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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Gin höhnisches Klerikerleben

er die Zustände im österreichischen Klerus und in den klerikalen
Bildungsanstalten kennt, der wundert sich nicht über die "Los
von Rom-Bewegung," sondern darüber, daß die Masse der öster¬
reichischen Deutschen katholisch zu bleiben vermag. Dem Erfahrnen
erklären freilich Gewohnheit, Trägheit, Vorwiegen der weltlichen
Interessen, politische und soziale Verhältnisse, die Zustände des protestantischen
Kirchenwesens, die Unmöglichkeit, daß das Volk konfessionslos oder religionslos
leben könne, das Rätsel. Ein getreues Bild des böhmischen Klerikerlebens
zeichnet uns ein wackerer und gelehrter Mann, der nach langen, schweren
Kämpfen den geistlichen Stand verlassen hat,") Franz Mach wurde am
26. Oktober 1845 als Sohn eines deutschen Bauern in Horschowitz bei Saaz
geboren. Er zeigte früh bedeutendes Talent, dem jedoch in der schlechten Schule
seines Orts und in der noch schlechter" des Pfarrdorfs nur sehr ungenügende
Pflege zuteil wurde. Großes Vergnügen bereitete dem Knaben das Ministrieren
und das Musizieren auf dem Chor, jenes noch mehr als dieses, obwohl er
schon mit elf Jahren mehrere Instrumente spielte und komponierte. Mit
zwölf Jahren kam er in die Schule der Plansten in Prag, aber nicht, wie der
Vater gerechnet hatte, in die vierte, sondern als ungenügend vorbereitet in die
zweite Klasse. Der Vater nahm ihn deshalb am Schluß des Schuljahrs wieder
heraus, ließ ihn während der Ferien vom Pfarrer privatim vorbereiten und
brachte ihn dann auf das Ghmnasium zu Saaz, dessen Lehrer ebenfalls Geist¬
liche waren: Prämonstratenser ans dem Stift Strahow in Prag; nur für einige
Fächer waren weltliche Lehrer angestellt. Einige der Lehrer scheinen Machs
Andeutungen nach nur sehr unvollkommen für ihr Amt ausgerüstet gewesen zu
sein. Der Verfasser bewährt jedoch allen eine dankbare Erinnerung, wie er
denn überhaupt eine pietätvolle Natur ist; mit Begeisterung hat ihn allerdings
nur einer erfüllt, ein weltlicher "Supplcnt" namens Hackl. Er durchlief alle
Klassen als "Vorzugsschüler" und bestand die Abiturientenprüfung am 26. Juni
1866 -- der Krieg zwang, den Termin so früh anzusetzen -- mit Auszeichnung.

Die Standeswahl bereitete ihm einige Schwierigkeiten aber keine tief¬
gehenden Kämpfe. Für einen Bauernjungen verstand es sich von selbst, daß
er Pater wurde. Nicht, daß ihn die Eltern gedrängt oder gar gezwungen



Das Religions- und Weltproblem. Dogmenkritische und naturwissenschaftlich-
philosophische Untersuchungen für die denkende Menschheit von Franz Mach, vorm. Professor
am k. k. Staats-Obergumnasium in Saaz. Mit einer Selbstbiographie und dem Bildnisse dos
Verfassers. I^XXI. und 1364 Seiten in zwei Teilen. Dresden und Leipzig, E, Piersons
Verlag, 1901.


Gin höhnisches Klerikerleben

er die Zustände im österreichischen Klerus und in den klerikalen
Bildungsanstalten kennt, der wundert sich nicht über die „Los
von Rom-Bewegung," sondern darüber, daß die Masse der öster¬
reichischen Deutschen katholisch zu bleiben vermag. Dem Erfahrnen
erklären freilich Gewohnheit, Trägheit, Vorwiegen der weltlichen
Interessen, politische und soziale Verhältnisse, die Zustände des protestantischen
Kirchenwesens, die Unmöglichkeit, daß das Volk konfessionslos oder religionslos
leben könne, das Rätsel. Ein getreues Bild des böhmischen Klerikerlebens
zeichnet uns ein wackerer und gelehrter Mann, der nach langen, schweren
Kämpfen den geistlichen Stand verlassen hat,") Franz Mach wurde am
26. Oktober 1845 als Sohn eines deutschen Bauern in Horschowitz bei Saaz
geboren. Er zeigte früh bedeutendes Talent, dem jedoch in der schlechten Schule
seines Orts und in der noch schlechter» des Pfarrdorfs nur sehr ungenügende
Pflege zuteil wurde. Großes Vergnügen bereitete dem Knaben das Ministrieren
und das Musizieren auf dem Chor, jenes noch mehr als dieses, obwohl er
schon mit elf Jahren mehrere Instrumente spielte und komponierte. Mit
zwölf Jahren kam er in die Schule der Plansten in Prag, aber nicht, wie der
Vater gerechnet hatte, in die vierte, sondern als ungenügend vorbereitet in die
zweite Klasse. Der Vater nahm ihn deshalb am Schluß des Schuljahrs wieder
heraus, ließ ihn während der Ferien vom Pfarrer privatim vorbereiten und
brachte ihn dann auf das Ghmnasium zu Saaz, dessen Lehrer ebenfalls Geist¬
liche waren: Prämonstratenser ans dem Stift Strahow in Prag; nur für einige
Fächer waren weltliche Lehrer angestellt. Einige der Lehrer scheinen Machs
Andeutungen nach nur sehr unvollkommen für ihr Amt ausgerüstet gewesen zu
sein. Der Verfasser bewährt jedoch allen eine dankbare Erinnerung, wie er
denn überhaupt eine pietätvolle Natur ist; mit Begeisterung hat ihn allerdings
nur einer erfüllt, ein weltlicher „Supplcnt" namens Hackl. Er durchlief alle
Klassen als „Vorzugsschüler" und bestand die Abiturientenprüfung am 26. Juni
1866 — der Krieg zwang, den Termin so früh anzusetzen — mit Auszeichnung.

Die Standeswahl bereitete ihm einige Schwierigkeiten aber keine tief¬
gehenden Kämpfe. Für einen Bauernjungen verstand es sich von selbst, daß
er Pater wurde. Nicht, daß ihn die Eltern gedrängt oder gar gezwungen



Das Religions- und Weltproblem. Dogmenkritische und naturwissenschaftlich-
philosophische Untersuchungen für die denkende Menschheit von Franz Mach, vorm. Professor
am k. k. Staats-Obergumnasium in Saaz. Mit einer Selbstbiographie und dem Bildnisse dos
Verfassers. I^XXI. und 1364 Seiten in zwei Teilen. Dresden und Leipzig, E, Piersons
Verlag, 1901.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/526>, abgerufen am 24.08.2024.