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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die religiösen Schülervereiue

was mit einem wenigstens stillschweigenden Verzicht auf die Wiederherstellung
des Kirchenstaats verbunden wäre, so würde sich sofort eine starke klerikale
Partei, ein italienisches Zentrum bilden, die, wenn sie, was nicht zu bezweifeln
ist, gut geleitet würde, die bisher herrschenden Parteien leicht aus dem Sattel
heben und den italienischen Staat beherrschen könnte. Darin könnte dann das
Papsttum eine Entschädigung für deu Verlust seiner weltlichen Macht finden.
Ob eine solche Wendung wünschenswert wäre, mag hier dahingestellt bleiben;
so lange aber die Kurie jedem treuen Italiener die Eigenschaft eines treuen
Katholiken abspricht, so lange wird die kirchen-, ja religionsfeindliche Richtung
unter den gebildeten Italienern nicht erlöschen, sondern zunehmen, und das zu
fördern ist doch wohl nicht die Aufgabe der römischen Kirche. Der universale
Gedanke, den sie vertritt, ist gewiß großartig und berechtigt, aber die Mensch¬
heit zerfällt nun einmal in selbständige Völker, und deren besondre Bedürfnisse
kann auch die römische Kirche nicht ignorieren.




Die religiösen Hchülervereine

ührend einiger Tage hat im preußischen Abgeordnetenhaus" wieder
^ eiuma l der Geist des Kulturkampfes geweht. Die Wiederzulassung
katholisch-religiöser Schülervereine, die der Aufhebung des Para¬
graphen 2 des Jesuitengesetzes unmittelbar voranging, wurde als
ein neuer Sieg des Zentrums beklagt, und die Gefahr der Aus¬
lieferung der Schule an Ultramontanismus und Jesuitismus in düstern Farbe"
geschildert. In Wirklichkeit ist der angenommne Zusammenhang der beiden
Maßregeln gar nicht vorhanden. Die preußische Unterrichtsverwaltung hat das
Verbot der katholischen Schülervereine auf Grund ihrer eignen wohlbegründeten
Erwägungen aufgehoben, und zwar war für sie vor allem die Rücksicht
entscheidend, daß evangelische Schülervereine mit religiösem Charakter an den
höhern Lehranstalten nicht nur geduldet, sondern begünstigt und gefördert werden.
Auch diese zu verbieten, wie Herr von Eynern vorschlug, sieht sie keinen Anlaß;
die Parität verlangt aber auch eine gleiche Behandlung der katholischen
Vereine, selbstverständlich mit den nötigen Vorkehrungen gegen Mißbräuche.
Die preußische Unterrichtsverwciltung hält es nicht für ratsam und wohlgetan,
Eltern in den Weg zu treten, die es als ihre Gewissenspflicht betrachten,
durch besondre kirchliche Hilfsmittel und Organisationen den religiösen Sinn
ihrer Kinder zu heben und sie vor sittlichen Gefahren zu schützen. Sie will
also Vereine mit solchen Zwecken zulassen, vorausgesetzt, daß dadurch die Ord¬
nung der Schule und die Erfüllung ihrer Aufgabe nicht gestört wird. Auch
die sogenannten Marianischen Kongregationen sind von der Genehmigung nicht
ausgeschlossen, jedoch ist für sie die besondre Bedingung gestellt, daß sie unter


Die religiösen Schülervereiue

was mit einem wenigstens stillschweigenden Verzicht auf die Wiederherstellung
des Kirchenstaats verbunden wäre, so würde sich sofort eine starke klerikale
Partei, ein italienisches Zentrum bilden, die, wenn sie, was nicht zu bezweifeln
ist, gut geleitet würde, die bisher herrschenden Parteien leicht aus dem Sattel
heben und den italienischen Staat beherrschen könnte. Darin könnte dann das
Papsttum eine Entschädigung für deu Verlust seiner weltlichen Macht finden.
Ob eine solche Wendung wünschenswert wäre, mag hier dahingestellt bleiben;
so lange aber die Kurie jedem treuen Italiener die Eigenschaft eines treuen
Katholiken abspricht, so lange wird die kirchen-, ja religionsfeindliche Richtung
unter den gebildeten Italienern nicht erlöschen, sondern zunehmen, und das zu
fördern ist doch wohl nicht die Aufgabe der römischen Kirche. Der universale
Gedanke, den sie vertritt, ist gewiß großartig und berechtigt, aber die Mensch¬
heit zerfällt nun einmal in selbständige Völker, und deren besondre Bedürfnisse
kann auch die römische Kirche nicht ignorieren.




