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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von lVeinfelden

abreisen will, wußte auch Graf Eulenburg nicht; "wie es nie einer weiß," sagte er.
Er wollte gehört haben, daß der Fürst noch eine vertrauliche Besprechung des
Staatsministeriums abhalten wolle; ob ich deswegen nicht eiumnl bei Tiedemmm
anfragen wollte. Ich lehnte ab, da ich keinen Auftrag habe, und es dem Fürsten
möglicherweise unangenehm sein könne. Dann schrieb ich an Gras Stolberg, ob
nicht schon um Mittwoch, spätestens um Donnerstag eine Sitzung des Staats-
ministeriums sein müsse.

Eingegangen ist ein Votum des Fürsten Bismarck an die preußische Staats-
regierung wegen schärferer Ausführung des Sozialistengesetzes, besonders über deu
sogenannten modifizierten Belagerungszustand für Berlin. Wird einige Unruhe
"'"chen- <Fo,^...,g f^g.)




T>er Mönch von lVeinfelden
Zulins R. Haarhaus Novelle von (Fortsetzung)

l oktor Heurieus hatte das gastliche Burghaus längst wieder verlassen.
Aber er war deshalb noch nicht ans dem Gedächtnis der Weinfelder
ausgelöscht. Im Gegenteil: er und sein schwarzer Begleiter nahmen
in der Phantasie der Bauern immer abenteuerlichere Gestalten an,
'und die Mär von ihrem geheimnisvollen Treiben drang über den
! Bereich des Dorfes hinaus und wurde um den langen Winterabenden
in deu Spinnstuben von Schalkenmehren mit demselben behaglichen Gruseln weiter¬
erzählt wie in denen von Dann und Pützboru. Herr Gyllis glaubte zu bemerken,
daß die Scheu, mit der die Hofesleute ihm selbst, "dem Mönche," begegnet waren,
seit Agrippas Aufenthalt unter seinem Dache noch zugenommen hatte, ja er sah
sich des öftern in die Lage versetzt, offenbare Uubotinnßigkeit bestrafen zu müssen.

Eines Sonntagmorgens, als ein ihm vom Grafen von Ncnenahr gesandter
Prädikaut den Gottesdienst halten sollte, fand man das einsam hoch über dem
Dorfe liegende Kirchlein von unbekannter Hand verschlossen. Der Schlüssel war
abgezogen und versteckt worden, und alle Bemühungen, ihn herbeizuschaffen, blieben
erfolglos. Noldes im Winkel, der Dorfschneider, der neben seinem Berufe das
Amt des Küsters versah, schwor hoch und teuer, der Schlüssel müsse in der letzten
Nacht von dem Wandbrett in seiner Kammer, wo er ihn seit Jahr und Tag auf¬
zubewahren pflege, gestohlen worden sein. So blieb Herrn Gyllis nichts andres
übrig, als im Dorfe verkünden zu lassen, der fremde Geistliche werde eine Stunde
vor Mittag im Burghanse seine Predigt halten, wer sie anhören wolle, sei dazu
eingeladen. Was er vorausgesehen hatte, geschah: keiner der Bauern stellte sich
ein. Da rief er den alten Niklas herbei, hieß ihn sich auf einem Schemel zur
Seite seines eignen Sessels niederlassen und bat den Prädikanten, in Gottes Namen
u>it seinem Sermon zu beginnen.

Der junge Geistliche stand neben dem Tisch, auf dem vor einem elfenbeinernen
Bilde des Gekreuzigte" auf silbernem Leuchter eine Kerze brannte. Er mochte bis
Zur Mitte seiner Predigt gekommen sein, da sauste ein Stein, ein paar Scheiben
des Fensters zertrümmernd, in das Gemach und traf den Leuchter, daß er umfiel
"ut vom Tische rollte. Der Prädikaut erbleichte und starrte mit verstörter Miene
!?uf das Fenster. Herr Gyllis aber erhob sich, ergriff die noch brennende Kerze,
stellte sie wieder nu ihren Platz und sagte mit vollkommner Ruhe: Ihr sehet, Herr


