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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Luther als Erzieher.

Daß der Persönlichkeit des großen Reformators eine
gewaltige erziehende Kraft innewohnt, wird niemand bestreiten, der ihn kennt. Es
war deshalb ein glücklicher Gedanke, dem deutschen Volke das Buch Luther als
Erzieher zu schenken (Berlin, Martin Warneck, 1902), und der Verfasser, der sich
wunderlicherweise nicht nennt (was für ein Grund kann den Autor gerade dieses
Buches bestimmen, sich zu verbergen?), hat den Gedanken mit Begeisterung für seine
schone Aufgabe auf das trefflichste durchgeführt. Er läßt Luther reden in seiner
kräftigen, herzlichen Sprache, mit seinem in allen Verhältnissen den Kern der Dinge
treffenden gesunden Menschenverstande und uns zur Besserung und Ordnung unsrer
vielfach so schlecht geordneten häuslichen, wirtschaftlichen und öffentlichen Angelegen¬
heiten mahnen. Er zeigt uns Luthers Freiheitsliebe und Vaterlandsliebe, seine richtige
Art, die irdischen Güter zu gebrauchen, reich zu werde" durch Genügsamkeit und
Wohltun, seiue Behandlung der Unterrichts- und Erziehungsfragen, sein häusliches
und Eheleben, seiue Dienstbvteuzucht, seine Geselligkeit, seiue Politik, seine volks¬
wirtschaftlichen Grundsätze, und wie das alles für unsre heutigen Verhältnisse ver¬
wertet werden könnte und sollte. Und er zeigt vor allem, wie all dieses Gute und
Schöne aus dem tiefen und reinen Born der christlichen Gesinnung Luthers quillt.
Aber gerade hieran hängt sich der einzige Fehler, den wir dem Buche vorzuwerfen
haben. Der Verfasser gibt ihm eine polemische Spitze und stellt Rom als den Feind
hin, der die Entfaltung echt lutherischer Gesinnung hindre und ihren Aufschwung
daniederhalte. Das liegt ja nahe genug und ist ziemlich allgemeiner Brauch bei den
deutscheu Protestanten, aber es ist trotzdem ein Fehler. Einmal verleitet die Polemik
dazu, den Gegensatz falsch zu fassen. Genuß, Luther hat den Glauben so verstanden,
wie es der Anonhmus darstellt; aber neben diesem erbauenden Sinn des lutherischen
Glaubens besteht die unglückliche dogmatische Rechtfertigungslehre mit ihrem ganz
anders gearteten Glauben, dem Gegenstande der theologischen .Kämpfe des sechzehnten
Jahrhunderts, und die Darstellung der katholischen Kirchenlehre über diesen Punkt
ist falsch, wie sich der Verfasser aus jedem Katechismus überzeugen kauu. Selbst¬
verständlich begehen die Katholiken in ihrer Polemik gegen die evangelische Lehre
denselben Fehler; sie machen durch Verschweigen ihr eignes Kirchenwesen schöner
und heben am Gegner vorzugsweise oder allem das Bedenkliche hervor. Aber bei
der ewigen Fortsetzung dieser Praxis kommen wir zu keiner Verständigung, und
die ist doch nun einmal das anzustrebende Ziel. Dann aber lenkt dieser ewige Kampf
gegen Rom, der seit dem Wiederaufleben der konfessionellen Zwietracht um das
Jahr 1830, nebenbei bemerkt, nie einen andern Erfolg gehabt hat als die Stärkung
Roms, die Blicke und die Tätigkeit der gläubigen Protestanten von ihren eigent¬
lichen Aufgaben ab, deren Lösung zugleich eine Niederlage Roms sein würde. Man
mag immerhin dem Papste alles Böse zutrauen; gewiß würde er die Protestanten
mit Feuer und Schwert ausrotten, wenn er die Macht dazu hätte. Aber er hat
sie eben nicht. Er hat nicht einmal die Macht, den evangelischen Gottesdienst, den
evangelischen Religionsunterricht um der Schwelle seines Palastes zu verhindern.
