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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Rleist und Moliere

aber wurde er durch einen silbernen Pokal geehrt, den er sofort mit Kap Kou-
stantia füllte und also einweihte:

Am folgenden Tage verehrte dieselbe Körperschaft den Studenten für
ihre bereitwillige Teilnahme an der Beschützung der Stadt auf dem Markte
unter Trompeten- und Pankenschcill eine kostbare Fahne.


Theodor vistel


Kleist und Moliere

er die beiden Werke einander gegenüberstellt, in denen Kleist
und Moliere die Amphitryonsage behandelt haben, wer sie ein¬
gehend prüft und sich in ihre Vorstellungswelt einzuleben ver¬
sucht, dem treten nicht nur die beiden Dichter in der Eigentüm¬
lichkeit ihres Schaffens entgegen, auch die Zeiten leben wieder
auf, denen sie angehört haben, die Völker sprechen zu ihm, deren Vertreter sie
sind. In der Literaturgeschichte bietet sich vielleicht kein zweiter Fall, wo die
Möglichkeit eines so eingehenden und so ergebnisreicher Vergleichs geboten
wäre; denn eine solche Grundverschiedenheit mit so viel äußerer Gleichheit ge¬
paart findet sich wohl nicht wieder bei zwei Werken weit auseinanderliegender
Zeiten. Die Herausgeber der kritischen Ausgabe von Molieres Werken haben
sich sogar durch die große Übereinstimmung verleiten lassen, Kleists Amphitryon
unter den Übersetzungen von Molieres Lustspiel aufzuführen! Einigermaßen
entschuldigen läßt sich dies Versehen dadurch, daß Kleist tatsächlich etwa bis
zur Mitte des Stücks fast wie ein Übersetzer genau Moliere in jeder Wendung
des Dialogs folgt, allerdings nicht ohne auch hier schon tiefgehende Änderungen
vorzubereiten. Kleists Übersetzungskunst, die Stilunterschiede zwischen den beiden
Dichtern sind schon häufig eingehend untersucht worden; weniger Aufmerksamkeit
hat man dagegen dem großen Unterschiede zugewandt, der in der innern, künst¬
lerischen Form liegt. Und doch sind die beiden Werke innerlich so ungleichartig,
daß es völlig unmöglich ist, sie nach ihrem künstlerischen Wert gegeneinander
abzuwägen. Urteile, die das eine auf Kosten des andern loben oder tadeln,
müssen durchaus als verfehlt betrachtet werden. Immer wieder aber begegnet
man solchen Urteilen, weil die scheinbare, ganz äußerliche Ähnlichkeit dazu
verführt.

Bis zur Mitte des zweiten Akts schließt sich Kleist Moliere an; dann folgt
eine ihm allein gehörende Szene, die vierte, in der Alkmene ihrer Dienerin
Charis die Entdeckung mitteilt, ein falscher Namenszug finde sich auf dem


Rleist und Moliere

aber wurde er durch einen silbernen Pokal geehrt, den er sofort mit Kap Kou-
stantia füllte und also einweihte:

Am folgenden Tage verehrte dieselbe Körperschaft den Studenten für
ihre bereitwillige Teilnahme an der Beschützung der Stadt auf dem Markte
unter Trompeten- und Pankenschcill eine kostbare Fahne.


