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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Eugen Mouton

er liebenswürdigere von unsern beiden Nachbarn ist seit Jahren
in dein Grade von Dreyfus, den Kongregationen und seinen
Kolvnialpläneu besessen, daß wir eine rheinwärts gerichtete Ex-
iplosivn seines mit Sprengstoff geladner Brununschädels kaum
Imehr zu fürchten brauchen; deshalb können wir uns, ohne eine
Patriotische Pflicht zu verletzen, der angenehmen Beschäftigung hingeben, seine
sehr komplizierte und eben darum sehr interessante Seele zu betrachten und zu
untersuchen. Wer das französische Leben nicht an der Quelle studieren kaun,
nument mit Dank an, was zuverlässige Landsleute, die drüben weilen, erzählen,
und sieht sich nach literarischen Niederschlägen dieses Lebens um. Über einige
solche soll hier berichtet werden; zunächst über die nach dem Tode des Ver¬
fassers veröffentlichte zweibändige Autobiographie des Justizbeamten und Schrift¬
stellers Eugen Mouton.") Er betont/ daß er keine politische Rolle gespielt
Mbe, und daß in seinem Buche von hoher Politik wenig die Rede sei; dieses
^und sollte nach seiner Absicht ein Stück Naturgeschichte des Menschengeschlechts
eroen; denn die Menschen, die die Weltgeschichte machen, seien doch nur ein
lehr kleiner Teil der Menschheit; die ungeheure Mehrzahl erleide die Geschichte
"ur, und von ihr erzähle der Historiker nichts. Das ist richtig. Die Quellen,
woraus man die Geschicke und die Geschichte der Masse der Menschen kennen
eine, sind außer der persönlichen Erfahrung nicht die historischen Werke ältern
^w, sondern Romane und andre Dichterwerke, Lebensbeschreibungen unbe-
rühmter Leute und Memoiren. In neuerer Zeit fängt jedoch auch die Geschichts¬
wissenschaft an, Material zu verwenden, das unter der politischen Oberfläche
des Weltgetriebes liegt.

Eugens Großvater wurde beim Beginn der Schreckensherrschaft als Mitglied
e/"er streng königlich und katholisch gesinnten Marseiller Familie samt seinem
besten Sohne Ludwig zum Tode verurteilt. Sie erfuhren die Verurteilung,ehe sie ergriffen wurden, und entflohen des Nachts. Auf der Canebierc kamen
Ne an der Guillotine vorbei, an der keine Schildwache stand. Der sechzehn-
lahnge Ludwig lief zum Entsetzen seines Vaters hinauf und legte einen Angen-
uk den Hals auf den Halbmond. Unter dem Direktorium von der Emigranten
l> e gestrichen, trat Ludwig ins Heer ein und machte den italienischen Feldzug
net, wobei er sich nicht allein durch Tapferkeit, sondern auch durch Ritterlichkeit
umzeichnete (so befreite er in Bresein ein Mädchen aus den Händen von fünf
^vitalen^ die er zu erschieße" drohte, wenn sie nicht von ihm abließen). Er



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Eugen Mouton

er liebenswürdigere von unsern beiden Nachbarn ist seit Jahren
in dein Grade von Dreyfus, den Kongregationen und seinen
Kolvnialpläneu besessen, daß wir eine rheinwärts gerichtete Ex-
iplosivn seines mit Sprengstoff geladner Brununschädels kaum
Imehr zu fürchten brauchen; deshalb können wir uns, ohne eine
Patriotische Pflicht zu verletzen, der angenehmen Beschäftigung hingeben, seine
sehr komplizierte und eben darum sehr interessante Seele zu betrachten und zu
untersuchen. Wer das französische Leben nicht an der Quelle studieren kaun,
nument mit Dank an, was zuverlässige Landsleute, die drüben weilen, erzählen,
und sieht sich nach literarischen Niederschlägen dieses Lebens um. Über einige
solche soll hier berichtet werden; zunächst über die nach dem Tode des Ver¬
fassers veröffentlichte zweibändige Autobiographie des Justizbeamten und Schrift¬
stellers Eugen Mouton.") Er betont/ daß er keine politische Rolle gespielt
Mbe, und daß in seinem Buche von hoher Politik wenig die Rede sei; dieses
^und sollte nach seiner Absicht ein Stück Naturgeschichte des Menschengeschlechts
eroen; denn die Menschen, die die Weltgeschichte machen, seien doch nur ein
lehr kleiner Teil der Menschheit; die ungeheure Mehrzahl erleide die Geschichte
"ur, und von ihr erzähle der Historiker nichts. Das ist richtig. Die Quellen,
woraus man die Geschicke und die Geschichte der Masse der Menschen kennen
eine, sind außer der persönlichen Erfahrung nicht die historischen Werke ältern
^w, sondern Romane und andre Dichterwerke, Lebensbeschreibungen unbe-
rühmter Leute und Memoiren. In neuerer Zeit fängt jedoch auch die Geschichts¬
wissenschaft an, Material zu verwenden, das unter der politischen Oberfläche
des Weltgetriebes liegt.

