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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Politische Lyrik.

Gottfried Keller hat einmal seine Ansicht über die Patrio¬
tische oder nationale Lyrik seiner Zeit recht knapp und genau ausgesprochen. Er
findet darin überall fast eine gewisse Verschwommenheit und Gedankenarmut und
wünscht deshalb sowohl größere Bestimmtheit als auch Mannigfaltigkeit der Motive.
Vor allem gelte es, eine Reihe von sittlichen Ideen und geschichtlichen Charakter-
zügeu, die das vaterländische Leben bestimmen, in plastische Gestalt zu bringen.
Dieses Urteil (vom 25. Oktober 1858) ist bezeichnend genug. Es ist kaum ein
Jahrzehnt nach der Periode ausgesprochen worden, die man wohl als die Blüte¬
zeit der deutschen politischen Lyrik bezeichnet, und wenn man die bunte Fülle der
Erscheinungen und die rege Teilnahme des Publikums aller Stände in Betracht
zieht, auch so bezeichnen darf. Freilich den positiven Forderungen Kellers würde
aus der übergroßen Zahl dichterischer Kundgebungen dieser Zeit nur ein bescheidner
Bruchteil wirklich genügen. Es klingt viel zu viel rauschende Programmmusik für den
Tagesbedarf daraus entgegen. Weit eher würde ihnen die jüngste Publikation
der Goethe-Gesellschaft entsprechen, die großartige "Aristcia Deutschlands," deren
gedankenreicher, weitschanender Entwurf nicht nnr für Schillers Dichtergröße, sondern
ebenso sehr für die Würde und hohe Bestimmung seines Volkes ein erhebendes
Zeugnis ist. Aber wenn man auch die politischen Dichtungen dieser Periode an
solchem impulsiver Entwurf nicht messen darf, an Temperament und Mannig¬
faltigkeit der Gedanken und Ausdrucksformen herrscht gewiß kein Mangel. Denn
die ganze Aufgeregtheit einer leidenschaftlich bewegten Zeit, all das Wünschen und
Verwünschen, das Fluchen und Segnen, das Hoffen und Drohen findet einen eignen
Widerhall. Ein berauschendes, agitatorisches Element lebt in dieser Dichtung. Man
konnte eben, wie auch Hebbel anerkannte, "in Deutschland nicht länger Veilchen
begießen oder sich in den farbigen Schmelz des Schmetterlingsflügels vertiefen,
während man in Frankreich und England den Gesellschaftsvertrag untersuchte und
an allen Fundamenten des Staats und der Kirche rüttelte." Aber währeud man
jetzt das Verdienst dieser politischen Lyriker, den Blick für die Forderungen der
Gegenwart geschärft und den Übergang voni Abstrakten zum Konkreter gefördert
zu haben, kaum noch bestreitet, wird ihre Bedeutung für unsre nationale Entwick¬
lung, ihre vorbereitende Arbeit für den Aufbau eines machtvollen, einigen deutschen
Kaiserreichs noch vielfach unterschätzt. Allerdings muß man aufmerksam und unver¬
drossen sein, wenn man aus dein oft betciubeudeu Gewirr von gellenden Kampfes¬
fanfaren und Sturmglockengeläut, von schwungvollen Deklamationen und ernüch¬
ternden Erörterungen, von zornsprühenden Gehässigkeiten und jauchzenden Prophe¬
zeiungen immer die reinen und lebensvollen Töne heraushören will. Um diese nicht
eben leichte Aufgabe hat sich Christian Pelzel in seinem Buche: Die Blüte¬
zeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850 (München, I. F. Leh-
manns Verlag, 1902) mit Erfolg bemüht.

Der Verfasser will damit ebenso einen Beitrag zur deutschen Literatur wie
zur Nationalgeschichte bieten. Im Grunde genommen aber ist er weniger ein
ästhetischer als vielmehr ein politischer Apologet. Die lyrische Dichtung dieses
Zeitraums als wirkende Kraft für die "geistig-sittliche Vorbereitung und Grund¬
legung des deutschen Nationalstaats" zum allgemeiner" Verständnis zu bringen,
ihren Wert "für die künstlerische und die literarische, wie für die staatliche, gesell¬
schaftliche und allgemeine Entwicklung unsers Volkes" zu offenbaren und zu wür¬
digen, ist sein Ziel. Das hat er aber durch seine eingehende Übersicht trefflich er¬
reicht. Denn er zeigt nicht nur in der geschickt getroffneu Auswahl schärfer als
je zuvor die auf die Zukunft deutenden Keime, sondern liefert mich zu seinen Proben
einen ausgiebigen, lehrreichen Kommentar, der ebenso über die dichterischen Indi¬
vidualitäten wie über zeitgeschichtliche Voraussetzungen orientiert.

Eine geschichtliche Einleitung erweitert und vertieft die schon von Prutz ge¬
gebne Verteidigung, dann charakterisiert er die Dichtungen über den "freien deutschen
Rhein" genauer, die nach Nikolaus Beckers Rheinlied, das durch seinen ungeheuern


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Politische Lyrik.

