Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Westfälische Geschichten den Vater ein, wie er dasitzt im Sessel, ein alter Mann, und ist doch kaum 6 Das Gig stand angespannt vor der Tür. Der Dorneckbauer ging in der Also du kommst noch? Da muß ich mich ja wohl bei dir bedanken, daß du Der Hinrich rührte sich nicht von der Stelle. Vater, sagte er, und seine Der Alte hob die Hand zum Schlage. Jung, schrie er, bist du verrückt? Habt Recht, Vater, daß Ihr wild seid, aber ich sag Euch, und wenn Ihr Der Alte stieß einen Fluch aus. Schwer fiel seine Hand nieder ans den Der Alte hielt ein. Ist das dein letztes Wort, Junge? -- Ich hab die Der Alte richtete sich straff in die Höhe: Wenn du die Fina nicht willst Der Alte ging, die Tür fiel ins Schloß. Das Gig rollte davon. Gott sei Dank, sagte der Hinrich. Wenn der Alte sie nimmt, dann bin ich Westfälische Geschichten den Vater ein, wie er dasitzt im Sessel, ein alter Mann, und ist doch kaum 6 Das Gig stand angespannt vor der Tür. Der Dorneckbauer ging in der Also du kommst noch? Da muß ich mich ja wohl bei dir bedanken, daß du Der Hinrich rührte sich nicht von der Stelle. Vater, sagte er, und seine Der Alte hob die Hand zum Schlage. Jung, schrie er, bist du verrückt? Habt Recht, Vater, daß Ihr wild seid, aber ich sag Euch, und wenn Ihr Der Alte stieß einen Fluch aus. Schwer fiel seine Hand nieder ans den Der Alte hielt ein. Ist das dein letztes Wort, Junge? — Ich hab die Der Alte richtete sich straff in die Höhe: Wenn du die Fina nicht willst Der Alte ging, die Tür fiel ins Schloß. Das Gig rollte davon. Gott sei Dank, sagte der Hinrich. Wenn der Alte sie nimmt, dann bin ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293742"/> <fw type="header" place="top"> Westfälische Geschichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_441" prev="#ID_440"> den Vater ein, wie er dasitzt im Sessel, ein alter Mann, und ist doch kaum<lb/> in den Fünfzigern. Trübselig ist er und weiß nicht mehr, was gestern und was<lb/> heute ist, und lacht nicht mehr und stöhnt oft und weint in der Nacht. Die aus<lb/> der Krone sind schuld dran. Gott mag sie strafen dafür.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 6</head><lb/> <p xml:id="ID_442"> Das Gig stand angespannt vor der Tür. Der Dorneckbauer ging in der<lb/> großen Küche auf und ab. Sein Gesicht war rot vor Zorn. Halb vier, und der<lb/> Hinrich noch nicht da! — Den Versprich abbestellen lassen, das hieße so viel<lb/> als die Sache aufgeben, die Heirat, an der dem Alten so viel gelegen war,<lb/> die er ins Werk gerichtet hatte. Ohne den Bräutigam hinausfahren auf den<lb/> Dirkingshof? — Er war dazu entschlossen und besann sich, was er vorbringen<lb/> könne, das Ausbleiben des Hinrich zu entschuldigen. Da trat der in die Küche<lb/> hinein. Blaß und heruntergekommen sah er aus. Kein Leuchten in den sonst so<lb/> hellen Augen, kein Lachen um den frischen Mund. Einem andern wie dem Dorment><lb/> deinem, der für so etwas kein Auge hatte, wäre wohl das veränderte Aussehen<lb/> und Benehmen des Sohnes schon eher aufgefallen, der den Appetit und die Farbe<lb/> verloren hatte, seitdem die schwarze Rieka im Dorfe war.