Eugens Großvater wurde beim Beginn der Schreckensherrschaft als Mitglied
e/"er streng königlich und katholisch gesinnten Marseiller Familie samt seinem
besten Sohne Ludwig zum Tode verurteilt. Sie erfuhren die Verurteilung,ehe sie ergriffen wurden, und entflohen des Nachts. Auf der Canebierc kamen
Ne an der Guillotine vorbei, an der keine Schildwache stand. Der sechzehn-
lahnge Ludwig lief zum Entsetzen seines Vaters hinauf und legte einen Angen-
uk den Hals auf den Halbmond. Unter dem Direktorium von der Emigranten
l> e gestrichen, trat Ludwig ins Heer ein und machte den italienischen Feldzug
net, wobei er sich nicht allein durch Tapferkeit, sondern auch durch Ritterlichkeit
umzeichnete (so befreite er in Bresein ein Mädchen aus den Händen von fünf
^vitalen^ die er zu erschieße» drohte, wenn sie nicht von ihm abließen). Er



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[0535] [Abbildung] Eugen Mouton er liebenswürdigere von unsern beiden Nachbarn ist seit Jahren in dein Grade von Dreyfus, den Kongregationen und seinen Kolvnialpläneu besessen, daß wir eine rheinwärts gerichtete Ex- iplosivn seines mit Sprengstoff geladner Brununschädels kaum Imehr zu fürchten brauchen; deshalb können wir uns, ohne eine Patriotische Pflicht zu verletzen, der angenehmen Beschäftigung hingeben, seine sehr komplizierte und eben darum sehr interessante Seele zu betrachten und zu untersuchen. Wer das französische Leben nicht an der Quelle studieren kaun, nument mit Dank an, was zuverlässige Landsleute, die drüben weilen, erzählen, und sieht sich nach literarischen Niederschlägen dieses Lebens um. Über einige solche soll hier berichtet werden; zunächst über die nach dem Tode des Ver¬ fassers veröffentlichte zweibändige Autobiographie des Justizbeamten und Schrift¬ stellers Eugen Mouton.") Er betont/ daß er keine politische Rolle gespielt Mbe, und daß in seinem Buche von hoher Politik wenig die Rede sei; dieses ^und sollte nach seiner Absicht ein Stück Naturgeschichte des Menschengeschlechts eroen; denn die Menschen, die die Weltgeschichte machen, seien doch nur ein lehr kleiner Teil der Menschheit; die ungeheure Mehrzahl erleide die Geschichte "ur, und von ihr erzähle der Historiker nichts. Das ist richtig. Die Quellen, woraus man die Geschicke und die Geschichte der Masse der Menschen kennen eine, sind außer der persönlichen Erfahrung nicht die historischen Werke ältern ^w, sondern Romane und andre Dichterwerke, Lebensbeschreibungen unbe- rühmter Leute und Memoiren. In neuerer Zeit fängt jedoch auch die Geschichts¬ wissenschaft an, Material zu verwenden, das unter der politischen Oberfläche des Weltgetriebes liegt. Eugens Großvater wurde beim Beginn der Schreckensherrschaft als Mitglied e/"er streng königlich und katholisch gesinnten Marseiller Familie samt seinem besten Sohne Ludwig zum Tode verurteilt. Sie erfuhren die Verurteilung,ehe sie ergriffen wurden, und entflohen des Nachts. Auf der Canebierc kamen Ne an der Guillotine vorbei, an der keine Schildwache stand. Der sechzehn- lahnge Ludwig lief zum Entsetzen seines Vaters hinauf und legte einen Angen- uk den Hals auf den Halbmond. Unter dem Direktorium von der Emigranten l> e gestrichen, trat Ludwig ins Heer ein und machte den italienischen Feldzug net, wobei er sich nicht allein durch Tapferkeit, sondern auch durch Ritterlichkeit umzeichnete (so befreite er in Bresein ein Mädchen aus den Händen von fünf ^vitalen^ die er zu erschieße» drohte, wenn sie nicht von ihm abließen). Er Aout^ ^ sive-Is vöou xar äsux 1s Oolonsl I.oni8 Uouton se I^nu-n p,,.. °^ 6<in Li8, MÄMtmt. — Dusvllv Aolltou. Hu vsini.8iöolv Äo Vio. 1548—1891. ^ans, Iibi-an-lo OK. volagiÄvs. >'U(- SvuMot, 15,.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/535>, abgerufen am 27.07.2024.