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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Verwaltung, Behörden und Stände in Rußland

stehenden europäischen Kongreß zu vertreten. Deshalb tauchte bald der Plan
auf, dem Prinzen Eugen von Savoyen-Carignan wenigstens die Regentschaft über
Mittelitalien anzutragen, worüber die drei Diktatoren schon am 29. September
eine Konferenz abhielten, aber auch dazu war wenig Aussicht, und inzwischen
beschwor Garibaldis Ungestüm neue Gefahren herauf.

(Schluß folgt)




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(Schluß)

on der orthodoxen Geistlichkeit hat sich namentlich die Weltgeist¬
lichkeit im Laufe der Zeiten manche Veränderung ihrer Lage ge¬
fallen lassen müssen. Zuerst ergänzte sie sich durch Wahl der
Allgehörigen eines Sprengels. Als aber die Bevölkerung an
eine bestimmte Beschäftigung gebunden wurde, gestaltete auch sie
sich zu einem mehr oder weniger geschlossenen Stand um, ans dem die geist¬
lichen Würdenträger ergänzt wurden. Die Ausbildung zum Geistlichen erfolgt
auf Priesterseminarien, nicht auf Universitäten. Im Gegensatz zur römisch-
katholischen Geistlichkeit ist der orthodoxen Weltgeistlichkeit die Heirat, aber
uur einmal, erlaubt; auch verwitwet darf der Geistliche keine neue Ehe ein¬
gehn. -- Die Reformen Alexanders des Zweiten blieben auch auf die Geistlich¬
st nicht ohne Einfluß, indem ihre ständische Sonderstellung ihnen zum Opfer
Heute kann der geistliche Würdenträger dem Adel angehören; legt er
seine Würde nieder, so tritt er in den Stand zurück, dem er vorher angehört
hat. Seine Kinder werden, wenn er nicht selbst von Adel war, zum erblichen
Ehrenbürgerstand überschrieben.

Während der Staatsdienst dem an erster Stelle stehenden Adel vor¬
behalten blieb und die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses der Geistlichkeit
übertragen wurde, legte das Moskaner Großfürstentnm der übrigen Bevöl¬
kerung in Stadt und Land Abgaben und Lasten vom Gewerbe oder vom
Landbau auf. Erst gegen Ende des sechzehnten Jcchrhuuderts kam der Unter¬
schied zwischen Stadt- und Landbewohnern auf und verschärfte sich um so mehr,
le mehr sich 5^ Verhältnis des Gutsherrn zur Leibeigenschaft umbildete. Die
Zum Frondienst verpflichteten Stadtbewohner wurden unter Peter dem Großen
und Katharina der Zweiten stark bevorrechtet. Beide Herrscher strebten die
lldung blühender städtischer Gemeinwesen nach Art westeuropäischer Städte
und einer den russischen Verhältnissen fremden Selbständigkeit an. Zu diesem
Zwecke wurden die Stadtbewohner in Anlehnung an das Vorbild in Gilden
es ^""""gen (Zechen) eingereiht und nach der Stüdteordnung der Kaiserin
"wtharma (vom Jahre 1785) in die vier Klassen der angesehenen Ehrenbürger,
Kaufleute, Jnnungshandwerker und Kleinbürger geschieden. Alle vier Klassen
erhielten das Recht der Entscheidung über die Angelegenheiten der Stadt in


Verwaltung, Behörden und Stände in Rußland

stehenden europäischen Kongreß zu vertreten. Deshalb tauchte bald der Plan
auf, dem Prinzen Eugen von Savoyen-Carignan wenigstens die Regentschaft über
Mittelitalien anzutragen, worüber die drei Diktatoren schon am 29. September
eine Konferenz abhielten, aber auch dazu war wenig Aussicht, und inzwischen
beschwor Garibaldis Ungestüm neue Gefahren herauf.

(Schluß folgt)




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(Schluß)

on der orthodoxen Geistlichkeit hat sich namentlich die Weltgeist¬
lichkeit im Laufe der Zeiten manche Veränderung ihrer Lage ge¬
fallen lassen müssen. Zuerst ergänzte sie sich durch Wahl der
Allgehörigen eines Sprengels. Als aber die Bevölkerung an
eine bestimmte Beschäftigung gebunden wurde, gestaltete auch sie
sich zu einem mehr oder weniger geschlossenen Stand um, ans dem die geist¬
lichen Würdenträger ergänzt wurden. Die Ausbildung zum Geistlichen erfolgt
auf Priesterseminarien, nicht auf Universitäten. Im Gegensatz zur römisch-
katholischen Geistlichkeit ist der orthodoxen Weltgeistlichkeit die Heirat, aber
uur einmal, erlaubt; auch verwitwet darf der Geistliche keine neue Ehe ein¬
gehn. — Die Reformen Alexanders des Zweiten blieben auch auf die Geistlich¬
st nicht ohne Einfluß, indem ihre ständische Sonderstellung ihnen zum Opfer
Heute kann der geistliche Würdenträger dem Adel angehören; legt er
seine Würde nieder, so tritt er in den Stand zurück, dem er vorher angehört
hat. Seine Kinder werden, wenn er nicht selbst von Adel war, zum erblichen
Ehrenbürgerstand überschrieben.

