Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage

gestechte macht, er verdient doch täglich eine Kleinigkeit, je nach seinen Leistungen
vielleicht zwei bis zwanzig Pfennige, und nach ein paar Tagen ist er imstande,
denen da draußen ein Lebenszeichen von sich zu geben. Nach zwei oder drei
Wochen kann er sich vielleicht sogar schon "Zusatznahrungsmittel" kaufen, deren
er zur Erhaltung seiner Kräfte dringend bedarf, denn die Gefängniskvst ist
fürchterlich schlecht und nahrungsstoffarm. Um sie zu ergänzen, können sich die
Gefangnen wöchentlich ein oder zweimal von einem Teile ihres Arbeitsver¬
dienstes gewisse Nahrungsmittel, wie Brot, Wurst, Schmalz, Speck, Heringe usw.,
zu bestimmten, keineswegs billigen Preisen von der Gefüngnisverwaltung kaufen,
die mit diesem Handel noch ein kleines Geschäft macht. Es liegt in dieser Ein¬
richtung ein starker Antrieb zur Arbeit, die ja von keinem Untersuchungs¬
gefangnen erzwungen werden darf. Wer sich nicht zu ihr bequemen und sich
durch die dafür bezahlten paar Pfennige nicht die Möglichkeit zur Beschaffung
von Zusatznahrungsmitteln verschaffen mag, dem zernagt bald wütender Hunger
den Leib.

Daß der unbemittelte Untersuchungsgefangne nicht in der Lage ist, sich
einen Verteidiger zu bestellen, der doch in manchen Füllen viel zur Abwendung
oder Abkürzung der Haft tun kann, dürfen wir hier nur andeuten, dn diese
Frage über den dieser Betrachtung gestellten Rahmen hinausreicht. Wollen Nur
auch, wenngleich mit einigem Bedenken, annehmen, daß sich die Behandlung
des Unbemittelten durch das Gefängnispersonal von der in nichts unterscheidet,
die bemittelten oder den sogenannten höhern Ständen angehörenden Gefangnen
zuteil wird, so bleibt doch noch mancherlei, wodurch sich die Lage des unbe¬
mittelten Untersuchungsgefangnen ungünstiger gestaltet. Dahin gehört z. B., daß
er sich, um bei der Arbeit den einzigen Anzug, den er anhat, nicht ganz zu¬
grunde zu richten, bald genötigt sieht, um Gefängniskleidung zu bitten, und daß
er, sobald die Haft eine Woche übersteigt, auch seinen Ekel gegen die Gefängnis¬
wüsche wird überwinden müssen.

(Fortsetzung folgt)




ur preußisch-polnischen ^prachenfrage
Ludwig Trampe von (Schluß)

n der Zweiten Kammer hat sich die Sache nicht anders, nur noch
schärfer abgespielt. Das zeigen ihre Verhandlungen vom 2. Oktober,
10., 17. und 18. Dezember 1849 und 13. Februar 1850. In ihnen
sind, abgesehen von weniger wichtigen und zurückgezognen, vier
leitende Anträge gestellt worden. Jciniszewski hat denselben Zu¬
satz zu Artikel 1 der Verfassung verlangt wie von Pilaski in der Ersten; er
hat dazu ein im Wortlaute genau dem seines Stammgenossen gleichendes Aiuen-
dement eingebracht. Zoltowski hat, als es sich um Wahlen zum Erfurter
Parlament in dem zu Deutschland gezognen Teile Posens handelte, die Kammer


Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage

gestechte macht, er verdient doch täglich eine Kleinigkeit, je nach seinen Leistungen
vielleicht zwei bis zwanzig Pfennige, und nach ein paar Tagen ist er imstande,
denen da draußen ein Lebenszeichen von sich zu geben. Nach zwei oder drei
Wochen kann er sich vielleicht sogar schon „Zusatznahrungsmittel" kaufen, deren
er zur Erhaltung seiner Kräfte dringend bedarf, denn die Gefängniskvst ist
fürchterlich schlecht und nahrungsstoffarm. Um sie zu ergänzen, können sich die
Gefangnen wöchentlich ein oder zweimal von einem Teile ihres Arbeitsver¬
dienstes gewisse Nahrungsmittel, wie Brot, Wurst, Schmalz, Speck, Heringe usw.,
zu bestimmten, keineswegs billigen Preisen von der Gefüngnisverwaltung kaufen,
die mit diesem Handel noch ein kleines Geschäft macht. Es liegt in dieser Ein¬
richtung ein starker Antrieb zur Arbeit, die ja von keinem Untersuchungs¬
gefangnen erzwungen werden darf. Wer sich nicht zu ihr bequemen und sich
durch die dafür bezahlten paar Pfennige nicht die Möglichkeit zur Beschaffung
von Zusatznahrungsmitteln verschaffen mag, dem zernagt bald wütender Hunger
den Leib.