Gottfried Keller hat einmal seine Ansicht über die Patrio¬
tische oder nationale Lyrik seiner Zeit recht knapp und genau ausgesprochen. Er
findet darin überall fast eine gewisse Verschwommenheit und Gedankenarmut und
wünscht deshalb sowohl größere Bestimmtheit als auch Mannigfaltigkeit der Motive.
Vor allem gelte es, eine Reihe von sittlichen Ideen und geschichtlichen Charakter-
zügeu, die das vaterländische Leben bestimmen, in plastische Gestalt zu bringen.
Dieses Urteil (vom 25. Oktober 1858) ist bezeichnend genug. Es ist kaum ein
Jahrzehnt nach der Periode ausgesprochen worden, die man wohl als die Blüte¬
zeit der deutschen politischen Lyrik bezeichnet, und wenn man die bunte Fülle der
Erscheinungen und die rege Teilnahme des Publikums aller Stände in Betracht
zieht, auch so bezeichnen darf. Freilich den positiven Forderungen Kellers würde
aus der übergroßen Zahl dichterischer Kundgebungen dieser Zeit nur ein bescheidner
Bruchteil wirklich genügen. Es klingt viel zu viel rauschende Programmmusik für den
Tagesbedarf daraus entgegen. Weit eher würde ihnen die jüngste Publikation
der Goethe-Gesellschaft entsprechen, die großartige „Aristcia Deutschlands," deren
gedankenreicher, weitschanender Entwurf nicht nnr für Schillers Dichtergröße, sondern
ebenso sehr für die Würde und hohe Bestimmung seines Volkes ein erhebendes
Zeugnis ist. Aber wenn man auch die politischen Dichtungen dieser Periode an
solchem impulsiver Entwurf nicht messen darf, an Temperament und Mannig¬
faltigkeit der Gedanken und Ausdrucksformen herrscht gewiß kein Mangel. Denn
die ganze Aufgeregtheit einer leidenschaftlich bewegten Zeit, all das Wünschen und
Verwünschen, das Fluchen und Segnen, das Hoffen und Drohen findet einen eignen
Widerhall. Ein berauschendes, agitatorisches Element lebt in dieser Dichtung. Man
konnte eben, wie auch Hebbel anerkannte, „in Deutschland nicht länger Veilchen
begießen oder sich in den farbigen Schmelz des Schmetterlingsflügels vertiefen,
während man in Frankreich und England den Gesellschaftsvertrag untersuchte und
an allen Fundamenten des Staats und der Kirche rüttelte." Aber währeud man
jetzt das Verdienst dieser politischen Lyriker, den Blick für die Forderungen der
Gegenwart geschärft und den Übergang voni Abstrakten zum Konkreter gefördert
zu haben, kaum noch bestreitet, wird ihre Bedeutung für unsre nationale Entwick¬
lung, ihre vorbereitende Arbeit für den Aufbau eines machtvollen, einigen deutschen
Kaiserreichs noch vielfach unterschätzt. Allerdings muß man aufmerksam und unver¬
drossen sein, wenn man aus dein oft betciubeudeu Gewirr von gellenden Kampfes¬
fanfaren und Sturmglockengeläut, von schwungvollen Deklamationen und ernüch¬
ternden Erörterungen, von zornsprühenden Gehässigkeiten und jauchzenden Prophe¬
zeiungen immer die reinen und lebensvollen Töne heraushören will. Um diese nicht
eben leichte Aufgabe hat sich Christian Pelzel in seinem Buche: Die Blüte¬
zeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850 (München, I. F. Leh-
manns Verlag, 1902) mit Erfolg bemüht.

Der Verfasser will damit ebenso einen Beitrag zur deutschen Literatur wie
zur Nationalgeschichte bieten. Im Grunde genommen aber ist er weniger ein
ästhetischer als vielmehr ein politischer Apologet. Die lyrische Dichtung dieses
Zeitraums als wirkende Kraft für die „geistig-sittliche Vorbereitung und Grund¬
legung des deutschen Nationalstaats" zum allgemeiner» Verständnis zu bringen,
ihren Wert „für die künstlerische und die literarische, wie für die staatliche, gesell¬
schaftliche und allgemeine Entwicklung unsers Volkes" zu offenbaren und zu wür¬
digen, ist sein Ziel. Das hat er aber durch seine eingehende Übersicht trefflich er¬
reicht. Denn er zeigt nicht nur in der geschickt getroffneu Auswahl schärfer als
je zuvor die auf die Zukunft deutenden Keime, sondern liefert mich zu seinen Proben
einen ausgiebigen, lehrreichen Kommentar, der ebenso über die dichterischen Indi¬
vidualitäten wie über zeitgeschichtliche Voraussetzungen orientiert.

