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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage und die Verteidigung
Konstantinopels

ach dem letzten Orientkriege, der die russische Armee bis vor
Konstantinopel führte, hat die Verteidigung der Türkei die Be¬
deutung einer europäischen Frage von der allergrößten Wichtig¬
keit erlangt. Ihr Ernst ist vergrößert worden zunächst durch
die Nichteinhaltung vou Artikel 13 des Vertrags vom Jahre 1856,
der Rußland verbietet, "an der Küste des Schwarzen Meeres irgend ein
Arsenal für die Kriegsflotte anzulegen und zu unterhalten," sodann durch die
Rührigkeit, mit der diese Macht seitdem auf den Werften von Odessa, Niko-
uyew und Sebastopol an der Vergrößerung ihrer Flotte arbeitet, endlich durch
le vorteile, die man Handelsgesellschaften gewährt hat, die Transportdampfer
'"neu, well diese im Bedarfsfalle dazu dienen sollen, Truppen zu befördern
und auszuschiffen.

^ D:e durch diese Vorgänge angedeuteten Absichten siud in der Rede offen
ausgesprochen wordeu, die Alexander der Dritte im Jahre 1886 zu Sebastopol
or den Offizieren seiner neuen Flotte des Schwarzen Meeres gehalten hat,
auch in den folgenden Worten, die in demselben Jahre der oberste Beamte
'on Moskau an den Zaren richtete: "Unsre Hoffnung gewinnt Flügel, unser
glaube stärkt sich mehr und mehr bei dem Gednuken, daß das christliche Kreuz
bald auf der Sophienkirche erstrahlen wird."

Ein neuer Schritt auf das von Rußland angestrebte Ziel hin ist durch
das Bündnis des Zarenreichs mit Frankreich gemacht worden. Schon im
Jahre 1814 hatten Kaiser Alexander der Erste und sein Minister Capo d'Jstria
diese Verbindung für notwendig gehalten zur Verwirklichung der Absichten
Peters des Großen auf Konstantinopel. Aber Frankreich war damals nicht
Zu einem Bündnis geneigt.

Eine günstigere Gelegenheit war im Jahre 1807 nach dem Abschluß des
^ilsiter Friedens gekommen. Napoleon hatte in seinen vertraulichen Unter¬
haltungen mit Alexander diesem einen Plan der Teilung der Türkei zwischen
Frankreich, Österreich und Rußland dargelegt. Der Zur fand seinen Anteil
An klein; er bestand darauf, den zu erhalten, wonach ihn gelüstete; aber sein


Grenzbown 1 1908 4g


Die orientalische Frage und die Verteidigung
Konstantinopels

ach dem letzten Orientkriege, der die russische Armee bis vor
Konstantinopel führte, hat die Verteidigung der Türkei die Be¬
deutung einer europäischen Frage von der allergrößten Wichtig¬
keit erlangt. Ihr Ernst ist vergrößert worden zunächst durch
die Nichteinhaltung vou Artikel 13 des Vertrags vom Jahre 1856,
der Rußland verbietet, „an der Küste des Schwarzen Meeres irgend ein
Arsenal für die Kriegsflotte anzulegen und zu unterhalten," sodann durch die
Rührigkeit, mit der diese Macht seitdem auf den Werften von Odessa, Niko-
uyew und Sebastopol an der Vergrößerung ihrer Flotte arbeitet, endlich durch
le vorteile, die man Handelsgesellschaften gewährt hat, die Transportdampfer
'"neu, well diese im Bedarfsfalle dazu dienen sollen, Truppen zu befördern
und auszuschiffen.

^ D:e durch diese Vorgänge angedeuteten Absichten siud in der Rede offen
ausgesprochen wordeu, die Alexander der Dritte im Jahre 1886 zu Sebastopol
or den Offizieren seiner neuen Flotte des Schwarzen Meeres gehalten hat,
auch in den folgenden Worten, die in demselben Jahre der oberste Beamte
'on Moskau an den Zaren richtete: „Unsre Hoffnung gewinnt Flügel, unser
glaube stärkt sich mehr und mehr bei dem Gednuken, daß das christliche Kreuz
bald auf der Sophienkirche erstrahlen wird."

Ein neuer Schritt auf das von Rußland angestrebte Ziel hin ist durch
das Bündnis des Zarenreichs mit Frankreich gemacht worden. Schon im
Jahre 1814 hatten Kaiser Alexander der Erste und sein Minister Capo d'Jstria
diese Verbindung für notwendig gehalten zur Verwirklichung der Absichten
Peters des Großen auf Konstantinopel. Aber Frankreich war damals nicht
Zu einem Bündnis geneigt.

Eine günstigere Gelegenheit war im Jahre 1807 nach dem Abschluß des
^ilsiter Friedens gekommen. Napoleon hatte in seinen vertraulichen Unter¬
haltungen mit Alexander diesem einen Plan der Teilung der Türkei zwischen
Frankreich, Österreich und Rußland dargelegt. Der Zur fand seinen Anteil
An klein; er bestand darauf, den zu erhalten, wonach ihn gelüstete; aber sein


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[0317] [Abbildung] Die orientalische Frage und die Verteidigung Konstantinopels ach dem letzten Orientkriege, der die russische Armee bis vor Konstantinopel führte, hat die Verteidigung der Türkei die Be¬ deutung einer europäischen Frage von der allergrößten Wichtig¬ keit erlangt. Ihr Ernst ist vergrößert worden zunächst durch die Nichteinhaltung vou Artikel 13 des Vertrags vom Jahre 1856, der Rußland verbietet, „an der Küste des Schwarzen Meeres irgend ein Arsenal für die Kriegsflotte anzulegen und zu unterhalten," sodann durch die Rührigkeit, mit der diese Macht seitdem auf den Werften von Odessa, Niko- uyew und Sebastopol an der Vergrößerung ihrer Flotte arbeitet, endlich durch le vorteile, die man Handelsgesellschaften gewährt hat, die Transportdampfer '"neu, well diese im Bedarfsfalle dazu dienen sollen, Truppen zu befördern und auszuschiffen. ^ D:e durch diese Vorgänge angedeuteten Absichten siud in der Rede offen ausgesprochen wordeu, die Alexander der Dritte im Jahre 1886 zu Sebastopol or den Offizieren seiner neuen Flotte des Schwarzen Meeres gehalten hat, auch in den folgenden Worten, die in demselben Jahre der oberste Beamte 'on Moskau an den Zaren richtete: „Unsre Hoffnung gewinnt Flügel, unser glaube stärkt sich mehr und mehr bei dem Gednuken, daß das christliche Kreuz bald auf der Sophienkirche erstrahlen wird." Ein neuer Schritt auf das von Rußland angestrebte Ziel hin ist durch das Bündnis des Zarenreichs mit Frankreich gemacht worden. Schon im Jahre 1814 hatten Kaiser Alexander der Erste und sein Minister Capo d'Jstria diese Verbindung für notwendig gehalten zur Verwirklichung der Absichten Peters des Großen auf Konstantinopel. Aber Frankreich war damals nicht Zu einem Bündnis geneigt. Eine günstigere Gelegenheit war im Jahre 1807 nach dem Abschluß des ^ilsiter Friedens gekommen. Napoleon hatte in seinen vertraulichen Unter¬ haltungen mit Alexander diesem einen Plan der Teilung der Türkei zwischen Frankreich, Österreich und Rußland dargelegt. Der Zur fand seinen Anteil An klein; er bestand darauf, den zu erhalten, wonach ihn gelüstete; aber sein Grenzbown 1 1908 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/317>, abgerufen am 23.11.2024.