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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Schiffahrt der vereinigten Staaten
<L. F. Seemann von

u den Lieblingskindern der amerikanischen Unternehmungslust
gehört die Schiffahrt nicht, wenigstens jetzt nicht. Es gab eine
Zeit, da warf man sich in den Vereinigten Staaten mit großem
5ifer auf die Reederei. Das war in den vierziger und fünfziger
! Jahren des vorigen Jahrhunderts. In England war die Eiche,
der damals allein maßgebende Rohstoff für den Schiffbau. schon sehr spärlich
geworden. Deutschland war noch nicht kapitalkräftig genug, und England
Wetteifer.: zu können, auch waren noch fast alle Länder durch scharfe Gesetze
der Einfuhr von Waren durch fremde Schiffe verschlossen; sogar in England
bestand die von Cromwell erlassene Navigationsakte noch bis 1849; auch
fehlte in Deutschland noch die nationale Zuversicht, der Rückhalt an einer
Kriegsflotte. In deu Vereinigten Staaten dagegen gab es noch unerschöpflich
erscheinende Eichenwälder, das nationale Selbstvertrauen ließ nichts zu wünschen
übrig, und endlich hatte, da die Eisenbahnen nach dem fernen Westen noch
nicht erbaut waren, der Zug dorthin die Menschen noch nicht so erfaßt. Die
nordamerikanische Technik hat von jeher auf eitler großen Höhe gestanden, da
man alles aufbieten mußte, Arbeit zu ersparen. Damals widmete auch sie sich
eifrig dem Schiffbau. In einer gewissen Richtung erreichte sie eine führende
Rolle; sie erfand das "Klipperschiff," einen Segler von langem, schmalem,
außerordentlich "scharfem" Bau, dessen Ladnngsfähigkeit allerdings nicht groß
war, der aber sehr hoch und breit getakelt war, sodaß die Segel im Ver¬
hältnis zum Rumpf dem Winde eine viel breitere Fläche boten, als man sonst
anzuwenden wagte. Diese Klipper waren Schnellsegler ersten Ranges. Dampfer
hatte man damals auf den weiten Ozeanfahrten noch nicht. Da nun die Ein¬
fuhr von Tee neuer Ernte mit möglichster Beschleunigung geschehen mußte,
und der Tee so rasch wie möglich von den Nachteilen des Aufenthalts im
Schiffsraum befreit werden mußte. so fand sich für die Klipper eine überaus
lohnende Verwendung. Ein hohes Alter erreichten sie jedoch sämtlich nicht,
die hohe Takelung war zu gefährlich, und bald machten auch die Fortschritte
der Dampfschiffahrt ihrer Bedeutung ein Ende.

Um 1860 stand die nvrdameriianische Handelsflotte, wenn man die Küsten¬
schiffahrt und die Fahrzeuge auf den großen Seen einrechnete, der englischen
ganz nahe; 1858 hatte sie über fünf Millionen Tonnen. Die englische stand
1859 auf 56090V0. Bald sollte das Schicksal eine jähe Änderung hervor¬
bringen. Die Handelsflotte der Amerikaner war beinahe ausschließlich im
Besitz der Nordstaaten. Als nun 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, und die
Südstaaten weder eine Kriegsflotte hatten, und der sie operieren konnten, noch




Die Schiffahrt der vereinigten Staaten
<L. F. Seemann von

u den Lieblingskindern der amerikanischen Unternehmungslust
gehört die Schiffahrt nicht, wenigstens jetzt nicht. Es gab eine
Zeit, da warf man sich in den Vereinigten Staaten mit großem
5ifer auf die Reederei. Das war in den vierziger und fünfziger
! Jahren des vorigen Jahrhunderts. In England war die Eiche,
der damals allein maßgebende Rohstoff für den Schiffbau. schon sehr spärlich
geworden. Deutschland war noch nicht kapitalkräftig genug, und England
Wetteifer.: zu können, auch waren noch fast alle Länder durch scharfe Gesetze
der Einfuhr von Waren durch fremde Schiffe verschlossen; sogar in England
bestand die von Cromwell erlassene Navigationsakte noch bis 1849; auch
fehlte in Deutschland noch die nationale Zuversicht, der Rückhalt an einer
Kriegsflotte. In deu Vereinigten Staaten dagegen gab es noch unerschöpflich
erscheinende Eichenwälder, das nationale Selbstvertrauen ließ nichts zu wünschen
übrig, und endlich hatte, da die Eisenbahnen nach dem fernen Westen noch
nicht erbaut waren, der Zug dorthin die Menschen noch nicht so erfaßt. Die
nordamerikanische Technik hat von jeher auf eitler großen Höhe gestanden, da
man alles aufbieten mußte, Arbeit zu ersparen. Damals widmete auch sie sich
eifrig dem Schiffbau. In einer gewissen Richtung erreichte sie eine führende
Rolle; sie erfand das „Klipperschiff," einen Segler von langem, schmalem,
außerordentlich „scharfem" Bau, dessen Ladnngsfähigkeit allerdings nicht groß
war, der aber sehr hoch und breit getakelt war, sodaß die Segel im Ver¬
hältnis zum Rumpf dem Winde eine viel breitere Fläche boten, als man sonst
anzuwenden wagte. Diese Klipper waren Schnellsegler ersten Ranges. Dampfer
hatte man damals auf den weiten Ozeanfahrten noch nicht. Da nun die Ein¬
fuhr von Tee neuer Ernte mit möglichster Beschleunigung geschehen mußte,
und der Tee so rasch wie möglich von den Nachteilen des Aufenthalts im
Schiffsraum befreit werden mußte. so fand sich für die Klipper eine überaus
lohnende Verwendung. Ein hohes Alter erreichten sie jedoch sämtlich nicht,
die hohe Takelung war zu gefährlich, und bald machten auch die Fortschritte
der Dampfschiffahrt ihrer Bedeutung ein Ende.