Theodor vistel


Kleist und Moliere

er die beiden Werke einander gegenüberstellt, in denen Kleist
und Moliere die Amphitryonsage behandelt haben, wer sie ein¬
gehend prüft und sich in ihre Vorstellungswelt einzuleben ver¬
sucht, dem treten nicht nur die beiden Dichter in der Eigentüm¬
lichkeit ihres Schaffens entgegen, auch die Zeiten leben wieder
auf, denen sie angehört haben, die Völker sprechen zu ihm, deren Vertreter sie
sind. In der Literaturgeschichte bietet sich vielleicht kein zweiter Fall, wo die
Möglichkeit eines so eingehenden und so ergebnisreicher Vergleichs geboten
wäre; denn eine solche Grundverschiedenheit mit so viel äußerer Gleichheit ge¬
paart findet sich wohl nicht wieder bei zwei Werken weit auseinanderliegender
Zeiten. Die Herausgeber der kritischen Ausgabe von Molieres Werken haben
sich sogar durch die große Übereinstimmung verleiten lassen, Kleists Amphitryon
unter den Übersetzungen von Molieres Lustspiel aufzuführen! Einigermaßen
entschuldigen läßt sich dies Versehen dadurch, daß Kleist tatsächlich etwa bis
zur Mitte des Stücks fast wie ein Übersetzer genau Moliere in jeder Wendung
des Dialogs folgt, allerdings nicht ohne auch hier schon tiefgehende Änderungen
vorzubereiten. Kleists Übersetzungskunst, die Stilunterschiede zwischen den beiden
Dichtern sind schon häufig eingehend untersucht worden; weniger Aufmerksamkeit
hat man dagegen dem großen Unterschiede zugewandt, der in der innern, künst¬
lerischen Form liegt. Und doch sind die beiden Werke innerlich so ungleichartig,
daß es völlig unmöglich ist, sie nach ihrem künstlerischen Wert gegeneinander
abzuwägen. Urteile, die das eine auf Kosten des andern loben oder tadeln,
müssen durchaus als verfehlt betrachtet werden. Immer wieder aber begegnet
man solchen Urteilen, weil die scheinbare, ganz äußerliche Ähnlichkeit dazu
verführt.

Bis zur Mitte des zweiten Akts schließt sich Kleist Moliere an; dann folgt
eine ihm allein gehörende Szene, die vierte, in der Alkmene ihrer Dienerin
Charis die Entdeckung mitteilt, ein falscher Namenszug finde sich auf dem


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[0277] Rleist und Moliere aber wurde er durch einen silbernen Pokal geehrt, den er sofort mit Kap Kou- stantia füllte und also einweihte: Am folgenden Tage verehrte dieselbe Körperschaft den Studenten für ihre bereitwillige Teilnahme an der Beschützung der Stadt auf dem Markte unter Trompeten- und Pankenschcill eine kostbare Fahne. Theodor vistel Kleist und Moliere er die beiden Werke einander gegenüberstellt, in denen Kleist und Moliere die Amphitryonsage behandelt haben, wer sie ein¬ gehend prüft und sich in ihre Vorstellungswelt einzuleben ver¬ sucht, dem treten nicht nur die beiden Dichter in der Eigentüm¬ lichkeit ihres Schaffens entgegen, auch die Zeiten leben wieder auf, denen sie angehört haben, die Völker sprechen zu ihm, deren Vertreter sie sind. In der Literaturgeschichte bietet sich vielleicht kein zweiter Fall, wo die Möglichkeit eines so eingehenden und so ergebnisreicher Vergleichs geboten wäre; denn eine solche Grundverschiedenheit mit so viel äußerer Gleichheit ge¬ paart findet sich wohl nicht wieder bei zwei Werken weit auseinanderliegender Zeiten. Die Herausgeber der kritischen Ausgabe von Molieres Werken haben sich sogar durch die große Übereinstimmung verleiten lassen, Kleists Amphitryon unter den Übersetzungen von Molieres Lustspiel aufzuführen! Einigermaßen entschuldigen läßt sich dies Versehen dadurch, daß Kleist tatsächlich etwa bis zur Mitte des Stücks fast wie ein Übersetzer genau Moliere in jeder Wendung des Dialogs folgt, allerdings nicht ohne auch hier schon tiefgehende Änderungen vorzubereiten. Kleists Übersetzungskunst, die Stilunterschiede zwischen den beiden Dichtern sind schon häufig eingehend untersucht worden; weniger Aufmerksamkeit hat man dagegen dem großen Unterschiede zugewandt, der in der innern, künst¬ lerischen Form liegt. Und doch sind die beiden Werke innerlich so ungleichartig, daß es völlig unmöglich ist, sie nach ihrem künstlerischen Wert gegeneinander abzuwägen. Urteile, die das eine auf Kosten des andern loben oder tadeln, müssen durchaus als verfehlt betrachtet werden. Immer wieder aber begegnet man solchen Urteilen, weil die scheinbare, ganz äußerliche Ähnlichkeit dazu verführt. Bis zur Mitte des zweiten Akts schließt sich Kleist Moliere an; dann folgt eine ihm allein gehörende Szene, die vierte, in der Alkmene ihrer Dienerin Charis die Entdeckung mitteilt, ein falscher Namenszug finde sich auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/277>, abgerufen am 13.11.2024.