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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Horbstbilder von der Roter und der pulsnitz

Dein Himmel muß man Liebesnot vertrauen,
Gold schafft uns Land, das Schicksal unsre Frauen.

Auch hier also ist Falstaff Folie. Dies -- nicht etwa die "Unlust" des
Dichters -- ist auch der Grund, warum Fallstaffs Humor hier "nicht so siegreich"
hervortritt wie in Heinrich dem Vierten. Einesteils liegt seinem Charakter die
Rolle, die er hier spielt, nicht -- die einzige Form der Liebe, deren er fähig ist,
wird uns ja im zweiten Teil von Heinrich dem Vierten geschildert --; vor allem
aber ließ die Zartheit des Gegenstands eine humoristischere, also mildere Dar¬
stellung seines Gebarens nicht zu; die Pointe des Lustspiels würde dadurch
zerstört worden sein. In einer Apotheose der echten uneigennützigen Liebe -- das
sind die "Luftiger Weiber" -- konnte ein Charakter wie Falstaff, der sich
nicht sehnend, sogar dieses heiligste der Gefühle zu mißbrauchen, nur verhöhnt
werden, und die großartige Ironie, mit der das geschieht, ist Shakespeares
durchaus würdig und zeigt sein Genie und seinen Humor in ihrer vollen, über¬
legnen Größe.




Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz
Otto Ldnard Schmidt von
2. <Line Fahrt um die Meißnisch-Lausitzische Nordostgrenze

^e-W! le alte Mark Meißen bestand aus den Gauen Nisani und Dala-
minzi. Beide hatten als Südgrenze den ungeheuern Urwald des
östlichen Erzgebirges, den Miriquidi, als Nordgrenze Dalmninzis
dienten die von Mühlberg (Moleberg -- Grenzburg) zur untern
I Roter und Schwarzen Elster streichenden Wälder, die durch den
Teufelsgraben (voll den Katzschhäusern bis Koselitz) und andre Befestigungen
unwegsam gemacht wordeu waren. Weiter nach Osten zu war die Pulsnitz
oder vielmehr die die Pulsnitz ans beiden Seiten begleitenden Wälder die Grenze
gegen die slavischen Gaue der Lusizi (Niederlattsitz) und Milzieni (Oberlausitz).
Denn die Deutschen liebten nicht wie die haarscharf messenden Römer die Linear¬
grenze, sondern die breite Flüchengrenze; erst allmählich haben sich Bachgrenzen
und durch Steine bezeichnete Grenzlinien bei ihnen eingebürgert.

Die fortschreitende Besiedlung hat die alten Grenzwälder gelichtet, die
Teilung Sachsens im Jahre 1815 hat die Grenzbezirke der Mark Meißen po¬
litisch zerrissen, aber alte Grenzen haben ein zähes Leben. Vielleicht sind noch
Spuren ihrer Organisation oder andre bemerkenswerte Denkmäler der Vergangen-
heit in diesen nur selten aufgesuchten Gegenden erkennbar -- so dachte ich, als
ich mich an einem schönen Herbsttage zur Reise dahin anschickte. Denn für den
Sachsen hört ja die Welt für gewöhnlich in Großenhain auf, und sie beginnt
nordwärts erst da wieder, wo ihm die überwältigende Lichtfülle der großen Halle
des AnHalter Bahnhofs sagt: Du bist in Berlin. Für das, was dazwischenliegt,
hat der moderne Reisende keine Zeit übrig. Deshalb empfindet man so einen


Horbstbilder von der Roter und der pulsnitz

Dein Himmel muß man Liebesnot vertrauen,
Gold schafft uns Land, das Schicksal unsre Frauen.

Auch hier also ist Falstaff Folie. Dies — nicht etwa die „Unlust" des
Dichters — ist auch der Grund, warum Fallstaffs Humor hier „nicht so siegreich"
hervortritt wie in Heinrich dem Vierten. Einesteils liegt seinem Charakter die
Rolle, die er hier spielt, nicht — die einzige Form der Liebe, deren er fähig ist,
wird uns ja im zweiten Teil von Heinrich dem Vierten geschildert —; vor allem
aber ließ die Zartheit des Gegenstands eine humoristischere, also mildere Dar¬
stellung seines Gebarens nicht zu; die Pointe des Lustspiels würde dadurch
zerstört worden sein. In einer Apotheose der echten uneigennützigen Liebe — das
sind die „Luftiger Weiber" — konnte ein Charakter wie Falstaff, der sich
nicht sehnend, sogar dieses heiligste der Gefühle zu mißbrauchen, nur verhöhnt
werden, und die großartige Ironie, mit der das geschieht, ist Shakespeares
durchaus würdig und zeigt sein Genie und seinen Humor in ihrer vollen, über¬
legnen Größe.




Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz
Otto Ldnard Schmidt von
2. <Line Fahrt um die Meißnisch-Lausitzische Nordostgrenze

^e-W! le alte Mark Meißen bestand aus den Gauen Nisani und Dala-
minzi. Beide hatten als Südgrenze den ungeheuern Urwald des
östlichen Erzgebirges, den Miriquidi, als Nordgrenze Dalmninzis
dienten die von Mühlberg (Moleberg — Grenzburg) zur untern
I Roter und Schwarzen Elster streichenden Wälder, die durch den
Teufelsgraben (voll den Katzschhäusern bis Koselitz) und andre Befestigungen
unwegsam gemacht wordeu waren. Weiter nach Osten zu war die Pulsnitz
oder vielmehr die die Pulsnitz ans beiden Seiten begleitenden Wälder die Grenze
gegen die slavischen Gaue der Lusizi (Niederlattsitz) und Milzieni (Oberlausitz).
Denn die Deutschen liebten nicht wie die haarscharf messenden Römer die Linear¬
grenze, sondern die breite Flüchengrenze; erst allmählich haben sich Bachgrenzen
und durch Steine bezeichnete Grenzlinien bei ihnen eingebürgert.

Die fortschreitende Besiedlung hat die alten Grenzwälder gelichtet, die
Teilung Sachsens im Jahre 1815 hat die Grenzbezirke der Mark Meißen po¬
litisch zerrissen, aber alte Grenzen haben ein zähes Leben. Vielleicht sind noch
Spuren ihrer Organisation oder andre bemerkenswerte Denkmäler der Vergangen-
heit in diesen nur selten aufgesuchten Gegenden erkennbar — so dachte ich, als
ich mich an einem schönen Herbsttage zur Reise dahin anschickte. Denn für den
Sachsen hört ja die Welt für gewöhnlich in Großenhain auf, und sie beginnt
nordwärts erst da wieder, wo ihm die überwältigende Lichtfülle der großen Halle
des AnHalter Bahnhofs sagt: Du bist in Berlin. Für das, was dazwischenliegt,
hat der moderne Reisende keine Zeit übrig. Deshalb empfindet man so einen


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[0483] Horbstbilder von der Roter und der pulsnitz Dein Himmel muß man Liebesnot vertrauen, Gold schafft uns Land, das Schicksal unsre Frauen. Auch hier also ist Falstaff Folie. Dies — nicht etwa die „Unlust" des Dichters — ist auch der Grund, warum Fallstaffs Humor hier „nicht so siegreich" hervortritt wie in Heinrich dem Vierten. Einesteils liegt seinem Charakter die Rolle, die er hier spielt, nicht — die einzige Form der Liebe, deren er fähig ist, wird uns ja im zweiten Teil von Heinrich dem Vierten geschildert —; vor allem aber ließ die Zartheit des Gegenstands eine humoristischere, also mildere Dar¬ stellung seines Gebarens nicht zu; die Pointe des Lustspiels würde dadurch zerstört worden sein. In einer Apotheose der echten uneigennützigen Liebe — das sind die „Luftiger Weiber" — konnte ein Charakter wie Falstaff, der sich nicht sehnend, sogar dieses heiligste der Gefühle zu mißbrauchen, nur verhöhnt werden, und die großartige Ironie, mit der das geschieht, ist Shakespeares durchaus würdig und zeigt sein Genie und seinen Humor in ihrer vollen, über¬ legnen Größe. Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz Otto Ldnard Schmidt von 2. <Line Fahrt um die Meißnisch-Lausitzische Nordostgrenze ^e-W! le alte Mark Meißen bestand aus den Gauen Nisani und Dala- minzi. Beide hatten als Südgrenze den ungeheuern Urwald des östlichen Erzgebirges, den Miriquidi, als Nordgrenze Dalmninzis dienten die von Mühlberg (Moleberg — Grenzburg) zur untern I Roter und Schwarzen Elster streichenden Wälder, die durch den Teufelsgraben (voll den Katzschhäusern bis Koselitz) und andre Befestigungen unwegsam gemacht wordeu waren. Weiter nach Osten zu war die Pulsnitz oder vielmehr die die Pulsnitz ans beiden Seiten begleitenden Wälder die Grenze gegen die slavischen Gaue der Lusizi (Niederlattsitz) und Milzieni (Oberlausitz). Denn die Deutschen liebten nicht wie die haarscharf messenden Römer die Linear¬ grenze, sondern die breite Flüchengrenze; erst allmählich haben sich Bachgrenzen und durch Steine bezeichnete Grenzlinien bei ihnen eingebürgert. Die fortschreitende Besiedlung hat die alten Grenzwälder gelichtet, die Teilung Sachsens im Jahre 1815 hat die Grenzbezirke der Mark Meißen po¬ litisch zerrissen, aber alte Grenzen haben ein zähes Leben. Vielleicht sind noch Spuren ihrer Organisation oder andre bemerkenswerte Denkmäler der Vergangen- heit in diesen nur selten aufgesuchten Gegenden erkennbar — so dachte ich, als ich mich an einem schönen Herbsttage zur Reise dahin anschickte. Denn für den Sachsen hört ja die Welt für gewöhnlich in Großenhain auf, und sie beginnt nordwärts erst da wieder, wo ihm die überwältigende Lichtfülle der großen Halle des AnHalter Bahnhofs sagt: Du bist in Berlin. Für das, was dazwischenliegt, hat der moderne Reisende keine Zeit übrig. Deshalb empfindet man so einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/483>, abgerufen am 27.07.2024.