Eine geschichtliche Einleitung erweitert und vertieft die schon von Prutz ge¬
gebne Verteidigung, dann charakterisiert er die Dichtungen über den „freien deutschen
Rhein" genauer, die nach Nikolaus Beckers Rheinlied, das durch seinen ungeheuern


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[0496] Maßgebliches und Unmaßgebliches Politische Lyrik. Gottfried Keller hat einmal seine Ansicht über die Patrio¬ tische oder nationale Lyrik seiner Zeit recht knapp und genau ausgesprochen. Er findet darin überall fast eine gewisse Verschwommenheit und Gedankenarmut und wünscht deshalb sowohl größere Bestimmtheit als auch Mannigfaltigkeit der Motive. Vor allem gelte es, eine Reihe von sittlichen Ideen und geschichtlichen Charakter- zügeu, die das vaterländische Leben bestimmen, in plastische Gestalt zu bringen. Dieses Urteil (vom 25. Oktober 1858) ist bezeichnend genug. Es ist kaum ein Jahrzehnt nach der Periode ausgesprochen worden, die man wohl als die Blüte¬ zeit der deutschen politischen Lyrik bezeichnet, und wenn man die bunte Fülle der Erscheinungen und die rege Teilnahme des Publikums aller Stände in Betracht zieht, auch so bezeichnen darf. Freilich den positiven Forderungen Kellers würde aus der übergroßen Zahl dichterischer Kundgebungen dieser Zeit nur ein bescheidner Bruchteil wirklich genügen. Es klingt viel zu viel rauschende Programmmusik für den Tagesbedarf daraus entgegen. Weit eher würde ihnen die jüngste Publikation der Goethe-Gesellschaft entsprechen, die großartige „Aristcia Deutschlands," deren gedankenreicher, weitschanender Entwurf nicht nnr für Schillers Dichtergröße, sondern ebenso sehr für die Würde und hohe Bestimmung seines Volkes ein erhebendes Zeugnis ist. Aber wenn man auch die politischen Dichtungen dieser Periode an solchem impulsiver Entwurf nicht messen darf, an Temperament und Mannig¬ faltigkeit der Gedanken und Ausdrucksformen herrscht gewiß kein Mangel. Denn die ganze Aufgeregtheit einer leidenschaftlich bewegten Zeit, all das Wünschen und Verwünschen, das Fluchen und Segnen, das Hoffen und Drohen findet einen eignen Widerhall. Ein berauschendes, agitatorisches Element lebt in dieser Dichtung. Man konnte eben, wie auch Hebbel anerkannte, „in Deutschland nicht länger Veilchen begießen oder sich in den farbigen Schmelz des Schmetterlingsflügels vertiefen, während man in Frankreich und England den Gesellschaftsvertrag untersuchte und an allen Fundamenten des Staats und der Kirche rüttelte." Aber währeud man jetzt das Verdienst dieser politischen Lyriker, den Blick für die Forderungen der Gegenwart geschärft und den Übergang voni Abstrakten zum Konkreter gefördert zu haben, kaum noch bestreitet, wird ihre Bedeutung für unsre nationale Entwick¬ lung, ihre vorbereitende Arbeit für den Aufbau eines machtvollen, einigen deutschen Kaiserreichs noch vielfach unterschätzt. Allerdings muß man aufmerksam und unver¬ drossen sein, wenn man aus dein oft betciubeudeu Gewirr von gellenden Kampfes¬ fanfaren und Sturmglockengeläut, von schwungvollen Deklamationen und ernüch¬ ternden Erörterungen, von zornsprühenden Gehässigkeiten und jauchzenden Prophe¬ zeiungen immer die reinen und lebensvollen Töne heraushören will. Um diese nicht eben leichte Aufgabe hat sich Christian Pelzel in seinem Buche: Die Blüte¬ zeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850 (München, I. F. Leh- manns Verlag, 1902) mit Erfolg bemüht. Der Verfasser will damit ebenso einen Beitrag zur deutschen Literatur wie zur Nationalgeschichte bieten. Im Grunde genommen aber ist er weniger ein ästhetischer als vielmehr ein politischer Apologet. Die lyrische Dichtung dieses Zeitraums als wirkende Kraft für die „geistig-sittliche Vorbereitung und Grund¬ legung des deutschen Nationalstaats" zum allgemeiner» Verständnis zu bringen, ihren Wert „für die künstlerische und die literarische, wie für die staatliche, gesell¬ schaftliche und allgemeine Entwicklung unsers Volkes" zu offenbaren und zu wür¬ digen, ist sein Ziel. Das hat er aber durch seine eingehende Übersicht trefflich er¬ reicht. Denn er zeigt nicht nur in der geschickt getroffneu Auswahl schärfer als je zuvor die auf die Zukunft deutenden Keime, sondern liefert mich zu seinen Proben einen ausgiebigen, lehrreichen Kommentar, der ebenso über die dichterischen Indi¬ vidualitäten wie über zeitgeschichtliche Voraussetzungen orientiert. Eine geschichtliche Einleitung erweitert und vertieft die schon von Prutz ge¬ gebne Verteidigung, dann charakterisiert er die Dichtungen über den „freien deutschen Rhein" genauer, die nach Nikolaus Beckers Rheinlied, das durch seinen ungeheuern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/496>, abgerufen am 03.07.2024.