Er kann nicht hindern, daß den Katholiken des ganz katholischen Frankreichs die
öffentliche Ausübung ihrer Kirchengebräuche verwehrt wird, und daß man dort seine
getreusten Garden mit Schimpf und Schande wegjagt. Was könnte er über
evangelische Christen im Deutschen Reiche, über ihre Häuser und Schulen vermögen?
Nichts, rein gar nichts. Der Verfasser weist auf die zahlreiche" Selbstmorde von
Kindern und Jünglingen hin und ruft: "Gebt ihr, die ihr kraft euers Amts auf
dem Katheder oder auf der Kanzel dazu berufen seid, unserm Volke, unsrer Jugend
die gläubige, die poetische, die für alles Große und Schöne, Edle und Erhabne
ausgeschlossene Weltanschauung eines Luther wieder, in der Natur und Gnade, das
christliche Lebensprinzip und das rein Menschliche sich so herrlich verbinden! Lehrt
sie, daß Christentum, im Glauben Luthers erfaßt, Weltüberwindung im Sinne von
Weltverklärung ist!" Eine gute Mahnung fürwahr! Aber wer hindert denn die
Berufnen, es zu tun? Doch nicht etwa der Papst? Einem "modern" gebildeten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Luther als Erzieher.

Daß der Persönlichkeit des großen Reformators eine
gewaltige erziehende Kraft innewohnt, wird niemand bestreiten, der ihn kennt. Es
war deshalb ein glücklicher Gedanke, dem deutschen Volke das Buch Luther als
Erzieher zu schenken (Berlin, Martin Warneck, 1902), und der Verfasser, der sich
wunderlicherweise nicht nennt (was für ein Grund kann den Autor gerade dieses
Buches bestimmen, sich zu verbergen?), hat den Gedanken mit Begeisterung für seine
schone Aufgabe auf das trefflichste durchgeführt. Er läßt Luther reden in seiner
kräftigen, herzlichen Sprache, mit seinem in allen Verhältnissen den Kern der Dinge
treffenden gesunden Menschenverstande und uns zur Besserung und Ordnung unsrer
vielfach so schlecht geordneten häuslichen, wirtschaftlichen und öffentlichen Angelegen¬
heiten mahnen. Er zeigt uns Luthers Freiheitsliebe und Vaterlandsliebe, seine richtige
Art, die irdischen Güter zu gebrauchen, reich zu werde» durch Genügsamkeit und
Wohltun, seiue Behandlung der Unterrichts- und Erziehungsfragen, sein häusliches
und Eheleben, seiue Dienstbvteuzucht, seine Geselligkeit, seiue Politik, seine volks¬
wirtschaftlichen Grundsätze, und wie das alles für unsre heutigen Verhältnisse ver¬
wertet werden könnte und sollte. Und er zeigt vor allem, wie all dieses Gute und
Schöne aus dem tiefen und reinen Born der christlichen Gesinnung Luthers quillt.
