pfeiler das Haus nicht mehr stützen wollen.
Sind die „Grenzboten" ernst zu nehmen? Diese sonderbare Frage
wirft das Leipziger Tageblatt Ur. 256 in einer Erwiderung auf eine scharfe Ab¬
fertigung seiner Haltung gegenüber dem Reichskanzler auf und beantwortet sie, was
wir doch unsern eignen Lesern nicht vorenthalten wollen, mit nein. Und warum?
Weil in den „unmaßgeblichen Grenzboten" „politische Kinder ihr Spiel treiben —>
schon seit langer Zeit." Wir verzichten auf eine Antikritik, aber das wollen wir
wenigstens verraten, daß nach dem Urteil recht ernst zu nehmender Männer hier
in Leipzig, die zu den Grenzboten gar keine Beziehungen haben, der Ton, worin
das Leipziger Tageblatt seit einiger Zeit schreibt, namentlich der Ton der in
der Tat oft recht „unmaßgeblichen" und oft auch recht „unziemlichen" Leitartikel,
inimer unerträglicher wird, zumal nichts dahinter steckt als die geschäftliche Speku¬
lation, ein Konkurrenzblatt an Sensation zu übertrumpfen. Wenn die jungen Herren
dabei unseru Artikel im letzten Novemberheft über „das rote Gespenst" eine Blamage
nennen, so entspricht das durchaus dem Grade ihrer Intelligenz. Die Nachwahlen,
die seitdem vorgenommen worden sind, haben erwiesen, daß wir völlig im Recht
waren, als wir warnten, vor dem In- und Auslande „Feuer" zu schreien, solange
die vereinten Kräfte der bürgerlichen Parteien noch völlig ausreichen, das Feuer
zu löschen und des roten Gespenstes Herr zu werden.
Wenn nun das Leipziger Tageblatt erklärt, in dem besondern Falle „einmal
so tun zu wollen, als ob die Grenzboten ernsthaft zu nehmen wären," so geschieht
das nur „gewisser Manen wegen," d. h. zu deutsch in Erinnerung an Gustav
Freytag, der sie im Dezember 1870 im Stiche ließ, und an die achtziger Jahre,
wo sie oft genug das freiwillige Organ des Fürsten Bismarck gewesen sind.
Soll diese Erinnerung etwa eine Mahnung für uns sein, reuig in uns zu gehn
und — ja was denn? Der nationale Liberalismus, den Gustav Freytag vertrat, ist,
weil er die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat, leider so herabgekommen, daß
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