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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Uronprinz Friedrich und Lrnst Lurtius

Die Entwicklung, die Preußen in der Gerichtssprachenfrage durchgemacht
hat, liegt als ein gewaltiges Stück deutscher Kulturgeschichte offen vor Aller
Augen. Es wäre sicherlich nicht unbillig, von den Polen zu erwarten, daß
sie die Tatsache anerkennten und sich den daraus ergebenden Folgerungen
wenigstens nicht völlig verschlössen. Nichts ist -- ein Beweis übrigens für die
polnische Unfähigkeit zu kühl sachlicher, mit der Zeit rechnender, also Dauer
versprechender Politik -- weniger der Fall. Sie behaupten vielmehr ausnahmlos
mit einer gegenüber den Tatsachen kaum glaublichen Verstocktheit, daß von
Preußen allen ihren Angehörigen nationale Sonderrechte, insbesondre der
unwandelbare Gebrauch ihrer Sprache verfassungsrechtlich zugesichert sei.
Mit einer Dreistigkeit, die geradezu als Verhöhnung des preußischen Staats
erscheint, hat der Polcnführer Niegolewski das in seinem berüchtigten Antrage
im Abgeordnetenhause vom 22. April 1861, drei Monate nach dein Regierungs¬
antritte Wilhelms, zum Ausdrucke gebracht. Den Antrag sollten Deutsche nie
vergessen. Deshalb sei er, daß er wieder weithin in Erinnerung gebracht werde,
hier wörtlich wiedergeben. Er lautet: "Die preußische Regierung aufzufordern,
dahin zu wirken, daß endlich wenigstens die nach dem positiven Völkerrecht
garantierte territoriale Einheit des ehemaligen polnischen Gesamtstaats von 1772,
sowie die den Polen innerhalb dieser Grenzen zustehenden nationalen und
politischen Rechte zur vollen Geltung und Ausführung gelangen, und daß
dieselben nicht fernerweit willkürlich von den verpflichteten Mächten ver¬
kümmert werden."

Das positive Völkerrecht, auf das sich die Polen zur Stütze ihrer natio¬
nalen Plane beziehen, sollen die Abmachungen des Wiener Kongresses sein.
Mögen sie einmal näher besehen werden.

(Fortsetzung folgt)




Kronprinz Friedrich und (Lrnst (Lurtius
<Z)tlo Aaeminel Von (Schluß)

. ber seine Tätigkeit neigte sich dem natürlichen Ende zu. General
von Unruh, der schon seit Jahren kränkelte, gab am 31. Januar
1849 seine Stellung auf und wurde durch den Obersten Fischer,
einen den aristokratisch-konservativen Kreisen fernstehenden Offizier
I von liberalen Anschauungen, ersetzt, der es als seine Aufgabe be¬
trachtete, seinen Zögling "auf seine eignen Beine zu stellen." Indem dann
der Prinz am 3. Mai 1849 in die Leibkompagnie des ersten Garderegimcnts
zu Fuß eintrat und am 3. Juni als Premierleutnant mit der Führung der
Kompagnie beauftragt wurde, schoben sich für ihn natürlich militärische
Interessen und militärische Leistungen in den Vordergrund. In klarer Er¬
kenntnis dieser notwendigen Veränderung schrieb Georg Curtius am 2V. Juli


Uronprinz Friedrich und Lrnst Lurtius

Die Entwicklung, die Preußen in der Gerichtssprachenfrage durchgemacht
hat, liegt als ein gewaltiges Stück deutscher Kulturgeschichte offen vor Aller
Augen. Es wäre sicherlich nicht unbillig, von den Polen zu erwarten, daß
sie die Tatsache anerkennten und sich den daraus ergebenden Folgerungen
wenigstens nicht völlig verschlössen. Nichts ist — ein Beweis übrigens für die
polnische Unfähigkeit zu kühl sachlicher, mit der Zeit rechnender, also Dauer
versprechender Politik — weniger der Fall. Sie behaupten vielmehr ausnahmlos
mit einer gegenüber den Tatsachen kaum glaublichen Verstocktheit, daß von
Preußen allen ihren Angehörigen nationale Sonderrechte, insbesondre der
unwandelbare Gebrauch ihrer Sprache verfassungsrechtlich zugesichert sei.
Mit einer Dreistigkeit, die geradezu als Verhöhnung des preußischen Staats
erscheint, hat der Polcnführer Niegolewski das in seinem berüchtigten Antrage
im Abgeordnetenhause vom 22. April 1861, drei Monate nach dein Regierungs¬
antritte Wilhelms, zum Ausdrucke gebracht. Den Antrag sollten Deutsche nie
vergessen. Deshalb sei er, daß er wieder weithin in Erinnerung gebracht werde,
hier wörtlich wiedergeben. Er lautet: „Die preußische Regierung aufzufordern,
dahin zu wirken, daß endlich wenigstens die nach dem positiven Völkerrecht
garantierte territoriale Einheit des ehemaligen polnischen Gesamtstaats von 1772,
sowie die den Polen innerhalb dieser Grenzen zustehenden nationalen und
politischen Rechte zur vollen Geltung und Ausführung gelangen, und daß
dieselben nicht fernerweit willkürlich von den verpflichteten Mächten ver¬
kümmert werden."

Das positive Völkerrecht, auf das sich die Polen zur Stütze ihrer natio¬
nalen Plane beziehen, sollen die Abmachungen des Wiener Kongresses sein.
Mögen sie einmal näher besehen werden.

(Fortsetzung folgt)




Kronprinz Friedrich und (Lrnst (Lurtius
<Z)tlo Aaeminel Von (Schluß)

. ber seine Tätigkeit neigte sich dem natürlichen Ende zu. General
von Unruh, der schon seit Jahren kränkelte, gab am 31. Januar
1849 seine Stellung auf und wurde durch den Obersten Fischer,
einen den aristokratisch-konservativen Kreisen fernstehenden Offizier
I von liberalen Anschauungen, ersetzt, der es als seine Aufgabe be¬
trachtete, seinen Zögling „auf seine eignen Beine zu stellen." Indem dann
der Prinz am 3. Mai 1849 in die Leibkompagnie des ersten Garderegimcnts
zu Fuß eintrat und am 3. Juni als Premierleutnant mit der Führung der
Kompagnie beauftragt wurde, schoben sich für ihn natürlich militärische
Interessen und militärische Leistungen in den Vordergrund. In klarer Er¬
kenntnis dieser notwendigen Veränderung schrieb Georg Curtius am 2V. Juli


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[0098] Uronprinz Friedrich und Lrnst Lurtius Die Entwicklung, die Preußen in der Gerichtssprachenfrage durchgemacht hat, liegt als ein gewaltiges Stück deutscher Kulturgeschichte offen vor Aller Augen. Es wäre sicherlich nicht unbillig, von den Polen zu erwarten, daß sie die Tatsache anerkennten und sich den daraus ergebenden Folgerungen wenigstens nicht völlig verschlössen. Nichts ist — ein Beweis übrigens für die polnische Unfähigkeit zu kühl sachlicher, mit der Zeit rechnender, also Dauer versprechender Politik — weniger der Fall. Sie behaupten vielmehr ausnahmlos mit einer gegenüber den Tatsachen kaum glaublichen Verstocktheit, daß von Preußen allen ihren Angehörigen nationale Sonderrechte, insbesondre der unwandelbare Gebrauch ihrer Sprache verfassungsrechtlich zugesichert sei. Mit einer Dreistigkeit, die geradezu als Verhöhnung des preußischen Staats erscheint, hat der Polcnführer Niegolewski das in seinem berüchtigten Antrage im Abgeordnetenhause vom 22. April 1861, drei Monate nach dein Regierungs¬ antritte Wilhelms, zum Ausdrucke gebracht. Den Antrag sollten Deutsche nie vergessen. Deshalb sei er, daß er wieder weithin in Erinnerung gebracht werde, hier wörtlich wiedergeben. Er lautet: „Die preußische Regierung aufzufordern, dahin zu wirken, daß endlich wenigstens die nach dem positiven Völkerrecht garantierte territoriale Einheit des ehemaligen polnischen Gesamtstaats von 1772, sowie die den Polen innerhalb dieser Grenzen zustehenden nationalen und politischen Rechte zur vollen Geltung und Ausführung gelangen, und daß dieselben nicht fernerweit willkürlich von den verpflichteten Mächten ver¬ kümmert werden." Das positive Völkerrecht, auf das sich die Polen zur Stütze ihrer natio¬ nalen Plane beziehen, sollen die Abmachungen des Wiener Kongresses sein. Mögen sie einmal näher besehen werden. (Fortsetzung folgt) Kronprinz Friedrich und (Lrnst (Lurtius <Z)tlo Aaeminel Von (Schluß) . ber seine Tätigkeit neigte sich dem natürlichen Ende zu. General von Unruh, der schon seit Jahren kränkelte, gab am 31. Januar 1849 seine Stellung auf und wurde durch den Obersten Fischer, einen den aristokratisch-konservativen Kreisen fernstehenden Offizier I von liberalen Anschauungen, ersetzt, der es als seine Aufgabe be¬ trachtete, seinen Zögling „auf seine eignen Beine zu stellen." Indem dann der Prinz am 3. Mai 1849 in die Leibkompagnie des ersten Garderegimcnts zu Fuß eintrat und am 3. Juni als Premierleutnant mit der Führung der Kompagnie beauftragt wurde, schoben sich für ihn natürlich militärische Interessen und militärische Leistungen in den Vordergrund. In klarer Er¬ kenntnis dieser notwendigen Veränderung schrieb Georg Curtius am 2V. Juli

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/98>, abgerufen am 29.06.2024.