Der Mönch von lVeinfelden

abreisen will, wußte auch Graf Eulenburg nicht; „wie es nie einer weiß," sagte er.
Er wollte gehört haben, daß der Fürst noch eine vertrauliche Besprechung des
Staatsministeriums abhalten wolle; ob ich deswegen nicht eiumnl bei Tiedemmm
anfragen wollte. Ich lehnte ab, da ich keinen Auftrag habe, und es dem Fürsten
möglicherweise unangenehm sein könne. Dann schrieb ich an Gras Stolberg, ob
nicht schon um Mittwoch, spätestens um Donnerstag eine Sitzung des Staats-
ministeriums sein müsse.

Eingegangen ist ein Votum des Fürsten Bismarck an die preußische Staats-
regierung wegen schärferer Ausführung des Sozialistengesetzes, besonders über deu
sogenannten modifizierten Belagerungszustand für Berlin. Wird einige Unruhe
"'"chen- <Fo,^...,g f^g.)




T>er Mönch von lVeinfelden
Zulins R. Haarhaus Novelle von (Fortsetzung)

l oktor Heurieus hatte das gastliche Burghaus längst wieder verlassen.
Aber er war deshalb noch nicht ans dem Gedächtnis der Weinfelder
ausgelöscht. Im Gegenteil: er und sein schwarzer Begleiter nahmen
in der Phantasie der Bauern immer abenteuerlichere Gestalten an,
'und die Mär von ihrem geheimnisvollen Treiben drang über den
! Bereich des Dorfes hinaus und wurde um den langen Winterabenden
in deu Spinnstuben von Schalkenmehren mit demselben behaglichen Gruseln weiter¬
erzählt wie in denen von Dann und Pützboru. Herr Gyllis glaubte zu bemerken,
daß die Scheu, mit der die Hofesleute ihm selbst, „dem Mönche," begegnet waren,
seit Agrippas Aufenthalt unter seinem Dache noch zugenommen hatte, ja er sah
sich des öftern in die Lage versetzt, offenbare Uubotinnßigkeit bestrafen zu müssen.

Eines Sonntagmorgens, als ein ihm vom Grafen von Ncnenahr gesandter
Prädikaut den Gottesdienst halten sollte, fand man das einsam hoch über dem
Dorfe liegende Kirchlein von unbekannter Hand verschlossen. Der Schlüssel war
abgezogen und versteckt worden, und alle Bemühungen, ihn herbeizuschaffen, blieben
erfolglos. Noldes im Winkel, der Dorfschneider, der neben seinem Berufe das
Amt des Küsters versah, schwor hoch und teuer, der Schlüssel müsse in der letzten
Nacht von dem Wandbrett in seiner Kammer, wo er ihn seit Jahr und Tag auf¬
zubewahren pflege, gestohlen worden sein. So blieb Herrn Gyllis nichts andres
übrig, als im Dorfe verkünden zu lassen, der fremde Geistliche werde eine Stunde
vor Mittag im Burghanse seine Predigt halten, wer sie anhören wolle, sei dazu
eingeladen. Was er vorausgesehen hatte, geschah: keiner der Bauern stellte sich
ein. Da rief er den alten Niklas herbei, hieß ihn sich auf einem Schemel zur
Seite seines eignen Sessels niederlassen und bat den Prädikanten, in Gottes Namen
u>it seinem Sermon zu beginnen.

Der junge Geistliche stand neben dem Tisch, auf dem vor einem elfenbeinernen
Bilde des Gekreuzigte» auf silbernem Leuchter eine Kerze brannte. Er mochte bis
Zur Mitte seiner Predigt gekommen sein, da sauste ein Stein, ein paar Scheiben
des Fensters zertrümmernd, in das Gemach und traf den Leuchter, daß er umfiel
»ut vom Tische rollte. Der Prädikaut erbleichte und starrte mit verstörter Miene
!?uf das Fenster. Herr Gyllis aber erhob sich, ergriff die noch brennende Kerze,
stellte sie wieder nu ihren Platz und sagte mit vollkommner Ruhe: Ihr sehet, Herr