Während der Staatsdienst dem an erster Stelle stehenden Adel vor¬
behalten blieb und die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses der Geistlichkeit
übertragen wurde, legte das Moskaner Großfürstentnm der übrigen Bevöl¬
kerung in Stadt und Land Abgaben und Lasten vom Gewerbe oder vom
Landbau auf. Erst gegen Ende des sechzehnten Jcchrhuuderts kam der Unter¬
schied zwischen Stadt- und Landbewohnern auf und verschärfte sich um so mehr,
le mehr sich 5^ Verhältnis des Gutsherrn zur Leibeigenschaft umbildete. Die
Zum Frondienst verpflichteten Stadtbewohner wurden unter Peter dem Großen
und Katharina der Zweiten stark bevorrechtet. Beide Herrscher strebten die
lldung blühender städtischer Gemeinwesen nach Art westeuropäischer Städte
und einer den russischen Verhältnissen fremden Selbständigkeit an. Zu diesem
Zwecke wurden die Stadtbewohner in Anlehnung an das Vorbild in Gilden
es ^""""gen (Zechen) eingereiht und nach der Stüdteordnung der Kaiserin
»wtharma (vom Jahre 1785) in die vier Klassen der angesehenen Ehrenbürger,
Kaufleute, Jnnungshandwerker und Kleinbürger geschieden. Alle vier Klassen
erhielten das Recht der Entscheidung über die Angelegenheiten der Stadt in


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[0567] Verwaltung, Behörden und Stände in Rußland stehenden europäischen Kongreß zu vertreten. Deshalb tauchte bald der Plan auf, dem Prinzen Eugen von Savoyen-Carignan wenigstens die Regentschaft über Mittelitalien anzutragen, worüber die drei Diktatoren schon am 29. September eine Konferenz abhielten, aber auch dazu war wenig Aussicht, und inzwischen beschwor Garibaldis Ungestüm neue Gefahren herauf. (Schluß folgt) Verwaltung, Behörden und stände in Rußland (Schluß) on der orthodoxen Geistlichkeit hat sich namentlich die Weltgeist¬ lichkeit im Laufe der Zeiten manche Veränderung ihrer Lage ge¬ fallen lassen müssen. Zuerst ergänzte sie sich durch Wahl der Allgehörigen eines Sprengels. Als aber die Bevölkerung an eine bestimmte Beschäftigung gebunden wurde, gestaltete auch sie sich zu einem mehr oder weniger geschlossenen Stand um, ans dem die geist¬ lichen Würdenträger ergänzt wurden. Die Ausbildung zum Geistlichen erfolgt auf Priesterseminarien, nicht auf Universitäten. Im Gegensatz zur römisch- katholischen Geistlichkeit ist der orthodoxen Weltgeistlichkeit die Heirat, aber uur einmal, erlaubt; auch verwitwet darf der Geistliche keine neue Ehe ein¬ gehn. — Die Reformen Alexanders des Zweiten blieben auch auf die Geistlich¬ st nicht ohne Einfluß, indem ihre ständische Sonderstellung ihnen zum Opfer Heute kann der geistliche Würdenträger dem Adel angehören; legt er seine Würde nieder, so tritt er in den Stand zurück, dem er vorher angehört hat. Seine Kinder werden, wenn er nicht selbst von Adel war, zum erblichen Ehrenbürgerstand überschrieben. Während der Staatsdienst dem an erster Stelle stehenden Adel vor¬ behalten blieb und die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses der Geistlichkeit übertragen wurde, legte das Moskaner Großfürstentnm der übrigen Bevöl¬ kerung in Stadt und Land Abgaben und Lasten vom Gewerbe oder vom Landbau auf. Erst gegen Ende des sechzehnten Jcchrhuuderts kam der Unter¬ schied zwischen Stadt- und Landbewohnern auf und verschärfte sich um so mehr, le mehr sich 5^ Verhältnis des Gutsherrn zur Leibeigenschaft umbildete. Die Zum Frondienst verpflichteten Stadtbewohner wurden unter Peter dem Großen und Katharina der Zweiten stark bevorrechtet. Beide Herrscher strebten die lldung blühender städtischer Gemeinwesen nach Art westeuropäischer Städte und einer den russischen Verhältnissen fremden Selbständigkeit an. Zu diesem Zwecke wurden die Stadtbewohner in Anlehnung an das Vorbild in Gilden es ^""""gen (Zechen) eingereiht und nach der Stüdteordnung der Kaiserin »wtharma (vom Jahre 1785) in die vier Klassen der angesehenen Ehrenbürger, Kaufleute, Jnnungshandwerker und Kleinbürger geschieden. Alle vier Klassen erhielten das Recht der Entscheidung über die Angelegenheiten der Stadt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/567>, abgerufen am 29.06.2024.