Die religiösen Hchülervereine

ührend einiger Tage hat im preußischen Abgeordnetenhaus« wieder
^ eiuma l der Geist des Kulturkampfes geweht. Die Wiederzulassung
katholisch-religiöser Schülervereine, die der Aufhebung des Para¬
graphen 2 des Jesuitengesetzes unmittelbar voranging, wurde als
ein neuer Sieg des Zentrums beklagt, und die Gefahr der Aus¬
lieferung der Schule an Ultramontanismus und Jesuitismus in düstern Farbe»
geschildert. In Wirklichkeit ist der angenommne Zusammenhang der beiden
Maßregeln gar nicht vorhanden. Die preußische Unterrichtsverwaltung hat das
Verbot der katholischen Schülervereine auf Grund ihrer eignen wohlbegründeten
Erwägungen aufgehoben, und zwar war für sie vor allem die Rücksicht
entscheidend, daß evangelische Schülervereine mit religiösem Charakter an den
höhern Lehranstalten nicht nur geduldet, sondern begünstigt und gefördert werden.
Auch diese zu verbieten, wie Herr von Eynern vorschlug, sieht sie keinen Anlaß;
die Parität verlangt aber auch eine gleiche Behandlung der katholischen
Vereine, selbstverständlich mit den nötigen Vorkehrungen gegen Mißbräuche.
Die preußische Unterrichtsverwciltung hält es nicht für ratsam und wohlgetan,
Eltern in den Weg zu treten, die es als ihre Gewissenspflicht betrachten,
durch besondre kirchliche Hilfsmittel und Organisationen den religiösen Sinn
ihrer Kinder zu heben und sie vor sittlichen Gefahren zu schützen. Sie will
also Vereine mit solchen Zwecken zulassen, vorausgesetzt, daß dadurch die Ord¬
nung der Schule und die Erfüllung ihrer Aufgabe nicht gestört wird. Auch
die sogenannten Marianischen Kongregationen sind von der Genehmigung nicht
ausgeschlossen, jedoch ist für sie die besondre Bedingung gestellt, daß sie unter


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[0764] Die religiösen Schülervereiue was mit einem wenigstens stillschweigenden Verzicht auf die Wiederherstellung des Kirchenstaats verbunden wäre, so würde sich sofort eine starke klerikale Partei, ein italienisches Zentrum bilden, die, wenn sie, was nicht zu bezweifeln ist, gut geleitet würde, die bisher herrschenden Parteien leicht aus dem Sattel heben und den italienischen Staat beherrschen könnte. Darin könnte dann das Papsttum eine Entschädigung für deu Verlust seiner weltlichen Macht finden. Ob eine solche Wendung wünschenswert wäre, mag hier dahingestellt bleiben; so lange aber die Kurie jedem treuen Italiener die Eigenschaft eines treuen Katholiken abspricht, so lange wird die kirchen-, ja religionsfeindliche Richtung unter den gebildeten Italienern nicht erlöschen, sondern zunehmen, und das zu fördern ist doch wohl nicht die Aufgabe der römischen Kirche. Der universale Gedanke, den sie vertritt, ist gewiß großartig und berechtigt, aber die Mensch¬ heit zerfällt nun einmal in selbständige Völker, und deren besondre Bedürfnisse kann auch die römische Kirche nicht ignorieren. Die religiösen Hchülervereine ührend einiger Tage hat im preußischen Abgeordnetenhaus« wieder ^ eiuma l der Geist des Kulturkampfes geweht. Die Wiederzulassung katholisch-religiöser Schülervereine, die der Aufhebung des Para¬ graphen 2 des Jesuitengesetzes unmittelbar voranging, wurde als ein neuer Sieg des Zentrums beklagt, und die Gefahr der Aus¬ lieferung der Schule an Ultramontanismus und Jesuitismus in düstern Farbe» geschildert. In Wirklichkeit ist der angenommne Zusammenhang der beiden Maßregeln gar nicht vorhanden. Die preußische Unterrichtsverwaltung hat das Verbot der katholischen Schülervereine auf Grund ihrer eignen wohlbegründeten Erwägungen aufgehoben, und zwar war für sie vor allem die Rücksicht entscheidend, daß evangelische Schülervereine mit religiösem Charakter an den höhern Lehranstalten nicht nur geduldet, sondern begünstigt und gefördert werden. Auch diese zu verbieten, wie Herr von Eynern vorschlug, sieht sie keinen Anlaß; die Parität verlangt aber auch eine gleiche Behandlung der katholischen Vereine, selbstverständlich mit den nötigen Vorkehrungen gegen Mißbräuche. Die preußische Unterrichtsverwciltung hält es nicht für ratsam und wohlgetan, Eltern in den Weg zu treten, die es als ihre Gewissenspflicht betrachten, durch besondre kirchliche Hilfsmittel und Organisationen den religiösen Sinn ihrer Kinder zu heben und sie vor sittlichen Gefahren zu schützen. Sie will also Vereine mit solchen Zwecken zulassen, vorausgesetzt, daß dadurch die Ord¬ nung der Schule und die Erfüllung ihrer Aufgabe nicht gestört wird. Auch die sogenannten Marianischen Kongregationen sind von der Genehmigung nicht ausgeschlossen, jedoch ist für sie die besondre Bedingung gestellt, daß sie unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/764>, abgerufen am 22.07.2024.