Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches mir aber war es höchst unangenehm. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der Wieder schon dahin, in den ersten Stadtteil! Auch die kurzen Visiten wurden seltner als früher. Jemeljcm Afcmasjewitsch (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Finnland. Wenn Pius der Neunte den Grundsatz der Nichtintervention Maßgebliches und Unmaßgebliches mir aber war es höchst unangenehm. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der Wieder schon dahin, in den ersten Stadtteil! Auch die kurzen Visiten wurden seltner als früher. Jemeljcm Afcmasjewitsch (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Finnland. Wenn Pius der Neunte den Grundsatz der Nichtintervention <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240498"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> mir aber war es höchst unangenehm. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der<lb/> anhängliche, aber immerhin rohe Mensch auf die Fragen seiner Bekannten oder<lb/> Kameraden mit der Hand wegwerfend winken und sagen würde:</p><lb/> <p xml:id="ID_652"> Wieder schon dahin, in den ersten Stadtteil!</p><lb/> <p xml:id="ID_653"> Auch die kurzen Visiten wurden seltner als früher. Jemeljcm Afcmasjewitsch<lb/> hatte es richtig vorausgesehen. Südwinde begannen zu wehen. Tauwetter trat<lb/> ein. Sprang der Luftzug daun und wann auch wieder nach Norden um, und<lb/> fror es dann anch in der Nacht, so wärmte am Tage die Sonne schon kräftig.<lb/> Der Schnee schmolz und verwandelte sich auf den Straßen und an betretenen<lb/> Stellen in morsches Eis, dessen Oberfläche sich mit Mist und all den Unreinlich-<lb/> keiten bedeckte, die im Laufe des Winters nicht sichtbar gewesen waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_654"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Finnland.</head> <p xml:id="ID_655" next="#ID_656"> Wenn Pius der Neunte den Grundsatz der Nichtintervention<lb/> verdammte, so geschah es zu einem verwerflichen Zweck: er wollte, daß Österreich<lb/> und Frankreich die Italiener zwingen sollten, sich den elenden Kirchenstaat und die<lb/> elende Bourbonenherrschaft gefallen zu lassen. Jedoch abgesehen davon, daß ihm<lb/> selbst gegenüber dieser Grundsatz des modernen Staatsrechts schlecht genug beob¬<lb/> achtet worden war — denn die internationale Revolution arbeitete in Italien<lb/> unter englischem Schutz, und die europäische Diplomatie setzte den Regierungen der<lb/> italienischen Mittelstaaten mit unerbetueu Ratschlägen zu —, abgesehen von dieser<lb/> Inkonsequenz, die ihn berechtigte, die Verkündiger des neuen Grundsatzes der Un-<lb/> aufrichtigkeit zu zeihen, hatte er, wie jedermann, auch das Recht, diesen Grundsatz<lb/> selbst anzufechten. Oder vielmehr er hätte es gehabt, wenn er nicht selbst den<lb/> allerüberspanntesten Souveränitätsbegriff für das Papsttum in Anspruch genommen<lb/> hätte. Es gibt keine absolute Gewalt auf Erden, keine Gewalt, die sich nicht<lb/> unter Umständen von andern Gewalten müßte zügeln und zurechtweisen lassen, und<lb/> höher als die Idee des sonveriinen Staats steht die mittelalterliche — freilich ihrer-<lb/> zeit recht elend verwirklichte — Idee der christlichen Völkerfamilie, deren Glieder<lb/> die Pflicht haben, einander zu Hilfe zu kommen — auch gegen schlechte Regierungen;<lb/> gerade in Italien hatten das ja die Völker Enropas getan, freilich nicht im Namen<lb/> des Christentums, sondern im Namen der Humanität, aber auf den Namen kommt<lb/> so viel nicht an. In Barbaren- und Halbbarbarenstaaten jedoch zögern die euro¬<lb/> päischen Regierungen auch heute noch keinen Augenblick, sich eiuzumijcheu, wenn ein<lb/> wichtiger Anlaß vorliegt; wenn man glaubt, daß Geldforderungen die Einmischung<lb/> rechtfertigen, die Niedermetzlung christlicher Untertanen eines mohammedanischen<lb/> Herrschers dagegen nicht, so ist das nicht gerade geeignet, uns mit Ehrfurcht vor<lb/> der allermodernsten Kultur zu erfüllen. China gegenüber, wo die Sache ein wenig<lb/> anders lag, ist ja sogar die Idee der Solidarität der Christenvölker wieder erweckt<lb/> worden. Also der Grundsatz der Nichteinmischung soll nicht gelten, wenn die Inter¬<lb/> essen von Angehörigen der christlichen Staateufamilie durch einen Barbarenstaat ver¬<lb/> letzt werden. Aber auch die Südamerikaner scheint man, und wohl nicht ganz mit<lb/> Unrecht, Vorkommendenfalls als Barbaren behandeln zu wollen, und auch die<lb/> kleinen Christenstaaten der Balkanhalbinsel ruft man zur Ordnung, wenn sie sich<lb/> lästig machen. Der Christcnname tuts also nicht allein; es wird der Rang eines<lb/> Kulturstaats verlangt, wenn die Souveränität respektiert werden soll. Aber stehn<lb/> das russische Volk und das russische Staatswesen wirklich in der Kultur so hoch<lb/> über Griechenland und Bulgarien, daß ihnen gegenüber der Grundsatz der Nicht¬<lb/> intervention gelten müßte? Oder ist es bloß die russische Armee und Flotte, was<lb/> den Unterschied ausmacht? Nehmen wir an, das zweite sei der Fall, und weil</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
mir aber war es höchst unangenehm. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der
anhängliche, aber immerhin rohe Mensch auf die Fragen seiner Bekannten oder
Kameraden mit der Hand wegwerfend winken und sagen würde:
Wieder schon dahin, in den ersten Stadtteil!
