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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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^as Miquelsche (Linkominensteuergesetz im Jahre M).)

ehr Jahre sind verflossen, daß das bedeutendste der Miqnelschen
Neformgesetze, das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891,
in Geltung ist. An Angriffen hat es ihm in dieser Zeit nicht
gefehlt. Aber mich seine heftigsten Widersacher haben das Zu¬
geständnis machen müssen, das; das Gesetz gegen den vorher
geltenden Rechtszustand nicht allein eine Besserung bedeutet, daß, man sagt
damit nicht zu viel, offenbares Unrecht, die schonende Behandlung der wohl
habenden Klassen der Bevölkerung, einer nach gerechten und billigen Grund¬
sätzen bemessenen Besteuerung aller Steuerpflichtigen gewichen ist.

In der Wissenschaft war kein Streit darüber, daß Gerechtigkeit in der
Verbindung mit Allgemeinheit und Gleichmäßigkeit das vornehmste Gebot
jeder Besteuerung sein müsse. Aber ein wie langer Zeitraum war nötig, bis
diese dem gesunden Menschenverstande so selbstverständlich klingende Forderung
von den Gesetzgebern anerkannt und in die Tat umgesetzt wurde.

Die Mensche,, vergessen schnell; darin liegt die Erklärung, daß bei einer
so eindringlich in die privaten Verhältnisse eingreifenden Maßnahme des
Staats, wie es die Steuerforderung ist, die sich an eine der empfindlichsten
Stellen des Menschen, an den Geldbeutel, herrisch Befriedigung fordernd,
wendet, die Erinnerung an die Zustünde ans dem Gebiete der Stcuerverwaltung
vor dem Jahre 1893 fast verschwunden ist. Und der Unterschied ist doch
sehr groß.

Das Gesetz über die Klassen- und die klassifizierte Einkommensteuer vom
25. Mai 1873 bedeutete in der Entwicklung der Einkommensteuer, die sich in
Preußen aus der 1811 eingeführten Kopfsteuer zur Klassen- und dann zur
Einkommensteuer umgewandelt hatte, einen Fortschritt. Bei den Gesetzgebern
hatten freilich die obersten Grundsätze der Besteuerung noch nicht allgemeine
Anerkennung gefunden, das Gesetz war ein Kompromiß zwischen den noch
W'fachen wirtschaftlichen Verhältnissen der Vergangenheit und der herauf¬
gehenden Ära des Handels und der Industrie, zwischen den Lehren der Wissen¬
schaft und dem Herkommen, der geschichtlichen Entwicklung mit den daraus
abgeleiteten Ansprüchen der herrschenden Stunde.


Grenzboten I 190!! 73


^as Miquelsche (Linkominensteuergesetz im Jahre M).)

ehr Jahre sind verflossen, daß das bedeutendste der Miqnelschen
Neformgesetze, das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891,
in Geltung ist. An Angriffen hat es ihm in dieser Zeit nicht
gefehlt. Aber mich seine heftigsten Widersacher haben das Zu¬
geständnis machen müssen, das; das Gesetz gegen den vorher
geltenden Rechtszustand nicht allein eine Besserung bedeutet, daß, man sagt
damit nicht zu viel, offenbares Unrecht, die schonende Behandlung der wohl
habenden Klassen der Bevölkerung, einer nach gerechten und billigen Grund¬
sätzen bemessenen Besteuerung aller Steuerpflichtigen gewichen ist.

In der Wissenschaft war kein Streit darüber, daß Gerechtigkeit in der
Verbindung mit Allgemeinheit und Gleichmäßigkeit das vornehmste Gebot
jeder Besteuerung sein müsse. Aber ein wie langer Zeitraum war nötig, bis
diese dem gesunden Menschenverstande so selbstverständlich klingende Forderung
von den Gesetzgebern anerkannt und in die Tat umgesetzt wurde.