Aber gerade hieran hängt sich der einzige Fehler, den wir dem Buche vorzuwerfen
haben. Der Verfasser gibt ihm eine polemische Spitze und stellt Rom als den Feind
hin, der die Entfaltung echt lutherischer Gesinnung hindre und ihren Aufschwung
daniederhalte. Das liegt ja nahe genug und ist ziemlich allgemeiner Brauch bei den
deutscheu Protestanten, aber es ist trotzdem ein Fehler. Einmal verleitet die Polemik
dazu, den Gegensatz falsch zu fassen. Genuß, Luther hat den Glauben so verstanden,
wie es der Anonhmus darstellt; aber neben diesem erbauenden Sinn des lutherischen
Glaubens besteht die unglückliche dogmatische Rechtfertigungslehre mit ihrem ganz
anders gearteten Glauben, dem Gegenstande der theologischen .Kämpfe des sechzehnten
Jahrhunderts, und die Darstellung der katholischen Kirchenlehre über diesen Punkt
ist falsch, wie sich der Verfasser aus jedem Katechismus überzeugen kauu. Selbst¬
verständlich begehen die Katholiken in ihrer Polemik gegen die evangelische Lehre
denselben Fehler; sie machen durch Verschweigen ihr eignes Kirchenwesen schöner
und heben am Gegner vorzugsweise oder allem das Bedenkliche hervor. Aber bei
der ewigen Fortsetzung dieser Praxis kommen wir zu keiner Verständigung, und
die ist doch nun einmal das anzustrebende Ziel. Dann aber lenkt dieser ewige Kampf
gegen Rom, der seit dem Wiederaufleben der konfessionellen Zwietracht um das
Jahr 1830, nebenbei bemerkt, nie einen andern Erfolg gehabt hat als die Stärkung
Roms, die Blicke und die Tätigkeit der gläubigen Protestanten von ihren eigent¬
lichen Aufgaben ab, deren Lösung zugleich eine Niederlage Roms sein würde. Man
mag immerhin dem Papste alles Böse zutrauen; gewiß würde er die Protestanten
mit Feuer und Schwert ausrotten, wenn er die Macht dazu hätte. Aber er hat
sie eben nicht. Er hat nicht einmal die Macht, den evangelischen Gottesdienst, den
evangelischen Religionsunterricht um der Schwelle seines Palastes zu verhindern.
Er kann nicht hindern, daß den Katholiken des ganz katholischen Frankreichs die
öffentliche Ausübung ihrer Kirchengebräuche verwehrt wird, und daß man dort seine
getreusten Garden mit Schimpf und Schande wegjagt. Was könnte er über
evangelische Christen im Deutschen Reiche, über ihre Häuser und Schulen vermögen?
Nichts, rein gar nichts. Der Verfasser weist auf die zahlreiche» Selbstmorde von
Kindern und Jünglingen hin und ruft: „Gebt ihr, die ihr kraft euers Amts auf
dem Katheder oder auf der Kanzel dazu berufen seid, unserm Volke, unsrer Jugend
die gläubige, die poetische, die für alles Große und Schöne, Edle und Erhabne
ausgeschlossene Weltanschauung eines Luther wieder, in der Natur und Gnade, das
christliche Lebensprinzip und das rein Menschliche sich so herrlich verbinden! Lehrt
sie, daß Christentum, im Glauben Luthers erfaßt, Weltüberwindung im Sinne von
Weltverklärung ist!" Eine gute Mahnung fürwahr! Aber wer hindert denn die
Berufnen, es zu tun? Doch nicht etwa der Papst? Einem „modern" gebildeten


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[0576] Maßgebliches und Unmaßgebliches Luther als Erzieher. Daß der Persönlichkeit des großen Reformators eine gewaltige erziehende Kraft innewohnt, wird niemand bestreiten, der ihn kennt. Es war deshalb ein glücklicher Gedanke, dem deutschen Volke das Buch Luther als Erzieher zu schenken (Berlin, Martin Warneck, 1902), und der Verfasser, der sich wunderlicherweise nicht nennt (was für ein Grund kann den Autor gerade dieses Buches bestimmen, sich zu verbergen?), hat den Gedanken mit Begeisterung für seine schone Aufgabe auf das trefflichste durchgeführt. Er läßt Luther reden in seiner kräftigen, herzlichen Sprache, mit seinem in allen Verhältnissen den Kern der Dinge treffenden gesunden Menschenverstande und uns