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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lkkehard der Lrste von Se. Gallen und das Maltharilied

lands in dem Prinzen Ferdinand von Koburg ein neuer Fürst gefunden worden
war. Stambnlows Politik läßt sich mit wenig Worten bezeichnen: Ver¬
hinderung jeder europäischen Intervention in der orientalischen Frage. Nicht
ein Krieg mit der Türkei, der notwendig die Dazwischenkunft der europäischen
Mächte herbeiführen würde, erschien ihm als das richtige Mittel, die Entwick¬
lung Bulgariens zur orientalischen Vormacht zu fördern, sondern im Gegenteil
ein möglichst inniges Einvernehmen mit der Türkei, durch das die europäischen
Mächte' ferngehalten werden konnten, Bulgarien aber Zeit und Möglichkeit
geboten wurde, in den durch deu allmählichen Verfall der Türkei leer werdenden
Raum hineinzuwachsen. -- Eine solche Politik mußte Konstnntinopel für Rußland
unerreichbar machen. "Rußland fand -- so bemerkt Anton Springer (Ge¬
schichte Österreichs seit dem Wiener Frieden, 1863) bei Besprechung der
griechischen Frage ganz richtig -- die eignen Interessen nicht minder gefährdet
durch ein kräftiges selbständiges Auftreten der christlichen Völkerschaften in der
Türkei wie durch eine starke und ungehinderte Pfortenregiernng. Die im
Glauben oder in der Abstammung verwandten Völker an der untern Donau,
Rumänen und Slawen, haben den hohen Preis des russischen Schutzes erst
erfahren müssen und würden die ihnen aufgedrungne Freundschaft früher und
Ästiger zurückgewiesen haben, wenn nicht spröder Eigenwille und sittliche Ver¬
wilderung hier stets ein wüstes Parteileben befruchtet Hütten, das dann immer
wieder russischen Einflüssen den Zugang verschaffte. Das Ziel der russische"
Staatsmänner blieb stets darauf gerichtet, die christlichen Stämme in der
Türkei in einem Halbwescn von Knechtschaft und Selbständigkeit zu erhalten,
sodaß sie, des russischen Schirmes bedürftig, sich den Wünschen des Peters¬
burger Kabinetts gefügig zeigten, ohne aufzuhören, der Pforte Schwierigkeiten
und Hemmungen zu bereiten. Sie werden nicht gänzlich fallen gelassen.
Dieses verbietet die Rücksicht auf die religiösen Anschauungen im eignen Lande
und auf den Machtzuwachs, der der Pforte denn zufallen würde. Sie werden
aber auch an einer kräftigen selbständigen Entwicklung möglichst verhindert,
damit sie nicht in politischen Dingen etwa nur das eigne Wohl befragen
und schließlich den Eroberuugsgelüsteu Rußlands einen festern Damm ent¬
gegenstellen als bisher die Türken und Tataren."

(Schluß folgt)




Gkkehard der Erste von Se. Gallen
und das lvaltharilied

er rühmliche Eiser, den die Forschung in den letzten Jahren dem
durch Scheffels Ekkehard weithin bekannten lateinischen Liede
vom Helden Waltharius gewidmet hat, ist nicht unbelohnt ge¬
blieben. Deutlich übersieht man schon jetzt den gewonnenen Er-
_trag, und mit andern Augen sehen wir heute das Gedicht an
>wkob Grimm, der es vor mehr als sechzig Jahren mit andern lateinischen
Gedichten des zehnten und elften Jahrhunderts herausgegeben hat. So scheint


Lkkehard der Lrste von Se. Gallen und das Maltharilied

lands in dem Prinzen Ferdinand von Koburg ein neuer Fürst gefunden worden
war. Stambnlows Politik läßt sich mit wenig Worten bezeichnen: Ver¬
hinderung jeder europäischen Intervention in der orientalischen Frage. Nicht
ein Krieg mit der Türkei, der notwendig die Dazwischenkunft der europäischen
Mächte herbeiführen würde, erschien ihm als das richtige Mittel, die Entwick¬
lung Bulgariens zur orientalischen Vormacht zu fördern, sondern im Gegenteil
ein möglichst inniges Einvernehmen mit der Türkei, durch das die europäischen
Mächte' ferngehalten werden konnten, Bulgarien aber Zeit und Möglichkeit
geboten wurde, in den durch deu allmählichen Verfall der Türkei leer werdenden
Raum hineinzuwachsen. — Eine solche Politik mußte Konstnntinopel für Rußland
unerreichbar machen. „Rußland fand — so bemerkt Anton Springer (Ge¬
schichte Österreichs seit dem Wiener Frieden, 1863) bei Besprechung der
griechischen Frage ganz richtig — die eignen Interessen nicht minder gefährdet
durch ein kräftiges selbständiges Auftreten der christlichen Völkerschaften in der
Türkei wie durch eine starke und ungehinderte Pfortenregiernng. Die im
Glauben oder in der Abstammung verwandten Völker an der untern Donau,
Rumänen und Slawen, haben den hohen Preis des russischen Schutzes erst
erfahren müssen und würden die ihnen aufgedrungne Freundschaft früher und
Ästiger zurückgewiesen haben, wenn nicht spröder Eigenwille und sittliche Ver¬
wilderung hier stets ein wüstes Parteileben befruchtet Hütten, das dann immer
wieder russischen Einflüssen den Zugang verschaffte. Das Ziel der russische»
Staatsmänner blieb stets darauf gerichtet, die christlichen Stämme in der
Türkei in einem Halbwescn von Knechtschaft und Selbständigkeit zu erhalten,
sodaß sie, des russischen Schirmes bedürftig, sich den Wünschen des Peters¬
burger Kabinetts gefügig zeigten, ohne aufzuhören, der Pforte Schwierigkeiten
und Hemmungen zu bereiten. Sie werden nicht gänzlich fallen gelassen.
Dieses verbietet die Rücksicht auf die religiösen Anschauungen im eignen Lande
und auf den Machtzuwachs, der der Pforte denn zufallen würde. Sie werden
aber auch an einer kräftigen selbständigen Entwicklung möglichst verhindert,
damit sie nicht in politischen Dingen etwa nur das eigne Wohl befragen
und schließlich den Eroberuugsgelüsteu Rußlands einen festern Damm ent¬
gegenstellen als bisher die Türken und Tataren."

(Schluß folgt)




Gkkehard der Erste von Se. Gallen
und das lvaltharilied

er rühmliche Eiser, den die Forschung in den letzten Jahren dem
durch Scheffels Ekkehard weithin bekannten lateinischen Liede
vom Helden Waltharius gewidmet hat, ist nicht unbelohnt ge¬
blieben. Deutlich übersieht man schon jetzt den gewonnenen Er-
_trag, und mit andern Augen sehen wir heute das Gedicht an
>wkob Grimm, der es vor mehr als sechzig Jahren mit andern lateinischen
Gedichten des zehnten und elften Jahrhunderts herausgegeben hat. So scheint


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/285>, abgerufen am 27.07.2024.