</p><lb/> <p xml:id="ID_443"> Also du kommst noch? Da muß ich mich ja wohl bei dir bedanken, daß du<lb/> deinen Vater nicht lächerlich machst. Um vier Uhr ist der Verspruch auf dem<lb/> Dirkingshof. Bist dn betrunken, Junge, daß du so etwas vergessen kannst? Und<lb/> Wie siehst du aus? Marsch in die Kammer, deinen Sonntagsrock ziehst du an.<lb/> Kannst dich selbst bei der Fina entschuldigen, daß du sie hast warten lassen an so<lb/> einem Tage.</p><lb/> <p xml:id="ID_444"> Der Hinrich rührte sich nicht von der Stelle. Vater, sagte er, und seine<lb/> Stimme klang heiser, ich bitt Euch, fahrt allein auf den Dirkingshof und sagt der<lb/> Fina, daß aus dem Verspruch nichts werden kann!</p><lb/> <p xml:id="ID_445"> Der Alte hob die Hand zum Schlage. Jung, schrie er, bist du verrückt?<lb/> Hast du mirs denn nicht selbst gesagt, daß ichs in Ordnung bringen soll? Und<lb/> jetzt? — er stieß den großen Sohn vor sich her —, jetzt wird was draus, ich<lb/> schwörs dir zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_446"> Habt Recht, Vater, daß Ihr wild seid, aber ich sag Euch, und wenn Ihr<lb/> mich totschlagen wollt, ich nehm die Fina nicht, ich nehm dem Hera seine Rieka!</p><lb/> <p xml:id="ID_447"> Der Alte stieß einen Fluch aus. Schwer fiel seine Hand nieder ans den<lb/> Rücken des Sohnes. Also ists wahr, was sie dir nachsagen: der Schenkdirne läufst<lb/> du uach, der Tochter des verlumpten Studenten? Jung, Jung, eh ich das<lb/> zngeb! ... Die Schläge hagelten auf den Rücken, die Schultern, den Kopf des<lb/> Sohnes. Riesengroß, riesenstark standen die beiden einander gegenüber, der Vater<lb/> und der Sohn. Der Junge rührte sich nicht, geduldig litt er die Schläge. Sein<lb/> Gesicht war totenblaß. Die Zähne hatte er fest übereinander gebissen. Schlagt<lb/> zu, Vater, Ihr habt ein Recht, aber ändern tuts nichts! die Finn nehme<lb/> ich nicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_448"> Der Alte hielt ein. Ist das dein letztes Wort, Junge? — Ich hab die<lb/> Rieka lieb, und wenn sie mich nicht Will . . . hernach, hernach — dem Hinrich<lb/> versagte die Stimme. In seinen Augen standen helle Tropfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Der Alte richtete sich straff in die Höhe: Wenn du die Fina nicht willst<lb/> — Verspruch wird heute gehalten auf dem Dirkingshof, dazu hab ich mein Wort<lb/> gegeben —, dann frei ich selber um sie. Ihr erster Sohn erbt beide Höfe.<lb/> Kannst als Knecht bleiben ans dem Dorncckshof dein Leben lang, wenns dich lüftet.</p><lb/> <p xml:id="ID_450"> Der Alte ging, die Tür fiel ins Schloß. Das Gig rollte davon.</p><lb/> <p xml:id="ID_451"> Gott sei Dank, sagte der Hinrich. Wenn der Alte sie nimmt, dann bin ich<lb/> los von ihr, und er hat mir nichts vorzuwerfen. Wenn mir die Rieka nur gut<lb/> ist, dann ist alles einerlei. Ich kann schon durch die Welt kommen, auch ohne den<lb/> Dorneckshof!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Westfälische Geschichten
den Vater ein, wie er dasitzt im Sessel, ein alter Mann, und ist doch kaum
in den Fünfzigern. Trübselig ist er und weiß nicht mehr, was gestern und was
heute ist, und lacht nicht mehr und stöhnt oft und weint in der Nacht. Die aus
der Krone sind schuld dran. Gott mag sie strafen dafür.