Daß der unbemittelte Untersuchungsgefangne nicht in der Lage ist, sich
einen Verteidiger zu bestellen, der doch in manchen Füllen viel zur Abwendung
oder Abkürzung der Haft tun kann, dürfen wir hier nur andeuten, dn diese
Frage über den dieser Betrachtung gestellten Rahmen hinausreicht. Wollen Nur
auch, wenngleich mit einigem Bedenken, annehmen, daß sich die Behandlung
des Unbemittelten durch das Gefängnispersonal von der in nichts unterscheidet,
die bemittelten oder den sogenannten höhern Ständen angehörenden Gefangnen
zuteil wird, so bleibt doch noch mancherlei, wodurch sich die Lage des unbe¬
mittelten Untersuchungsgefangnen ungünstiger gestaltet. Dahin gehört z. B., daß
er sich, um bei der Arbeit den einzigen Anzug, den er anhat, nicht ganz zu¬
grunde zu richten, bald genötigt sieht, um Gefängniskleidung zu bitten, und daß
er, sobald die Haft eine Woche übersteigt, auch seinen Ekel gegen die Gefängnis¬
wüsche wird überwinden müssen.

(Fortsetzung folgt)




ur preußisch-polnischen ^prachenfrage
Ludwig Trampe von (Schluß)