Auch die kurzen Visiten wurden seltner als früher. Jemeljcm Afcmasjewitsch
hatte es richtig vorausgesehen. Südwinde begannen zu wehen. Tauwetter trat
ein. Sprang der Luftzug daun und wann auch wieder nach Norden um, und
fror es dann anch in der Nacht, so wärmte am Tage die Sonne schon kräftig.
Der Schnee schmolz und verwandelte sich auf den Straßen und an betretenen
Stellen in morsches Eis, dessen Oberfläche sich mit Mist und all den Unreinlich-
keiten bedeckte, die im Laufe des Winters nicht sichtbar gewesen waren.
(Fortsetzung folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Finnland. Wenn Pius der Neunte den Grundsatz der Nichtintervention
verdammte, so geschah es zu einem verwerflichen Zweck: er wollte, daß Österreich
und Frankreich die Italiener zwingen sollten, sich den elenden Kirchenstaat und die
elende Bourbonenherrschaft gefallen zu lassen. Jedoch abgesehen davon, daß ihm
selbst gegenüber dieser Grundsatz des modernen Staatsrechts schlecht genug beob¬
achtet worden war — denn die internationale Revolution arbeitete in Italien
unter englischem Schutz, und die europäische Diplomatie setzte den Regierungen der
italienischen Mittelstaaten mit unerbetueu Ratschlägen zu —, abgesehen von dieser
Inkonsequenz, die ihn berechtigte, die Verkündiger des neuen Grundsatzes der Un-
aufrichtigkeit zu zeihen, hatte er, wie jedermann, auch das Recht, diesen Grundsatz
selbst anzufechten. Oder vielmehr er hätte es gehabt, wenn er nicht selbst den
allerüberspanntesten Souveränitätsbegriff für das Papsttum in Anspruch genommen
hätte. Es gibt keine absolute Gewalt auf Erden, keine Gewalt, die sich nicht
unter Umständen von andern Gewalten müßte zügeln und zurechtweisen lassen, und
höher als die Idee des sonveriinen Staats steht die mittelalterliche — freilich ihrer-
zeit recht elend verwirklichte — Idee der christlichen Völkerfamilie, deren Glieder
die Pflicht haben, einander zu Hilfe zu kommen — auch gegen schlechte Regierungen;
gerade in Italien hatten das ja die Völker Enropas getan, freilich nicht im Namen
des Christentums, sondern im Namen der Humanität, aber auf den Namen kommt
so viel nicht an. In Barbaren- und Halbbarbarenstaaten jedoch zögern die euro¬
päischen Regierungen auch heute noch keinen Augenblick, sich eiuzumijcheu, wenn ein
wichtiger Anlaß vorliegt; wenn man glaubt, daß Geldforderungen die Einmischung
rechtfertigen, die Niedermetzlung christlicher Untertanen eines mohammedanischen
Herrschers dagegen nicht, so ist das nicht gerade geeignet, uns mit Ehrfurcht vor
der allermodernsten Kultur zu erfüllen. China gegenüber, wo die Sache ein wenig
anders lag, ist ja sogar die Idee der Solidarität der Christenvölker wieder erweckt
worden. Also der Grundsatz der Nichteinmischung soll nicht gelten, wenn die Inter¬
essen von Angehörigen der christlichen Staateufamilie durch einen Barbarenstaat ver¬
letzt werden. Aber auch die Südamerikaner scheint man, und wohl nicht ganz mit
Unrecht, Vorkommendenfalls als Barbaren behandeln zu wollen, und auch die
kleinen Christenstaaten der Balkanhalbinsel ruft man zur Ordnung, wenn sie sich
lästig machen. Der Christcnname tuts also nicht allein; es wird der Rang eines
Kulturstaats verlangt, wenn die Souveränität respektiert werden soll. Aber stehn
das russische Volk und das russische Staatswesen wirklich in der Kultur so hoch
über Griechenland und Bulgarien, daß ihnen gegenüber der Grundsatz der Nicht¬
intervention gelten müßte? Oder ist es bloß die russische Armee und Flotte, was
den Unterschied ausmacht? Nehmen wir an, das zweite sei der Fall, und weil
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |