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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Rlabunkerstraße

neue Übersetzung des Faust schenken. Von seiner Formenkunst dürfte man wohl
vortreffliches erwarten. Sei es nun Rostand oder ein andrer, dem es beschieden
sein wird, die reiche Mühe so mancher Vorgänger zu krönen -- sollte er wie
die meisten seiner Landsleute mit der deutschen Sprache auf gespanntem Fuße
stehn, so wird ihm Fräulein Paquelins Arbeit eine sehr wertvolle Hilfe sein.

Dieses künftigen also wollen wir warten. Zunächst aber freuen wir uns,
daß die Franzosen nun aufs neue in so trefflicher Weise auf den Faust hin¬
gewiesen werden. Zur Zeit arbeitet Fräulein Paquelin, wie wir schon sagten,
auch an der Übertragung des zweiten Teils, dem die frühern vier Übersetzer
gar zu viel schuldig geblieben sind. Man darf gespannt darauf sein, wie sie
diese weit schwierigere Hälfte ihrer Aufgabe bewältigen wird. Zumal nach
dem Erscheinen des zweiten Teils, der in Frankreich so gut wie völlig unbe¬
kannt ist, werden nach dem Lesen der Übersetzung oder gar, dadurch angeregt,
nach dem Studium des Urtextes hoffentlich viele Franzosen mit Staunen er¬
kennen, daß im Faust doch ganz etwas andres beschlossen liegt, als das
jämmerliche Libretto ahnen läßt, zu dem Gounot eine so schöne Musik ge¬
sch Anton Kipp-nberg rieben hat. ______




Die Klabunkerstraße
R Charlotte Niese oman von
(Fortsetzung)
10

in der Klabunkerstraße zu Hamburg sah es im September nicht viel
anders aus als im Juli. Es war allerdings nicht so staubig und
heiß; wenn Tiras jetzt mit dem Milchkarren kam, dann brauchte er
die Zunge nicht mehr ganz so lang aus dem Halse hängen zu lassen.
Die wenigen Sträucher in Madame Heinemanns Garten hatten schon
I längst ihre Blätter verloren, und was hier und dort sonst noch seine
Zweige ausbreitete, war schwarz von Kohlenstaub. -- In diesem Jahre schien die
Herbstsonne mit großer Beständigkeit, und um die Mittagszeit saßen Jetta und
Irmgard noch oft in Madame Heinemanns Garten, sprachen mit dem Milchmann,
oder mit Tante Rosalie, oder halfen im Laden.

Jetta is grasig klug! sagte Madame Heinemann zu ihrer Schwester, und diese
nickte ernsthaft.

Es erscheint mir auch. Wir wollen hoffen, daß es so bleibe.

Mamsell Drümpelmeier sprach immer etwas gewählt, selbst jetzt, wo sie, wie
sie es ausdrückte, in Anfechtung lebte. Seit dreißig Jahren hatte sie tagtäglich,
mit Ausnahme der Feiertage, genäht, geflickt und auch gestickt. Nun wollten die
Augen nicht mehr.

Pausieren! sagte der freundliche Augenarzt, der sie genau untersuchte. Sie
müssen aufs Land, liebes Fräulein, und Blumen pflücken.

Rosalie Drümpelmeier seufzte.

Herr Doktor, wenn es erlaubt ist zu sagen, so habe ich keine Bekanntschaft
auf dem Lande. Und dann auch -- ihr feines, faltiges Gesicht rötete sich.

Der Doktor verstand sie.

Sie können den Verdienst nicht entbehren?

So ist es, Herr Doktor.


Die Rlabunkerstraße

neue Übersetzung des Faust schenken. Von seiner Formenkunst dürfte man wohl
vortreffliches erwarten. Sei es nun Rostand oder ein andrer, dem es beschieden
sein wird, die reiche Mühe so mancher Vorgänger zu krönen — sollte er wie
die meisten seiner Landsleute mit der deutschen Sprache auf gespanntem Fuße
stehn, so wird ihm Fräulein Paquelins Arbeit eine sehr wertvolle Hilfe sein.

Dieses künftigen also wollen wir warten. Zunächst aber freuen wir uns,
daß die Franzosen nun aufs neue in so trefflicher Weise auf den Faust hin¬
gewiesen werden. Zur Zeit arbeitet Fräulein Paquelin, wie wir schon sagten,
auch an der Übertragung des zweiten Teils, dem die frühern vier Übersetzer
gar zu viel schuldig geblieben sind. Man darf gespannt darauf sein, wie sie
diese weit schwierigere Hälfte ihrer Aufgabe bewältigen wird. Zumal nach
dem Erscheinen des zweiten Teils, der in Frankreich so gut wie völlig unbe¬
kannt ist, werden nach dem Lesen der Übersetzung oder gar, dadurch angeregt,
nach dem Studium des Urtextes hoffentlich viele Franzosen mit Staunen er¬
kennen, daß im Faust doch ganz etwas andres beschlossen liegt, als das
jämmerliche Libretto ahnen läßt, zu dem Gounot eine so schöne Musik ge¬
sch Anton Kipp-nberg rieben hat. ______




Die Klabunkerstraße
R Charlotte Niese oman von
(Fortsetzung)
10

in der Klabunkerstraße zu Hamburg sah es im September nicht viel
anders aus als im Juli. Es war allerdings nicht so staubig und
heiß; wenn Tiras jetzt mit dem Milchkarren kam, dann brauchte er
die Zunge nicht mehr ganz so lang aus dem Halse hängen zu lassen.
Die wenigen Sträucher in Madame Heinemanns Garten hatten schon
I längst ihre Blätter verloren, und was hier und dort sonst noch seine
Zweige ausbreitete, war schwarz von Kohlenstaub. — In diesem Jahre schien die
Herbstsonne mit großer Beständigkeit, und um die Mittagszeit saßen Jetta und
Irmgard noch oft in Madame Heinemanns Garten, sprachen mit dem Milchmann,
oder mit Tante Rosalie, oder halfen im Laden.