Um 1860 stand die nvrdameriianische Handelsflotte, wenn man die Küsten¬
schiffahrt und die Fahrzeuge auf den großen Seen einrechnete, der englischen
ganz nahe; 1858 hatte sie über fünf Millionen Tonnen. Die englische stand
1859 auf 56090V0. Bald sollte das Schicksal eine jähe Änderung hervor¬
bringen. Die Handelsflotte der Amerikaner war beinahe ausschließlich im
Besitz der Nordstaaten. Als nun 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, und die
Südstaaten weder eine Kriegsflotte hatten, und der sie operieren konnten, noch


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[0661] [Abbildung] Die Schiffahrt der vereinigten Staaten <L. F. Seemann von u den Lieblingskindern der amerikanischen Unternehmungslust gehört die Schiffahrt nicht, wenigstens jetzt nicht. Es gab eine Zeit, da warf man sich in den Vereinigten Staaten mit großem 5ifer auf die Reederei. Das war in den vierziger und fünfziger ! Jahren des vorigen Jahrhunderts. In England war die Eiche, der damals allein maßgebende Rohstoff für den Schiffbau. schon sehr spärlich geworden. Deutschland war noch nicht kapitalkräftig genug, und England Wetteifer.: zu können, auch waren noch fast alle Länder durch scharfe Gesetze der Einfuhr von Waren durch fremde Schiffe verschlossen; sogar in England bestand die von Cromwell erlassene Navigationsakte noch bis 1849; auch fehlte in Deutschland noch die nationale Zuversicht, der Rückhalt an einer Kriegsflotte. In deu Vereinigten Staaten dagegen gab es noch unerschöpflich erscheinende Eichenwälder, das nationale Selbstvertrauen ließ nichts zu wünschen übrig, und endlich hatte, da die Eisenbahnen nach dem fernen Westen noch nicht erbaut waren, der Zug dorthin die Menschen noch nicht so erfaßt. Die nordamerikanische Technik hat von jeher auf eitler großen Höhe gestanden, da man alles aufbieten mußte, Arbeit zu ersparen. Damals widmete auch sie sich eifrig dem Schiffbau. In einer gewissen Richtung erreichte sie eine führende Rolle; sie erfand das „Klipperschiff," einen Segler von langem, schmalem, außerordentlich „scharfem" Bau, dessen Ladnngsfähigkeit allerdings nicht groß war, der aber sehr hoch und breit getakelt war, sodaß die Segel im Ver¬ hältnis zum Rumpf dem Winde eine viel breitere Fläche boten, als man sonst anzuwenden wagte. Diese Klipper waren Schnellsegler ersten Ranges. Dampfer hatte man damals auf den weiten Ozeanfahrten noch nicht. Da nun die Ein¬ fuhr von Tee neuer Ernte mit möglichster Beschleunigung geschehen mußte, und der Tee so rasch wie möglich von den Nachteilen des Aufenthalts im Schiffsraum befreit werden mußte. so fand sich für die Klipper eine überaus lohnende Verwendung. Ein hohes Alter erreichten sie jedoch sämtlich nicht, die hohe Takelung war zu gefährlich, und bald machten auch die Fortschritte der Dampfschiffahrt ihrer Bedeutung ein Ende. Um 1860 stand die nvrdameriianische Handelsflotte, wenn man die Küsten¬ schiffahrt und die Fahrzeuge auf den großen Seen einrechnete, der englischen ganz nahe; 1858 hatte sie über fünf Millionen Tonnen. Die englische stand 1859 auf 56090V0. Bald sollte das Schicksal eine jähe Änderung hervor¬ bringen. Die Handelsflotte der Amerikaner war beinahe ausschließlich im Besitz der Nordstaaten. Als nun 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, und die Südstaaten weder eine Kriegsflotte hatten, und der sie operieren konnten, noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/661>, abgerufen am 24.11.2024.