n der Zweiten Kammer hat sich die Sache nicht anders, nur noch
schärfer abgespielt. Das zeigen ihre Verhandlungen vom 2. Oktober,
10., 17. und 18. Dezember 1849 und 13. Februar 1850. In ihnen
sind, abgesehen von weniger wichtigen und zurückgezognen, vier
leitende Anträge gestellt worden. Jciniszewski hat denselben Zu¬
satz zu Artikel 1 der Verfassung verlangt wie von Pilaski in der Ersten; er
hat dazu ein im Wortlaute genau dem seines Stammgenossen gleichendes Aiuen-
dement eingebracht. Zoltowski hat, als es sich um Wahlen zum Erfurter
Parlament in dem zu Deutschland gezognen Teile Posens handelte, die Kammer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242296"/>
            <fw type="header" place="top"> Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_749" prev="#ID_748"> gestechte macht, er verdient doch täglich eine Kleinigkeit, je nach seinen Leistungen<lb/>
vielleicht zwei bis zwanzig Pfennige, und nach ein paar Tagen ist er imstande,<lb/>
denen da draußen ein Lebenszeichen von sich zu geben. Nach zwei oder drei<lb/>
Wochen kann er sich vielleicht sogar schon &#x201E;Zusatznahrungsmittel" kaufen, deren<lb/>
er zur Erhaltung seiner Kräfte dringend bedarf, denn die Gefängniskvst ist<lb/>
fürchterlich schlecht und nahrungsstoffarm. Um sie zu ergänzen, können sich die<lb/>
Gefangnen wöchentlich ein oder zweimal von einem Teile ihres Arbeitsver¬<lb/>
dienstes gewisse Nahrungsmittel, wie Brot, Wurst, Schmalz, Speck, Heringe usw.,<lb/>
zu bestimmten, keineswegs billigen Preisen von der Gefüngnisverwaltung kaufen,<lb/>
die mit diesem Handel noch ein kleines Geschäft macht. Es liegt in dieser Ein¬<lb/>
richtung ein starker Antrieb zur Arbeit, die ja von keinem Untersuchungs¬<lb/>
gefangnen erzwungen werden darf. Wer sich nicht zu ihr bequemen und sich<lb/>
durch die dafür bezahlten paar Pfennige nicht die Möglichkeit zur Beschaffung<lb/>
von Zusatznahrungsmitteln verschaffen mag, dem zernagt bald wütender Hunger<lb/>
den Leib.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_750"> Daß der unbemittelte Untersuchungsgefangne nicht in der Lage ist, sich<lb/>
einen Verteidiger zu bestellen, der doch in manchen Füllen viel zur Abwendung<lb/>
oder Abkürzung der Haft tun kann, dürfen wir hier nur andeuten, dn diese<lb/>
Frage über den dieser Betrachtung gestellten Rahmen hinausreicht. Wollen Nur<lb/>
auch, wenngleich mit einigem Bedenken, annehmen, daß sich die Behandlung<lb/>
des Unbemittelten durch das Gefängnispersonal von der in nichts unterscheidet,<lb/>
die bemittelten oder den sogenannten höhern Ständen angehörenden Gefangnen<lb/>
zuteil wird, so bleibt doch noch mancherlei, wodurch sich die Lage des unbe¬<lb/>
mittelten Untersuchungsgefangnen ungünstiger gestaltet. Dahin gehört z. B., daß<lb/>
er sich, um bei der Arbeit den einzigen Anzug, den er anhat, nicht ganz zu¬<lb/>
grunde zu richten, bald genötigt sieht, um Gefängniskleidung zu bitten, und daß<lb/>
er, sobald die Haft eine Woche übersteigt, auch seinen Ekel gegen die Gefängnis¬<lb/>
wüsche wird überwinden müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_751"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ur preußisch-polnischen ^prachenfrage<lb/><note type="byline"> Ludwig Trampe</note> von (Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_752" next="#ID_753"> n der Zweiten Kammer hat sich die Sache nicht anders, nur noch<lb/>
schärfer abgespielt. Das zeigen ihre Verhandlungen vom 2. Oktober,<lb/>
10., 17. und 18. Dezember 1849 und 13. Februar 1850. In ihnen<lb/>
sind, abgesehen von weniger wichtigen und zurückgezognen, vier<lb/>
leitende Anträge gestellt worden. Jciniszewski hat denselben Zu¬<lb/>
satz zu Artikel 1 der Verfassung verlangt wie von Pilaski in der Ersten; er<lb/>
hat dazu ein im Wortlaute genau dem seines Stammgenossen gleichendes Aiuen-<lb/>
dement eingebracht. Zoltowski hat, als es sich um Wahlen zum Erfurter<lb/>
Parlament in dem zu Deutschland gezognen Teile Posens handelte, die Kammer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage gestechte macht, er verdient doch täglich eine Kleinigkeit, je nach seinen Leistungen vielleicht zwei bis zwanzig Pfennige, und nach ein paar Tagen ist er imstande, denen da draußen ein Lebenszeichen von sich zu geben. Nach zwei oder drei Wochen kann er sich vielleicht sogar schon „Zusatznahrungsmittel" kaufen, deren er zur Erhaltung seiner Kräfte dringend bedarf, denn die Gefängniskvst ist fürchterlich schlecht und nahrungsstoffarm. Um sie zu ergänzen, können sich die Gefangnen wöchentlich ein oder zweimal von einem Teile ihres Arbeitsver¬ dienstes gewisse Nahrungsmittel, wie Brot, Wurst, Schmalz, Speck, Heringe usw., zu bestimmten, keineswegs billigen Preisen von der Gefüngnisverwaltung kaufen, die mit diesem Handel noch ein kleines Geschäft macht. Es liegt in dieser Ein¬ richtung ein starker Antrieb zur Arbeit, die ja von keinem Untersuchungs¬ gefangnen erzwungen werden darf. Wer sich nicht zu ihr bequemen und sich durch die dafür bezahlten paar Pfennige nicht die Möglichkeit zur Beschaffung von Zusatznahrungsmitteln verschaffen mag, dem zernagt bald wütender Hunger den Leib. Daß der unbemittelte Untersuchungsgefangne nicht in der Lage ist, sich einen Verteidiger zu bestellen, der doch in manchen Füllen viel zur Abwendung oder Abkürzung der Haft tun kann, dürfen wir hier nur andeuten, dn diese Frage über den dieser Betrachtung gestellten Rahmen hinausreicht. Wollen Nur auch, wenngleich mit einigem Bedenken, annehmen, daß sich die Behandlung des Unbemittelten durch das Gefängnispersonal von der in nichts unterscheidet, die bemittelten oder den sogenannten höhern Ständen angehörenden Gefangnen zuteil wird, so bleibt doch noch mancherlei, wodurch sich die Lage des unbe¬ mittelten Untersuchungsgefangnen ungünstiger gestaltet. Dahin gehört z. B., daß er sich, um bei der Arbeit den einzigen Anzug, den er anhat, nicht ganz zu¬ grunde zu richten, bald genötigt sieht, um Gefängniskleidung zu bitten, und daß er, sobald die Haft eine Woche übersteigt, auch seinen Ekel gegen die Gefängnis¬ wüsche wird überwinden müssen. (Fortsetzung folgt) ur preußisch-polnischen ^prachenfrage Ludwig Trampe von (Schluß) n der Zweiten Kammer hat sich die Sache nicht anders, nur noch schärfer abgespielt. Das zeigen ihre Verhandlungen vom 2. Oktober, 10., 17. und 18. Dezember 1849 und 13. Februar 1850. In ihnen sind, abgesehen von weniger wichtigen und zurückgezognen, vier leitende Anträge gestellt worden. Jciniszewski hat denselben Zu¬ satz zu Artikel 1 der Verfassung verlangt wie von Pilaski in der Ersten; er hat dazu ein im Wortlaute genau dem seines Stammgenossen gleichendes Aiuen- dement eingebracht. Zoltowski hat, als es sich um Wahlen zum Erfurter Parlament in dem zu Deutschland gezognen Teile Posens handelte, die Kammer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/228>, abgerufen am 29.06.2024.