6
Das Gig stand angespannt vor der Tür. Der Dorneckbauer ging in der
großen Küche auf und ab. Sein Gesicht war rot vor Zorn. Halb vier, und der
Hinrich noch nicht da! — Den Versprich abbestellen lassen, das hieße so viel
als die Sache aufgeben, die Heirat, an der dem Alten so viel gelegen war,
die er ins Werk gerichtet hatte. Ohne den Bräutigam hinausfahren auf den
Dirkingshof? — Er war dazu entschlossen und besann sich, was er vorbringen
könne, das Ausbleiben des Hinrich zu entschuldigen. Da trat der in die Küche
hinein. Blaß und heruntergekommen sah er aus. Kein Leuchten in den sonst so
hellen Augen, kein Lachen um den frischen Mund. Einem andern wie dem Dorment>
deinem, der für so etwas kein Auge hatte, wäre wohl das veränderte Aussehen
und Benehmen des Sohnes schon eher aufgefallen, der den Appetit und die Farbe
verloren hatte, seitdem die schwarze Rieka im Dorfe war.
Also du kommst noch? Da muß ich mich ja wohl bei dir bedanken, daß du
deinen Vater nicht lächerlich machst. Um vier Uhr ist der Verspruch auf dem
Dirkingshof. Bist dn betrunken, Junge, daß du so etwas vergessen kannst? Und
Wie siehst du aus? Marsch in die Kammer, deinen Sonntagsrock ziehst du an.
Kannst dich selbst bei der Fina entschuldigen, daß du sie hast warten lassen an so
einem Tage.
Der Hinrich rührte sich nicht von der Stelle. Vater, sagte er, und seine
Stimme klang heiser, ich bitt Euch, fahrt allein auf den Dirkingshof und sagt der
Fina, daß aus dem Verspruch nichts werden kann!
Der Alte hob die Hand zum Schlage. Jung, schrie er, bist du verrückt?
Hast du mirs denn nicht selbst gesagt, daß ichs in Ordnung bringen soll? Und
jetzt? — er stieß den großen Sohn vor sich her —, jetzt wird was draus, ich
schwörs dir zu.
Habt Recht, Vater, daß Ihr wild seid, aber ich sag Euch, und wenn Ihr
mich totschlagen wollt, ich nehm die Fina nicht, ich nehm dem Hera seine Rieka!
Der Alte stieß einen Fluch aus. Schwer fiel seine Hand nieder ans den
Rücken des Sohnes. Also ists wahr, was sie dir nachsagen: der Schenkdirne läufst
du uach, der Tochter des verlumpten Studenten? Jung, Jung, eh ich das
zngeb! ... Die Schläge hagelten auf den Rücken, die Schultern, den Kopf des
Sohnes. Riesengroß, riesenstark standen die beiden einander gegenüber, der Vater
und der Sohn. Der Junge rührte sich nicht, geduldig litt er die Schläge. Sein
Gesicht war totenblaß. Die Zähne hatte er fest übereinander gebissen. Schlagt
zu, Vater, Ihr habt ein Recht, aber ändern tuts nichts! die Finn nehme
ich nicht!
Der Alte hielt ein. Ist das dein letztes Wort, Junge? — Ich hab die
Rieka lieb, und wenn sie mich nicht Will . . . hernach, hernach — dem Hinrich
versagte die Stimme. In seinen Augen standen helle Tropfen.
Der Alte richtete sich straff in die Höhe: Wenn du die Fina nicht willst
— Verspruch wird heute gehalten auf dem Dirkingshof, dazu hab ich mein Wort
gegeben —, dann frei ich selber um sie. Ihr erster Sohn erbt beide Höfe.
Kannst als Knecht bleiben ans dem Dorncckshof dein Leben lang, wenns dich lüftet.
Der Alte ging, die Tür fiel ins Schloß. Das Gig rollte davon.
Gott sei Dank, sagte der Hinrich. Wenn der Alte sie nimmt, dann bin ich
los von ihr, und er hat mir nichts vorzuwerfen. Wenn mir die Rieka nur gut
ist, dann ist alles einerlei. Ich kann schon durch die Welt kommen, auch ohne den
Dorneckshof!
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |