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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die englische Strafrechlspflego

Leben, das dem Reisenden dort entgegentritt, die im Vergleich zu allen andern
Gegenden Italiens, Mailand nicht ausgenommen, intensivere allgemeine Kultur
eröffnen ihm eine leuchtende Perspektive von dem, was Italien vermöge seiner
intellektuellen Kräfte sein könnte, wenn es sich erst aus den mittelalterlichen Banden
des Papsttums befreit hätte.




Die englische Strafrechtspflege
Hugo Bartels von(Schluß)

jie den kleinen Sachen, die im bündigen Verfahren von den
! Friedensrichtern behandelt werden, geben sich der Solicitor des
Schatzamts und seine Vertreter in den Grafschaften überhaupt
uicht ab, und hier muß die Polizei aushelfen. Es leuchtet ein,
!daß bei Übertretung von Ortsverordnungen, für deren Beobach¬
tung die Polizei zu sorgen hat, auch die Polizei als Ankläger auftritt. Wo
jemand geschädigt ist, z. B. durch Diebstahl, wird auch hier erwartet, daß er
die Sache aufnimmt. Immerhin bleibt eine Anzahl Fälle, in denen ein Ver¬
geh" klar vorliegt, ohne daß sich ein privater Ankläger findet, und wo sich auch
der Solieitor des Schatzamts nicht zum Einschreiten veranlaßt sieht. Gesetzt,
ein Diebstahl ist verübt worden. Der Bestohlene hat ihn zur Anzeige gebracht
in der Hoffnung, das Seinige wieder zu erhalten, verspürt aber, da seine Hoff¬
nung fehlschlägt, keine Neigung, sich in weitere Kosten zu stürzen. Weil man
den Dieb nicht einfach laufen lasten will, hat ein Schutzmann die Rolle des An¬
klägers als Vertreter der Polizei zu spielen. Der Schutzmann tut sein Bestes,
aber wenn der Dieb einen findigen Anwalt bezahlen kann, so ist die Aussicht auf
seine Verurteilung nicht sehr groß. Bei schweren Vergehn, die vor die Viertel¬
jahrssitzung oder die Assisen gehören, hat sich die Polizei etwas mehr anzu¬
strengen, und für die Hauptverhandlung wird einer der dort tätigen Anwälte
mit der Anklage betraut. Die Ausgaben haben sich natürlich auf die gesetz¬
lichen Sätze zu beschränken, was der Anklage nicht eben förderlich ist. Ein
nachahmenswertes Beispiel wird von einigen Städten gegeben. Dort ist ein
für allemal ein Solicitor beauftragt, als Staatsanwalt im festländischen Sinne
zu wirken und in allen Straffällen, die in ihrem Gebiete der Polizei bekannt
werden, die Klage zu führen.

So hat wohl ein Missetäter geringe Aussicht, unbehelligt zu bleiben, denn
dafür sorgt die Polizei; doch der weitere Verlauf hängt vielfach davon ab,
von wem und wie und mit welchem Rückhalt an Geldmitteln die Anklage ge¬
führt wird. Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit gibt es nicht und kann es
nicht geben, solange die Hauptlast dem Publikum zugewiesen ist, und eine amt¬
liche Verfolgung nur als Notbehelf erscheint.

In der Abmessung der Strafe ist dem Richter ein ziemlich weiter Spiel¬
raum gelassen, vielleicht ein zu weiter. Wenn die Frau eines reichen Mannes


Die englische Strafrechlspflego

Leben, das dem Reisenden dort entgegentritt, die im Vergleich zu allen andern
Gegenden Italiens, Mailand nicht ausgenommen, intensivere allgemeine Kultur
eröffnen ihm eine leuchtende Perspektive von dem, was Italien vermöge seiner
intellektuellen Kräfte sein könnte, wenn es sich erst aus den mittelalterlichen Banden
des Papsttums befreit hätte.




Die englische Strafrechtspflege
Hugo Bartels von(Schluß)

jie den kleinen Sachen, die im bündigen Verfahren von den
! Friedensrichtern behandelt werden, geben sich der Solicitor des
Schatzamts und seine Vertreter in den Grafschaften überhaupt
uicht ab, und hier muß die Polizei aushelfen. Es leuchtet ein,
!daß bei Übertretung von Ortsverordnungen, für deren Beobach¬
tung die Polizei zu sorgen hat, auch die Polizei als Ankläger auftritt. Wo
jemand geschädigt ist, z. B. durch Diebstahl, wird auch hier erwartet, daß er
die Sache aufnimmt. Immerhin bleibt eine Anzahl Fälle, in denen ein Ver¬
geh» klar vorliegt, ohne daß sich ein privater Ankläger findet, und wo sich auch
der Solieitor des Schatzamts nicht zum Einschreiten veranlaßt sieht. Gesetzt,
ein Diebstahl ist verübt worden. Der Bestohlene hat ihn zur Anzeige gebracht
in der Hoffnung, das Seinige wieder zu erhalten, verspürt aber, da seine Hoff¬
nung fehlschlägt, keine Neigung, sich in weitere Kosten zu stürzen. Weil man
den Dieb nicht einfach laufen lasten will, hat ein Schutzmann die Rolle des An¬
klägers als Vertreter der Polizei zu spielen. Der Schutzmann tut sein Bestes,
aber wenn der Dieb einen findigen Anwalt bezahlen kann, so ist die Aussicht auf
seine Verurteilung nicht sehr groß. Bei schweren Vergehn, die vor die Viertel¬
jahrssitzung oder die Assisen gehören, hat sich die Polizei etwas mehr anzu¬
strengen, und für die Hauptverhandlung wird einer der dort tätigen Anwälte
mit der Anklage betraut. Die Ausgaben haben sich natürlich auf die gesetz¬
lichen Sätze zu beschränken, was der Anklage nicht eben förderlich ist. Ein
nachahmenswertes Beispiel wird von einigen Städten gegeben. Dort ist ein
für allemal ein Solicitor beauftragt, als Staatsanwalt im festländischen Sinne
zu wirken und in allen Straffällen, die in ihrem Gebiete der Polizei bekannt
werden, die Klage zu führen.