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[0297] Der Mönch von lVeinfelden abreisen will, wußte auch Graf Eulenburg nicht; „wie es nie einer weiß," sagte er. Er wollte gehört haben, daß der Fürst noch eine vertrauliche Besprechung des Staatsministeriums abhalten wolle; ob ich deswegen nicht eiumnl bei Tiedemmm anfragen wollte. Ich lehnte ab, da ich keinen Auftrag habe, und es dem Fürsten möglicherweise unangenehm sein könne. Dann schrieb ich an Gras Stolberg, ob nicht schon um Mittwoch, spätestens um Donnerstag eine Sitzung des Staats- ministeriums sein müsse. Eingegangen ist ein Votum des Fürsten Bismarck an die preußische Staats- regierung wegen schärferer Ausführung des Sozialistengesetzes, besonders über deu sogenannten modifizierten Belagerungszustand für Berlin. Wird einige Unruhe "'"chen- <Fo,^...,g f^g.) T>er Mönch von lVeinfelden Zulins R. Haarhaus Novelle von (Fortsetzung) l oktor Heurieus hatte das gastliche Burghaus längst wieder verlassen. Aber er war deshalb noch nicht ans dem Gedächtnis der Weinfelder ausgelöscht. Im Gegenteil: er und sein schwarzer Begleiter nahmen in der Phantasie der Bauern immer abenteuerlichere Gestalten an, 'und die Mär von ihrem geheimnisvollen Treiben drang über den ! Bereich des Dorfes hinaus und wurde um den langen Winterabenden in deu Spinnstuben von Schalkenmehren mit demselben behaglichen Gruseln weiter¬ erzählt wie in denen von Dann und Pützboru. Herr Gyllis glaubte zu bemerken, daß die Scheu, mit der die Hofesleute ihm selbst, „dem Mönche," begegnet waren, seit Agrippas Aufenthalt unter seinem Dache noch zugenommen hatte, ja er sah sich des öftern in die Lage versetzt, offenbare Uubotinnßigkeit bestrafen zu müssen. Eines Sonntagmorgens, als ein ihm vom Grafen von Ncnenahr gesandter Prädikaut den Gottesdienst halten sollte, fand man das einsam hoch über dem Dorfe liegende Kirchlein von unbekannter Hand verschlossen. Der Schlüssel war abgezogen und versteckt worden, und alle Bemühungen, ihn herbeizuschaffen, blieben erfolglos. Noldes im Winkel, der Dorfschneider, der neben seinem Berufe das Amt des Küsters versah, schwor hoch und teuer, der Schlüssel müsse in der letzten Nacht von dem Wandbrett in seiner Kammer, wo er ihn seit Jahr und Tag auf¬ zubewahren pflege, gestohlen worden sein. So blieb Herrn Gyllis nichts andres übrig, als im Dorfe verkünden zu lassen, der fremde Geistliche werde eine Stunde vor Mittag im Burghanse seine Predigt halten, wer sie anhören wolle, sei dazu eingeladen. Was er vorausgesehen hatte, geschah: keiner der Bauern stellte sich ein. Da rief er den alten Niklas herbei, hieß ihn sich auf einem Schemel zur Seite seines eignen Sessels niederlassen und bat den Prädikanten, in Gottes Namen u>it seinem Sermon zu beginnen. Der junge Geistliche stand neben dem Tisch, auf dem vor einem elfenbeinernen Bilde des Gekreuzigte» auf silbernem Leuchter eine Kerze brannte. Er mochte bis Zur Mitte seiner Predigt gekommen sein, da sauste ein Stein, ein paar Scheiben des Fensters zertrümmernd, in das Gemach und traf den Leuchter, daß er umfiel »ut vom Tische rollte. Der Prädikaut erbleichte und starrte mit verstörter Miene !?uf das Fenster. Herr Gyllis aber erhob sich, ergriff die noch brennende Kerze, stellte sie wieder nu ihren Platz und sagte mit vollkommner Ruhe: Ihr sehet, Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/297>, abgerufen am 13.11.2024.