Die Mensche,, vergessen schnell; darin liegt die Erklärung, daß bei einer
so eindringlich in die privaten Verhältnisse eingreifenden Maßnahme des
Staats, wie es die Steuerforderung ist, die sich an eine der empfindlichsten
Stellen des Menschen, an den Geldbeutel, herrisch Befriedigung fordernd,
wendet, die Erinnerung an die Zustünde ans dem Gebiete der Stcuerverwaltung
vor dem Jahre 1893 fast verschwunden ist. Und der Unterschied ist doch
sehr groß.

Das Gesetz über die Klassen- und die klassifizierte Einkommensteuer vom
25. Mai 1873 bedeutete in der Entwicklung der Einkommensteuer, die sich in
Preußen aus der 1811 eingeführten Kopfsteuer zur Klassen- und dann zur
Einkommensteuer umgewandelt hatte, einen Fortschritt. Bei den Gesetzgebern
hatten freilich die obersten Grundsätze der Besteuerung noch nicht allgemeine
Anerkennung gefunden, das Gesetz war ein Kompromiß zwischen den noch
W'fachen wirtschaftlichen Verhältnissen der Vergangenheit und der herauf¬
gehenden Ära des Handels und der Industrie, zwischen den Lehren der Wissen¬
schaft und dem Herkommen, der geschichtlichen Entwicklung mit den daraus
abgeleiteten Ansprüchen der herrschenden Stunde.


Grenzboten I 190!! 73
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[0577] [Abbildung] ^as Miquelsche (Linkominensteuergesetz im Jahre M).) ehr Jahre sind verflossen, daß das bedeutendste der Miqnelschen Neformgesetze, das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891, in Geltung ist. An Angriffen hat es ihm in dieser Zeit nicht gefehlt. Aber mich seine heftigsten Widersacher haben das Zu¬ geständnis machen müssen, das; das Gesetz gegen den vorher geltenden Rechtszustand nicht allein eine Besserung bedeutet, daß, man sagt damit nicht zu viel, offenbares Unrecht, die schonende Behandlung der wohl habenden Klassen der Bevölkerung, einer nach gerechten und billigen Grund¬ sätzen bemessenen Besteuerung aller Steuerpflichtigen gewichen ist. In der Wissenschaft war kein Streit darüber, daß Gerechtigkeit in der Verbindung mit Allgemeinheit und Gleichmäßigkeit das vornehmste Gebot jeder Besteuerung sein müsse. Aber ein wie langer Zeitraum war nötig, bis diese dem gesunden Menschenverstande so selbstverständlich klingende Forderung von den Gesetzgebern anerkannt und in die Tat umgesetzt wurde. Die Mensche,, vergessen schnell; darin liegt die Erklärung, daß bei einer so eindringlich in die privaten Verhältnisse eingreifenden Maßnahme des Staats, wie es die Steuerforderung ist, die sich an eine der empfindlichsten Stellen des Menschen, an den Geldbeutel, herrisch Befriedigung fordernd, wendet, die Erinnerung an die Zustünde ans dem Gebiete der Stcuerverwaltung vor dem Jahre 1893 fast verschwunden ist. Und der Unterschied ist doch sehr groß. Das Gesetz über die Klassen- und die klassifizierte Einkommensteuer vom 25. Mai 1873 bedeutete in der Entwicklung der Einkommensteuer, die sich in Preußen aus der 1811 eingeführten Kopfsteuer zur Klassen- und dann zur Einkommensteuer umgewandelt hatte, einen Fortschritt. Bei den Gesetzgebern hatten freilich die obersten Grundsätze der Besteuerung noch nicht allgemeine Anerkennung gefunden, das Gesetz war ein Kompromiß zwischen den noch W'fachen wirtschaftlichen Verhältnissen der Vergangenheit und der herauf¬ gehenden Ära des Handels und der Industrie, zwischen den Lehren der Wissen¬ schaft und dem Herkommen, der geschichtlichen Entwicklung mit den daraus abgeleiteten Ansprüchen der herrschenden Stunde. Grenzboten I 190!! 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/577>, abgerufen am 27.11.2024.