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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das Fettnäpfchen.

Der folgende Versuch, die Redensart "ins Fettnäpfchen
treten" sachlich zu erklären, gehört nicht zum "Maßgeblichen," sondern zum "Un¬
maßgeblichen," denn ich kann meine Ansicht wohl begründen, zunächst aber weder
beweisen noch belegen.

Daß jemand in ein Fettnäpfchen tritt, kommt heutzutage wohl nicht leicht vor.
Welcher Hansfrau wird es einfallen, ein solches auf den Fußboden zu stellen?

Aber die Redensart stammt aus einer Zeit, wo der kulinarische Brauch ein
andrer war als jetzt; aus der Zeit, wo der Braten nicht in der Pfanne lag,
sondern sich vor offnem Feuer am Spieße drehte. Da durfte man nicht ver¬
säumen, ein Näpfchen unterzustellen, worin das abträufelnde Fett aufgefangen
wurde. Und hatte einer das Mißgeschick, von ungefähr in dieses Fettnäpfchen zu
treten und den köstlichen fetten Fleischsaft zu verschütten, so mochte er des Zorns
der Köchin, die nun nicht wußte, wo sie ihre Sauce hernehmen sollte, gewiß sein.

So wird es erklärlich, wie die Redensart vom Fettnäpfchen entstehn und die
große Zahl der sprichwörtlichen Gleichnisse vermehren konnte, die von der Küche
und vom Kochen genommen sind.

Der Artikel "Aus dem Volksmunde" im 9. Hefte dieses Jahrgangs, der mich
zu diesen Ausführungen veranlaßt hat, bringt unter seinen zahlreichen neuen Be¬
legen anch über das Fettnäpfchen ein Zitat aus Langbeins Herbstrosen. Langbein
mag dieses Näpfchen aus eigner Anschauung gekannt haben; zu seiner Zeit war
das Braten am Spieße noch im Gang. Sein Zeitgenosse Voß, der in Küchen¬
angelegenheiten ebensogut Bescheid weiß wie in der griechischen Metrik und
Mythologie, läßt die verständige Gattin des würdigen Pfarrers von Grünau ihre
Braten am Spieß bräunen. Heute ist in den meisten deutschen Pfarrhäusern der
Bratspieß außer Gebrauch, und es muß schon eine große Küche sein, deren Herd
mit einer besondern Bratspießvorrichtung ausgerüstet ist. Freilich sieht diese Vor¬
richtung auch nicht so einfach aus wie der "Bratbock," der in frühern Zeiten den
Spieß trug, das Fettnäpfchen hat seinen Platz nicht mehr auf den Küchenfliesen,
und es ist keine Gefahr, daß ein Ungeschickter hineintreten könne. Aber fehlen darf
es nicht, denn "es ist ein magerer Braten, von dem nichts tropft" (Grimmsches
B, wülcker Wörterbuch).




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das Fettnäpfchen.

Der folgende Versuch, die Redensart „ins Fettnäpfchen
treten" sachlich zu erklären, gehört nicht zum „Maßgeblichen," sondern zum „Un¬
maßgeblichen," denn ich kann meine Ansicht wohl begründen, zunächst aber weder
beweisen noch belegen.

Daß jemand in ein Fettnäpfchen tritt, kommt heutzutage wohl nicht leicht vor.
Welcher Hansfrau wird es einfallen, ein solches auf den Fußboden zu stellen?

Aber die Redensart stammt aus einer Zeit, wo der kulinarische Brauch ein
andrer war als jetzt; aus der Zeit, wo der Braten nicht in der Pfanne lag,
sondern sich vor offnem Feuer am Spieße drehte. Da durfte man nicht ver¬
säumen, ein Näpfchen unterzustellen, worin das abträufelnde Fett aufgefangen
wurde. Und hatte einer das Mißgeschick, von ungefähr in dieses Fettnäpfchen zu
treten und den köstlichen fetten Fleischsaft zu verschütten, so mochte er des Zorns
der Köchin, die nun nicht wußte, wo sie ihre Sauce hernehmen sollte, gewiß sein.

So wird es erklärlich, wie die Redensart vom Fettnäpfchen entstehn und die
große Zahl der sprichwörtlichen Gleichnisse vermehren konnte, die von der Küche
und vom Kochen genommen sind.

Der Artikel „Aus dem Volksmunde" im 9. Hefte dieses Jahrgangs, der mich
zu diesen Ausführungen veranlaßt hat, bringt unter seinen zahlreichen neuen Be¬
legen anch über das Fettnäpfchen ein Zitat aus Langbeins Herbstrosen. Langbein
mag dieses Näpfchen aus eigner Anschauung gekannt haben; zu seiner Zeit war
das Braten am Spieße noch im Gang. Sein Zeitgenosse Voß, der in Küchen¬
angelegenheiten ebensogut Bescheid weiß wie in der griechischen Metrik und
Mythologie, läßt die verständige Gattin des würdigen Pfarrers von Grünau ihre
Braten am Spieß bräunen. Heute ist in den meisten deutschen Pfarrhäusern der
Bratspieß außer Gebrauch, und es muß schon eine große Küche sein, deren Herd
mit einer besondern Bratspießvorrichtung ausgerüstet ist. Freilich sieht diese Vor¬
richtung auch nicht so einfach aus wie der „Bratbock," der in frühern Zeiten den
Spieß trug, das Fettnäpfchen hat seinen Platz nicht mehr auf den Küchenfliesen,
und es ist keine Gefahr, daß ein Ungeschickter hineintreten könne. Aber fehlen darf
es nicht, denn „es ist ein magerer Braten, von dem nichts tropft" (Grimmsches
B, wülcker Wörterbuch).




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig


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[0190] Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Fettnäpfchen. Der folgende Versuch, die Redensart „ins Fettnäpfchen treten" sachlich zu erklären, gehört nicht zum „Maßgeblichen," sondern zum „Un¬ maßgeblichen," denn ich kann meine Ansicht wohl begründen, zunächst aber weder beweisen noch belegen. Daß jemand in ein Fettnäpfchen tritt, kommt heutzutage wohl nicht leicht vor. Welcher Hansfrau wird es einfallen, ein solches auf den Fußboden zu stellen? Aber die Redensart stammt aus einer Zeit, wo der kulinarische Brauch ein andrer war als jetzt; aus der Zeit, wo der Braten nicht in der Pfanne lag, sondern sich vor offnem Feuer am Spieße drehte. Da durfte man nicht ver¬ säumen, ein Näpfchen unterzustellen, worin das abträufelnde Fett aufgefangen wurde. Und hatte einer das Mißgeschick, von ungefähr in dieses Fettnäpfchen zu treten und den köstlichen fetten Fleischsaft zu verschütten, so mochte er des Zorns der Köchin, die nun nicht wußte, wo sie ihre Sauce hernehmen sollte, gewiß sein. So wird es erklärlich, wie die Redensart vom Fettnäpfchen entstehn und die große Zahl der sprichwörtlichen Gleichnisse vermehren konnte, die von der Küche und vom Kochen genommen sind. Der Artikel „Aus dem Volksmunde" im 9. Hefte dieses Jahrgangs, der mich zu diesen Ausführungen veranlaßt hat, bringt unter seinen zahlreichen neuen Be¬ legen anch über das Fettnäpfchen ein Zitat aus Langbeins Herbstrosen. Langbein mag dieses Näpfchen aus eigner Anschauung gekannt haben; zu seiner Zeit war das Braten am Spieße noch im Gang. Sein Zeitgenosse Voß, der in Küchen¬ angelegenheiten ebensogut Bescheid weiß wie in der griechischen Metrik und Mythologie, läßt die verständige Gattin des würdigen Pfarrers von Grünau ihre Braten am Spieß bräunen. Heute ist in den meisten deutschen Pfarrhäusern der Bratspieß außer Gebrauch, und es muß schon eine große Küche sein, deren Herd mit einer besondern Bratspießvorrichtung ausgerüstet ist. Freilich sieht diese Vor¬ richtung auch nicht so einfach aus wie der „Bratbock," der in frühern Zeiten den Spieß trug, das Fettnäpfchen hat seinen Platz nicht mehr auf den Küchenfliesen, und es ist keine Gefahr, daß ein Ungeschickter hineintreten könne. Aber fehlen darf es nicht, denn „es ist ein magerer Braten, von dem nichts tropft" (Grimmsches B, wülcker Wörterbuch). Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/190>, abgerufen am 13.11.2024.