So hat wohl ein Missetäter geringe Aussicht, unbehelligt zu bleiben, denn
dafür sorgt die Polizei; doch der weitere Verlauf hängt vielfach davon ab,
von wem und wie und mit welchem Rückhalt an Geldmitteln die Anklage ge¬
führt wird. Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit gibt es nicht und kann es
nicht geben, solange die Hauptlast dem Publikum zugewiesen ist, und eine amt¬
liche Verfolgung nur als Notbehelf erscheint.

In der Abmessung der Strafe ist dem Richter ein ziemlich weiter Spiel¬
raum gelassen, vielleicht ein zu weiter. Wenn die Frau eines reichen Mannes


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[0586] Die englische Strafrechlspflego Leben, das dem Reisenden dort entgegentritt, die im Vergleich zu allen andern Gegenden Italiens, Mailand nicht ausgenommen, intensivere allgemeine Kultur eröffnen ihm eine leuchtende Perspektive von dem, was Italien vermöge seiner intellektuellen Kräfte sein könnte, wenn es sich erst aus den mittelalterlichen Banden des Papsttums befreit hätte. Die englische Strafrechtspflege Hugo Bartels von(Schluß) jie den kleinen Sachen, die im bündigen Verfahren von den ! Friedensrichtern behandelt werden, geben sich der Solicitor des Schatzamts und seine Vertreter in den Grafschaften überhaupt uicht ab, und hier muß die Polizei aushelfen. Es leuchtet ein, !daß bei Übertretung von Ortsverordnungen, für deren Beobach¬ tung die Polizei zu sorgen hat, auch die Polizei als Ankläger auftritt. Wo jemand geschädigt ist, z. B. durch Diebstahl, wird auch hier erwartet, daß er die Sache aufnimmt. Immerhin bleibt eine Anzahl Fälle, in denen ein Ver¬ geh» klar vorliegt, ohne daß sich ein privater Ankläger findet, und wo sich auch der Solieitor des Schatzamts nicht zum Einschreiten veranlaßt sieht. Gesetzt, ein Diebstahl ist verübt worden. Der Bestohlene hat ihn zur Anzeige gebracht in der Hoffnung, das Seinige wieder zu erhalten, verspürt aber, da seine Hoff¬ nung fehlschlägt, keine Neigung, sich in weitere Kosten zu stürzen. Weil man den Dieb nicht einfach laufen lasten will, hat ein Schutzmann die Rolle des An¬ klägers als Vertreter der Polizei zu spielen. Der Schutzmann tut sein Bestes, aber wenn der Dieb einen findigen Anwalt bezahlen kann, so ist die Aussicht auf seine Verurteilung nicht sehr groß. Bei schweren Vergehn, die vor die Viertel¬ jahrssitzung oder die Assisen gehören, hat sich die Polizei etwas mehr anzu¬ strengen, und für die Hauptverhandlung wird einer der dort tätigen Anwälte mit der Anklage betraut. Die Ausgaben haben sich natürlich auf die gesetz¬ lichen Sätze zu beschränken, was der Anklage nicht eben förderlich ist. Ein nachahmenswertes Beispiel wird von einigen Städten gegeben. Dort ist ein für allemal ein Solicitor beauftragt, als Staatsanwalt im festländischen Sinne zu wirken und in allen Straffällen, die in ihrem Gebiete der Polizei bekannt werden, die Klage zu führen. So hat wohl ein Missetäter geringe Aussicht, unbehelligt zu bleiben, denn dafür sorgt die Polizei; doch der weitere Verlauf hängt vielfach davon ab, von wem und wie und mit welchem Rückhalt an Geldmitteln die Anklage ge¬ führt wird. Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit gibt es nicht und kann es nicht geben, solange die Hauptlast dem Publikum zugewiesen ist, und eine amt¬ liche Verfolgung nur als Notbehelf erscheint. In der Abmessung der Strafe ist dem Richter ein ziemlich weiter Spiel¬ raum gelassen, vielleicht ein zu weiter. Wenn die Frau eines reichen Mannes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/586>, abgerufen am 03.07.2024.