zur Besserung und Ordnung unsrer vielfach so schlecht geordneten häuslichen, wirtschaftlichen und öffentlichen Angelegen¬ heiten mahnen. Er zeigt uns Luthers Freiheitsliebe und Vaterlandsliebe, seine richtige Art, die irdischen Güter zu gebrauchen, reich zu werde» durch Genügsamkeit und Wohltun, seiue Behandlung der Unterrichts- und Erziehungsfragen, sein häusliches und Eheleben, seiue Dienstbvteuzucht, seine Geselligkeit, seiue Politik, seine volks¬ wirtschaftlichen Grundsätze, und wie das alles für unsre heutigen Verhältnisse ver¬ wertet werden könnte und sollte. Und er zeigt vor allem, wie all dieses Gute und Schöne aus dem tiefen und reinen Born der christlichen Gesinnung Luthers quillt. Aber gerade hieran hängt sich der einzige Fehler, den wir dem Buche vorzuwerfen haben. Der Verfasser gibt ihm eine polemische Spitze und stellt Rom als den Feind hin, der die Entfaltung echt lutherischer Gesinnung hindre und ihren Aufschwung daniederhalte. Das liegt ja nahe genug und ist ziemlich allgemeiner Brauch bei den deutscheu Protestanten, aber es ist trotzdem ein Fehler. Einmal verleitet die Polemik dazu, den Gegensatz falsch zu fassen. Genuß, Luther hat den Glauben so verstanden, wie es der Anonhmus darstellt; aber neben diesem erbauenden Sinn des lutherischen Glaubens besteht die unglückliche dogmatische Rechtfertigungslehre mit ihrem ganz anders gearteten Glauben, dem Gegenstande der theologischen .Kämpfe des sechzehnten Jahrhunderts, und die Darstellung der katholischen Kirchenlehre über diesen Punkt ist falsch, wie sich der Verfasser aus jedem Katechismus überzeugen kauu. Selbst¬ verständlich begehen die Katholiken in ihrer Polemik gegen die evangelische Lehre denselben Fehler; sie machen durch Verschweigen ihr eignes Kirchenwesen schöner und heben am Gegner vorzugsweise oder allem das Bedenkliche hervor. Aber bei der ewigen Fortsetzung dieser Praxis kommen wir zu keiner Verständigung, und die ist doch nun einmal das anzustrebende Ziel. Dann aber lenkt dieser ewige Kampf gegen Rom, der seit dem Wiederaufleben der konfessionellen Zwietracht um das Jahr 1830, nebenbei bemerkt, nie einen andern Erfolg gehabt hat als die Stärkung Roms, die Blicke und die Tätigkeit der gläubigen Protestanten von ihren eigent¬ lichen Aufgaben ab, deren Lösung zugleich eine Niederlage Roms sein würde. Man mag immerhin dem Papste alles Böse zutrauen; gewiß würde er die Protestanten mit Feuer und Schwert ausrotten, wenn er die Macht dazu hätte. Aber er hat sie eben nicht. Er hat nicht einmal die Macht, den evangelischen Gottesdienst, den evangelischen Religionsunterricht um der Schwelle seines Palastes zu verhindern. Er kann nicht hindern, daß den Katholiken des ganz katholischen Frankreichs die öffentliche Ausübung ihrer Kirchengebräuche verwehrt wird, und daß man dort seine getreusten Garden mit Schimpf und Schande wegjagt. Was könnte er über evangelische Christen im Deutschen Reiche, über ihre Häuser und Schulen vermögen? Nichts, rein gar nichts. Der Verfasser weist auf die zahlreiche» Selbstmorde von Kindern und Jünglingen hin und ruft: „Gebt ihr, die ihr kraft euers Amts auf dem Katheder oder auf der Kanzel dazu berufen seid, unserm Volke, unsrer Jugend die gläubige, die poetische, die für alles Große und Schöne, Edle und Erhabne ausgeschlossene Weltanschauung eines Luther wieder, in der Natur und Gnade, das christliche Lebensprinzip und das rein Menschliche sich so herrlich verbinden! Lehrt sie, daß Christentum, im Glauben Luthers erfaßt, Weltüberwindung im Sinne von Weltverklärung ist!" Eine gute Mahnung fürwahr! Aber wer hindert denn die Berufnen, es zu tun? Doch nicht etwa der Papst? Einem „modern" gebildeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/576>, abgerufen am 27.07.2024.