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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen
H, Sund ermann i von n Berlin

as berühmte Taciteische Wort: "Ich weiß nicht, ob die Götter in
ihrem Wohlwollen oder im Zorne den Germnnen Silber und
Gold versagt haben" hat mit dem Eintritt der deutschen Stämme
in den Geschäfts- und Kulturverkehr mit den Römern bald seine
Berechtigung verloren, und auch der Germane erfuhr die Wirkung
des Goldes, wie sie Diodorus Siculus schildert: "In der Natur des Goldes
liegt es begründet, daß seine Gewinnung hart, seine Sicherung schwierig ist,
daß es die größten Leidenschaften erweckt, und daß Glück und Kummer in seinem
Gefolge sind/'

Ob den Germanen das Gold schon vor der Einwanderung in ihre jetzigen
Grenzen bekannt gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden; dieselbe Etymologie
des westfinnischen 1<ni<!o, esthnisch Milo, macht es jedoch wahrscheinlich, mehr
noch sprechen dieselben Züge der griechischen und der deutschen Heldensage dafür.
Aber erst mit der Erkenntnis seines Wertes und seiner Macht bricht bei den
Germanen die unbezähmbare, rücksichtslose Sehnsucht nach dem glänzenden Metall
hervor. Die Heerkönige häufen auf ihren Zügen Gold auf Gold und verteilen
das leicht erworbne leichten Herzens wieder unter ihre Mannen. So finden
wir das Gold schon in den ersten Anfüugen des germanischen Heldensangcs als
die geheimnisvolle Macht, die Kampf entfesselt und Frieden stiftet. Der Besitz
des Goldes wird ein notwendiges Zubehör des rechten Helden; Glück und Kummer
sind in seinem Gefolge, und wie der Mensch jedes Ziel seiner Wünsche zur
idealen Höhe emporhebt, so wurde ihm das Gold das "edle Metall."

Auf dieser Stufe erst konnte das Gold als Schatz in die mythischen Vor-
stellungskreise übergehn und in der höhern wie in der niedern Mythologie weite
Kreise ziehn.

Dieser Umstand, der die Schatzsage zu einem verhältnismäßig späten Bestand¬
teil der Mythologie macht, darf für die Beurteilung nicht außer acht gelassen
werden. Es wäre denkbar, daß man sich früher himmlische Schätze vorgestellt
hätte; aber überall ist das Gold, wenn nicht der einzige, so doch der vorherrschende
Bestandteil des Schatzes, und die sonstigen Kostbarkeiten sind offenbar spätern Ur¬
sprungs. Mögen also die mythischen Anklänge an indische, persische, griechische und
andre Sagen auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführen, so werden doch -
die dunkeln Vorstellungen eines unbestimmten Schatzes erst mit dem Auftreten
des Goldes im Verkehr der Germanen Leben und Entwicklung erhalten haben.

Ich will hier nun nicht auf das Gold in der eigentlichen Schatz- und
Heldensage eingehn; was hierhin gehört, ist bekannt genug; weniger aufgehellt
aber ist die Bedeutung des Goldes in den niedern mythischen Vorstellungskreisen.

Die mythischen Borstellungeu gehn, wie der Berliner Volkstumsforscher




Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen
H, Sund ermann i von n Berlin

as berühmte Taciteische Wort: „Ich weiß nicht, ob die Götter in
ihrem Wohlwollen oder im Zorne den Germnnen Silber und
Gold versagt haben" hat mit dem Eintritt der deutschen Stämme
in den Geschäfts- und Kulturverkehr mit den Römern bald seine
Berechtigung verloren, und auch der Germane erfuhr die Wirkung
des Goldes, wie sie Diodorus Siculus schildert: „In der Natur des Goldes
liegt es begründet, daß seine Gewinnung hart, seine Sicherung schwierig ist,
daß es die größten Leidenschaften erweckt, und daß Glück und Kummer in seinem
Gefolge sind/'

Ob den Germanen das Gold schon vor der Einwanderung in ihre jetzigen
Grenzen bekannt gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden; dieselbe Etymologie
des westfinnischen 1<ni<!o, esthnisch Milo, macht es jedoch wahrscheinlich, mehr
noch sprechen dieselben Züge der griechischen und der deutschen Heldensage dafür.
Aber erst mit der Erkenntnis seines Wertes und seiner Macht bricht bei den
Germanen die unbezähmbare, rücksichtslose Sehnsucht nach dem glänzenden Metall
hervor. Die Heerkönige häufen auf ihren Zügen Gold auf Gold und verteilen
das leicht erworbne leichten Herzens wieder unter ihre Mannen. So finden
wir das Gold schon in den ersten Anfüugen des germanischen Heldensangcs als
die geheimnisvolle Macht, die Kampf entfesselt und Frieden stiftet. Der Besitz
des Goldes wird ein notwendiges Zubehör des rechten Helden; Glück und Kummer
sind in seinem Gefolge, und wie der Mensch jedes Ziel seiner Wünsche zur
idealen Höhe emporhebt, so wurde ihm das Gold das „edle Metall."

Auf dieser Stufe erst konnte das Gold als Schatz in die mythischen Vor-
stellungskreise übergehn und in der höhern wie in der niedern Mythologie weite
Kreise ziehn.

Dieser Umstand, der die Schatzsage zu einem verhältnismäßig späten Bestand¬
teil der Mythologie macht, darf für die Beurteilung nicht außer acht gelassen
werden. Es wäre denkbar, daß man sich früher himmlische Schätze vorgestellt
hätte; aber überall ist das Gold, wenn nicht der einzige, so doch der vorherrschende
Bestandteil des Schatzes, und die sonstigen Kostbarkeiten sind offenbar spätern Ur¬
sprungs. Mögen also die mythischen Anklänge an indische, persische, griechische und
andre Sagen auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführen, so werden doch -
die dunkeln Vorstellungen eines unbestimmten Schatzes erst mit dem Auftreten
des Goldes im Verkehr der Germanen Leben und Entwicklung erhalten haben.

Ich will hier nun nicht auf das Gold in der eigentlichen Schatz- und
Heldensage eingehn; was hierhin gehört, ist bekannt genug; weniger aufgehellt
aber ist die Bedeutung des Goldes in den niedern mythischen Vorstellungskreisen.

Die mythischen Borstellungeu gehn, wie der Berliner Volkstumsforscher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/44>, abgerufen am 29.06.2024.