Jetta is grasig klug! sagte Madame Heinemann zu ihrer Schwester, und diese
nickte ernsthaft.

Es erscheint mir auch. Wir wollen hoffen, daß es so bleibe.

Mamsell Drümpelmeier sprach immer etwas gewählt, selbst jetzt, wo sie, wie
sie es ausdrückte, in Anfechtung lebte. Seit dreißig Jahren hatte sie tagtäglich,
mit Ausnahme der Feiertage, genäht, geflickt und auch gestickt. Nun wollten die
Augen nicht mehr.

Pausieren! sagte der freundliche Augenarzt, der sie genau untersuchte. Sie
müssen aufs Land, liebes Fräulein, und Blumen pflücken.

Rosalie Drümpelmeier seufzte.

Herr Doktor, wenn es erlaubt ist zu sagen, so habe ich keine Bekanntschaft
auf dem Lande. Und dann auch — ihr feines, faltiges Gesicht rötete sich.

Der Doktor verstand sie.

Sie können den Verdienst nicht entbehren?

So ist es, Herr Doktor.


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[0367] Die Rlabunkerstraße neue Übersetzung des Faust schenken. Von seiner Formenkunst dürfte man wohl vortreffliches erwarten. Sei es nun Rostand oder ein andrer, dem es beschieden sein wird, die reiche Mühe so mancher Vorgänger zu krönen — sollte er wie die meisten seiner Landsleute mit der deutschen Sprache auf gespanntem Fuße stehn, so wird ihm Fräulein Paquelins Arbeit eine sehr wertvolle Hilfe sein. Dieses künftigen also wollen wir warten. Zunächst aber freuen wir uns, daß die Franzosen nun aufs neue in so trefflicher Weise auf den Faust hin¬ gewiesen werden. Zur Zeit arbeitet Fräulein Paquelin, wie wir schon sagten, auch an der Übertragung des zweiten Teils, dem die frühern vier Übersetzer gar zu viel schuldig geblieben sind. Man darf gespannt darauf sein, wie sie diese weit schwierigere Hälfte ihrer Aufgabe bewältigen wird. Zumal nach dem Erscheinen des zweiten Teils, der in Frankreich so gut wie völlig unbe¬ kannt ist, werden nach dem Lesen der Übersetzung oder gar, dadurch angeregt, nach dem Studium des Urtextes hoffentlich viele Franzosen mit Staunen er¬ kennen, daß im Faust doch ganz etwas andres beschlossen liegt, als das jämmerliche Libretto ahnen läßt, zu dem Gounot eine so schöne Musik ge¬ sch Anton Kipp-nberg rieben hat. ______ Die Klabunkerstraße R Charlotte Niese oman von (Fortsetzung) 10 in der Klabunkerstraße zu Hamburg sah es im September nicht viel anders aus als im Juli. Es war allerdings nicht so staubig und heiß; wenn Tiras jetzt mit dem Milchkarren kam, dann brauchte er die Zunge nicht mehr ganz so lang aus dem Halse hängen zu lassen. Die wenigen Sträucher in Madame Heinemanns Garten hatten schon I längst ihre Blätter verloren, und was hier und dort sonst noch seine Zweige ausbreitete, war schwarz von Kohlenstaub. — In diesem Jahre schien die Herbstsonne mit großer Beständigkeit, und um die Mittagszeit saßen Jetta und Irmgard noch oft in Madame Heinemanns Garten, sprachen mit dem Milchmann, oder mit Tante Rosalie, oder halfen im Laden. Jetta is grasig klug! sagte Madame Heinemann zu ihrer Schwester, und diese nickte ernsthaft. Es erscheint mir auch. Wir wollen hoffen, daß es so bleibe. Mamsell Drümpelmeier sprach immer etwas gewählt, selbst jetzt, wo sie, wie sie es ausdrückte, in Anfechtung lebte. Seit dreißig Jahren hatte sie tagtäglich, mit Ausnahme der Feiertage, genäht, geflickt und auch gestickt. Nun wollten die Augen nicht mehr. Pausieren! sagte der freundliche Augenarzt, der sie genau untersuchte. Sie müssen aufs Land, liebes Fräulein, und Blumen pflücken. Rosalie Drümpelmeier seufzte. Herr Doktor, wenn es erlaubt ist zu sagen, so habe ich keine Bekanntschaft auf dem Lande. Und dann auch — ihr feines, faltiges Gesicht rötete sich. Der Doktor verstand sie. Sie können den Verdienst nicht entbehren? So ist es, Herr Doktor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/367>, abgerufen am 29.06.2024.